Teamarbeit

Gemeinsame Sache

Hofbegrünung: Die (nicht immer ganz) freiwilligen Arbeitseinsätze in der DDR sollten den Zusammenhalt der Hausgemeinschaft stärken. Foto: imago

Vor Kurzem überschlugen sich Medien mit Nachrichten über amerikanische Milliardäre, die viel von ihrem Vermögen für wohltätige Zwecke spenden wollten. Auch in der jüdischen Welt hört man immer wieder dieselben Namen wohlhabender Familien, die freigiebig wichtige gemeinnützige Projekte unterstützen. Viele Menschen tun sich dadurch schwer, selbst ihren Anteil zur Bewältigung der gemeinschaftlichen Aufgaben beizusteuern. Einige jüdische Einstellungen dazu enthält die Parascha Teruma, was so viel wie »freiwillige Spende« heißt.

In dieser Woche beginnt eine Reihe von Erzählungen, in denen es um unzählige Vorschriften beim Bau des Mischkans, des Stiftszelts, geht. Der Leser muss sich nach dem spektakulären Auszug aus Ägypten, den beispiellosen Wundern in der Wüste und der großartigen Toragebung in technische Einzelheiten der Stiftszelteinrichtung vertiefen. Den wundersamen Beschenkungen der zurückliegenden Abschnitte wie Freiheit und Gesetzgebung folgt die detaillierte Beschreibung der Bundeslade, der Menora und des Opferaltars, die das jüdische Volk errichten musste.

Auf den zweiten Blick erkennt der Leser jedoch in diesem Abschnitt Qualitäten eines Bestsellers. Gleich am Anfang steht geschrieben: »Sprich zu den Kindern Israels, sie sollen mir eine Spende bringen; von jedermann, den sein Herz dazu antreibt, sollt ihr die Spende für mich nehmen. Darin bestehe die Spende, die ihr von ihnen nehmen sollt: in Gold, Silber und Kupfer, in himmelblauer, purpur- und karminroter Wolle … Sie sollen mir ein Heiligtum errichten, dass ich mitten unter ihnen wohne« (2. Buch Moses 25, 2-8).

Ein spiritueller Mittelpunkt, in dem man mit G’tt in Berührung kommen durfte, sollte mitten in der Wüste entstehen. An jeden Einzelnen war die Botschaft gerichtet, für die Errichtung des Stiftszeltes zu spenden. All sollten die Möglichkeit bekommen. Und tatsächlich brachte jeder etwas von den unterschiedlichen und prächtigen Materialien. Die gespendeten Wert- gegenstände übertrafen sogar bei Weitem die zur Fertigung des Mischkans notwendige Menge.

Fundraising Die moderne Projektentwicklung heute empfiehlt allerdings andere Vorgehensweisen: Erst nach Erstellung der Zustands- und Kostenanalyse kümmert man sich um die Finanzierung. Bei Fundraising und Akquirierung der für den Bau benötigen Ressourcen wird zwecks Zeiteinsparung versucht, vor allem das betuchte Publikum als Geldgeber zu gewinnen.

Einen ähnlichen Ansatz hätte man auch bei der Errichtung des Mischkans in der Wüste erwarten können. Tatsächlich erzählt der Midrasch, dass es in dieser Zeit inmitten des Volkes einige Vermögende gab, die es sich hätten leisten können, die Kosten für den gesamten Tempelzeltbau allein zu übernehmen.

Die Kommentatoren weisen jedoch darauf hin, dass die Betonung nicht ohne Grund auf jedermann liegt. Das Stiftszelt war ein gesamtgesellschaftliches Projekt. Es sollte ein Bindeglied sein zwischen dem Schöpfer und dem ganzen Volk Israel. Da wäre es falsch gewesen, nur die Priester und die Reichen zu alleinigen Vorstehern des Mischkans zu machen. Nein, ein jeder sollte das Stiftszelt als sein eigenes Lebenswerk betrachten. Das war der Sinn des gemeinsamen Errichtens.

Kollektiv Der freiwillige persönliche Einsatz sowie die tiefe Hingabe an das Projekt sollten bei jedem Einzelnen das Gefühl wecken, ein Teil des gemeinsamen Heiligtums zu sein. Es ging darum, dass die jüdische Gemeinschaft, die sich noch in der Entstehungsphase befand, durch wichtige kollektive Aufgaben zusammenwächst.

Auch heute sollten wir verschiedene Möglichkeiten nutzen, um ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln und dadurch unsere Gemeinschaft zu stärken. Die Gelehrten betonen, man solle darauf achten, dass sich beim Bau einer Synagoge oder eines Gemeindehauses möglichst viele beteiligen.

Über den Chafez Chajim, Rabbi Israel Meir haKohen (1838–1933), wird erzählt, er habe jahrelang viele Studenten in seinem eigenen Haus unterrichtet. Erst nach 40 Jahren wurde beschlossen, endlich eine Jeschiwa in seiner Heimatstadt Radin zu bauen. Die reichsten Männer boten sich an, die Finanzierung für den geplanten Bau zu übernehmen. Der Chafez Chajim bedankte sich, doch schlug er das Angebot aus. Die Jeschiwa sollte der ganzen Stadt gehören, deshalb müssten alle die Möglichkeit haben, sich daran zu beteiligen.

Symbolhandlung Zu Beginn des zweiten Buches Moses, Schemot, haben wir gelesen, wie G’tt mit seiner starken Hand die Juden aus Ägypten in die Freiheit führte. Er teilte das Meer und rettete dem Volk das Leben. Das Manna, das jeden Morgen auf dem Boden lag, ermöglichte das Überleben in der Wüste. Die Gesetze, die Mosche auf dem Berg Sinai entgegennahm, bauten die Grundlage für die Existenz des Judentums.

Das Stiftszelt nun sollte das Volk aus eigener Kraft gemeinschaftlich errichten. Diese Aufgabe bot ihnen nicht nur die Gelegenheit, sich stärker mit dem spirituellen Ort zu identifizieren, sondern es war auch eine Symbolhandlung dafür, die Gemeinschaft aktiv zu gestalten und auf diesem Wege das Zugehörigkeitsgefühl stärken.

Das Beispiel aus unserem Wochenabschnitt soll jeden Einzelnen ermutigen, sich am Gemeindeleben zu beteiligen und Verantwortung für die Zukunft unserer Gemeinschaft zu übernehmen.

Der Autor unterrichtet Jüdische Religionslehre in Dortmund, Gelsenkirchen und Bielefeld.

Paraschat Teruma
Im Wochenabschnitt Teruma fordert der Ewige die Kinder Israels auf, für das Stiftszelt zu spenden. Die Parascha enthält genaue Anweisungen zum Bau der Bundeslade, des Tisches im Stiftszelt, des Zeltes selbst und der Menora. Den Abschluss bilden Anweisungen für die Wand, die das Stiftszelt umgeben soll,
um das Heilige vom Profanen zu trennen.
2. Buch Moses 25,1 – 27,19

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