Simchat Tora

Freude auf Abstand

Simchat Tora: Der Tag, an dem wir uns an und mit der Tora erfreuen. Foto: Flash 90

Wie alle anderen Feiertage muss in diesem Jahr auch Simchat Tora – das Fest beginnt in der Diaspora am Abend des 10. Oktober – ganz anders begangen werden als sonst. Das ganze Jahr lang freuen wir uns auf die feierlichen Umzüge mit der Tora, fröhliche Lieder, farbenfrohe Fahnen und ganz besonders auf den Segen, den alle Kinder vor der Tora bekommen.

Vielleicht hilft uns die Geschichte der Entstehung dieses Feiertags, zu verstehen, auf welche Bräuche wir in diesem Jahr lieber verzichten sollten. In Israel folgt Simchat Tora direkt auf die sieben Feiertage von Sukkot, fällt also mit Schemini Azeret zusammen.

Mögen die schwierigen Zeiten bald der Vergangenheit angehören.

In der Diaspora hingegen wird Simchat Tora einen Tag nach Schemini Azeret, am 23. Tag des Monats Tischri, gefeiert. Simchat Tora, die »Tora-freude«, ist, wie der Name schon sagt, der Tag, an dem wir uns an der Tora freuen. An diesem Tag werden die fünf Bücher Mose in den Synagogen zu Ende gelesen – und am gleichen Tag beginnt die Lesung wieder von vorn.

URSPRÜNGE Doch obwohl Simchat Tora heute als Bestandteil beziehungsweise als direkte Fortsetzung von Schemini Azeret gilt und aus keiner jüdischen Gemeinde weltweit mehr wegzudenken ist, war dieser Brauch nicht immer verbreitet.

Die Ursprünge führen in die Zeit des Babylonischen Exils zurück, wo Simchat Tora die Vollendung des Lesezyklus der Torawochenabschnitte darstellte.

An Simchat Tora werden die fünf Bücher Mose zu Ende gelesen, und die Lesung beginnt von vorn.

Genauso wie es heute allgemeiner Brauch ist, war die Tora auch damals in 54 separate Wochenabschnitte aufgeteilt, und jede Woche wurde am Schabbat in der Synagoge ein Wochenabschnitt gelesen, oder manchmal auch zwei. Die gesamte Tora wurde so jedes Jahr aufs Neue beendet.

In Eretz Israel hingegen wurde die Tora alle drei Jahre beziehungsweise alle dreieinhalb Jahre zu Ende gelesen. Aus diesem Grund hatte Simchat Tora in Israel während dieser Zeit kein festes Datum. Man veranstaltete immer dann eine Feier, wenn die Toralesung gerade beendet war.

Ursprünglich gab es keine große Feier, sondern man veranstaltete einfach eine besonders feierliche Mahlzeit zu Ehren der Tora. Und selbst der anfangs beschriebene und heute weltweit befolgte Brauch, nach der Vollendung der Toralesung wieder von Neuem zu beginnen, kam erst später auf – etwa im 14. Jahrhundert.

HAKAFOT Der Brauch, mit den Torarollen Hakafot, zeremonielle Umgänge, um die Bima zu laufen und zu tanzen, ist noch später bekannt geworden. Man begegnet ihm zum ersten Mal im 16. Jahrhundert in Safed. Heute ist es Brauch, sieben Hakafot zu machen, aber ursprünglich waren es entweder nur eine, drei oder sechs.

Der Brauch der Hakafot wurde von Hoschana Rabba, dem siebenten Sukkot-Tag, an dem man mit Lulav und Etrog sieben Mal um die Bima geht, auf Simchat Tora übertragen. Normalerweise werden die Hakafot abends an Simchat Tora und dann am nächsten Morgen erneut praktiziert. Manche Gemeinden pflegen den Brauch, dies auch am folgenden Nachmittag beim Mincha-Gebet zu tun.

Es gibt sehr viele interessante Minhagim (Bräuche), die verschiedene Gemeinden an Simchat Tora pflegen. Doch handelt es sich dabei eben nur um Bräuche. Es gibt keine halachische Verpflichtung, irgendetwas davon zu tun.

Talmud Der Name »Simchat Tora« und die früheren Namen, die einst für den Feiertag benutzt wurden, wie etwa »Jom Hasium« oder »Jom Habracha«, kommen im Talmud nicht einmal vor. Der Talmud bezeichnet diesen Feiertag lediglich als Verlängerung von Schemini Azeret.

Derzeit sollte man Torarollen nicht von Hand zu Hand weiterreichen und küssen.

Aus diesen Gründen würde aus halachischer Sicht wenig dagegensprechen, die Feiern in unseren Gemeinden, aus verständlichem Anlass, auf ein Minimum zu reduzieren. Jede Gemeinde soll zusammen mit ihrem Rabbiner und nach den vorgeschriebenen örtlichen Richtlinien entscheiden, wie sie den Feiertag in der Synagoge begeht.

Was zum Beispiel das Singen in einem Gebetsraum betrifft, unterscheiden sich die Richtlinien der einzelnen Bundesländer voneinander. Auf jeden Fall wäre es sinnvoll, die Torarollen nicht wie sonst von Hand zu Hand weiterzureichen und sie zu küssen. Sofern es möglich ist, sollte man sicherlich versuchen, die Hakafot zu machen – jedoch mit Einhaltung der Abstände. Und man sollte darauf achten, dass nur dieselben Menschen die Tora herausnehmen und tragen.

Tallit In den Bundesländern, in denen das Singen mit Maske erlaubt ist, kann man den Umzug mit den Gesängen begleiten. Die Aufrufe zur Tora können unter der Einhaltung der Abstandsregelung stattfinden. Vielleicht sollte man auf das Versammeln aller Kinder unter einem Tallit verzichten – der Rabbiner kann die Kinder auch von Weitem segnen.

Man darf nicht vergessen: Das Leben hat im Judentum absoluten Vorrang. Manchmal ist man gezwungen, auf das Gewohnte zu verzichten, um nicht sich selbst und die anderen in Gefahr zu bringen, selbst wenn es sehr wehtut.

Mögen die schwierigen Zeiten bald der Vergangenheit angehören und wir alle Feiertage auf die richtige Art und Weise begehen – im wiedererbauten Jerusalem.

Der Autor ist Rabbiner der Synagogengemeinde Konstanz und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

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