Marion Gardei

»Es ist wichtig, Kirche von antijüdischen Inhalten klar abzugrenzen«

Pfarrerin Marion Gardei ist Beauftragte der Berliner Landeskirche für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus. Foto: imago images / epd

Frau Gardei, warum braucht die evangelische Kirche 76 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg eine Antisemitismusbeauftragte?
Von den 1700 Jahren jüdischen Lebens auf deutschem Gebiet sind 1624 geprägt von Ausgrenzung und Anfeindung, an deren Entstehen die Kirchen wesentlichen Anteil hatten. Das hat seine Spuren hinterlassen. Inzwischen hat unsere Kirche zwar vielfach ihre Schuld bekannt und eine deutliche Umkehr vollzogen. Trotzdem sind alte theologische antijüdische Denkmuster, Verschwörungslegenden und Generalverdachte, die wir überwunden geglaubt haben, in aktuellen politischen Auseinandersetzungen wieder präsent. In jüngster Zeit belegen etwa die Verschwörungserzählungen der Corona-Leugner, wie alte antisemitische Muster wieder neu belebt werden. Die Schnittmenge zwischen traditionellem christlichem Judenhass und politischem Antisemitismus ist größer, als vielfach geglaubt.

Antisemitismus ist Gotteslästerung, sagt der Berliner Bischof Christian Stäblein. Wie stark sind judenfeindliche Einstellungen in den Kirchengemeinden noch verbreitet? Und beobachten Sie analog den Entwicklungen in der Gesellschaft auch dort eine Zunahme?
Untersuchungen zeigen, dass antisemitische Grundeinstellungen inzwischen wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, auch in den Kirchen. Die Verbreitung von Verschwörungserzählungen und Hassparolen ist durch das weltweite Netz heute unkontrollierbar und folgenreicher. Auch für Kirchenmitglieder aller Generationen bis hin zu den Konfirmandinnen und Konfirmanden ist das Internet als Kommunikationsmittel meinungsbildend. Umso wichtiger wird es für die Kirche, sich von antijüdischen Inhalten klar abzugrenzen.

Sie sind auch Erinnerungsbeauftragte der Landeskirche. Auf wie viel Offenheit stoßen Sie in Ihrer Arbeit in den Reihen der Kirche?
Es gibt eine Überschneidung zwischen beiden Arbeitsbereichen, zum Beispiel praktiziere ich schon seit Jahren christlich-jüdische Gedenkliturgien und Andachten zum 9. November oder in den ehemaligen Konzentrationslagern. Oder da, wo es gilt, antijüdische Traditionen und Bilder in Gemeinden und Kirchen aufzuarbeiten, wie zum Beispiel die Ritualmord-Gründungslegende im Klosterstift Heiligengrabe, Schmähplastiken in Kirchen oder Verstrickungen in der Nazizeit. Dabei stoße ich meistens auf viel Offenheit und Interesse.

Mit der Beauftragten der Berliner Landeskirche für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus sprach sprach Markus Geiler.

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025

Anti-Judaismus

Friedman: Kirche hat »erste globale Fake News« verbreitet

Der gebürtige Pariser warnte zudem vor weltweiten autokratischen Tendenzen und dem Verlust der Freiheit

 02.09.2025

Schoftim

Recht sprechen

Eine Gesellschaft hat nur dann eine Zukunft, wenn sie sich an ihrer moralischen Gesetzgebung orientiert

von Rabbiner Avraham Radbil  29.08.2025

Talmudisches

Der heimliche Verbrecher

Über Menschen, die nicht aus Wahrheit, sondern aus Selbstdarstellung handeln

von Vyacheslav Dobrovych  29.08.2025

Kiddusch Haschem

»Ich wurde als Jude geboren. Ich werde als Jude sterben«

Yarden Bibas weigerte sich gegenüber den Terroristen, seinen Glauben abzulegen. Wie viele vor ihm lehnte er eine Konversion ab, auch wenn ihn dies beinahe das Leben gekostet hätte

von Rabbiner Dovid Gernetz  28.08.2025

Israel

Rabbiner verhindert Anschlag auf Generalstaatsanwältin

Ein Mann hatte den früheren Oberrabbiner Jitzchak Josef um dessen religiöse Zustimmung zur »Tötung eines Aggressors« ersucht. Die Hintergründe

 26.08.2025 Aktualisiert