Vor einiger Zeit sprach mich ein Gemeindemitglied nach dem G’ttesdienst an. Sie war aufgewühlt. Ihr Vater war gestorben – ein liebevoller Mann, der sie durch ihr Leben begleitet hatte und sie sehr stark in ihrem »Jüdisch werden« unterstützt hatte. Doch er selbst war nicht jüdisch. »Rabbi«, fragte sie, »was soll und darf ich jetzt tun? Darf ich Schiwa sitzen, darf ich Kaddisch sagen? Wie kann ich meine Trauer zum Ausdruck bringen, ungeachtet dessen, dass mein Vater nicht jüdisch war?«
Diese Frage bewegt viele Jüdinnen und Juden in Deutschland. Unsere Familiengeschichten sind vielfältig: Manche haben einen nichtjüdischen Vater oder Großvater, manche sind selbst zum Judentum konvertiert und trauern um ihre Eltern, die einer anderen Religion oder Abstammung angehörten. Die persönliche Trauer kennt keine Grenzen. Aber wie verhält sich die Halacha dazu? Wie können wir im religiösen Sinne trauern, ohne unsere Tradition zu verlassen?
Klassische Trauerriten im Judentum
Die klassischen Trauerriten im Judentum – Kriah, Schiwa, Kaddisch, Jiskor – sind generell für jüdische Verstorbene bestimmt. Der Schulchan Aruch (Jore De’a 374) legt klar fest, dass diese Gebete und Bräuche der Seele des Verstorbenen zugutekommen sollen. Bei einem nichtjüdischen Angehörigen greift dieser Aspekt nicht, da er nicht durch dieselben Mizwot (Gebote) gebunden war.
Doch das bedeutet keineswegs Gleichgültigkeit. Die Halacha verpflichtet uns auch hier zu »Kibbud Aw wa’Em«, zur Ehre von Vater und Mutter – unabhängig davon, ob sie Juden sind oder nicht. Der Talmud (Kidduschin 31a) schildert, wie selbst nichtjüdische Kinder in beispielhafter Weise ihre Eltern ehrten, und Rabbiner zitieren diese Geschichten, um die universelle Gültigkeit dieses Gebots zu verdeutlichen.
Wie also können wir unsere Liebe und unsere Trauer ausdrücken? Eine Kerze anzuzünden oder im Stillen zu beten, ist immer möglich. Zwar handelt es sich dabei nicht um ein »Jahrzeitlicht« im halachischen Sinn, doch es darf ein persönliches Symbol der Erinnerung sein. Selbstverständlich ist es auch erlaubt, respektvoll an der Beerdigung (jedoch nicht in einer Kirche) teilzunehmen und die Beerdigungsangelegenheiten zu organisieren. Der Rema (Jore De’a 367,1) betont, dass auch Nichtjuden ein würdiges Begräbnis zusteht. Besonders wertvoll ist es, im Namen des Verstorbenen eine gute Tat oder Spende zu tätigen. Der Rambam (Hilchot Avel 14,1) nennt Zedaka als eine Form des »Chesed«, die für alle Menschen gilt.
Die Frage, ob man Kaddisch für einen Nichtjuden sprechen darf, ist sensibel – und die Meinungen gehen auseinander.
Die Frage, ob man Kaddisch für einen Nichtjuden sprechen darf, ist sensibel – und die Meinungen gehen auseinander. Die meisten Poskim lehnen ein Kaddisch für nichtjüdische Eltern ab, da es – so der Schulchan Aruch – explizit für jüdische Seelen bestimmt ist. Rabbiner Moshe Feinstein betont, dass die Pflicht zur Ehrung der Eltern auch in gemischten Familien bleibt, doch Kaddisch sei dort nicht vorgesehen.
Eine differenziertere Haltung nimmt jedoch Rav Eliezer Waldenberg, der Tzitz Eliezer (Bd. 14,83), ein: Er erkennt an, dass ein Kind ein tiefes Bedürfnis verspüren kann, für seine nichtjüdischen Eltern Kaddisch zu sagen. Formal helfe dies der Seele nicht, da die Kategorien der Mizwot hier nicht greifen. Aber: Für das Kind selbst kann das Kaddisch ein entscheidender Trost sein – eine Form, Liebe und Dankbarkeit auszudrücken, ohne die eigene jüdische Identität zu verlassen.
Die Halacha ermöglicht seelsorgerisch sensible Lösungen, ohne die Struktur der Tradition aufzugeben
Rav Waldenberg argumentiert, dass in solchen Ausnahmefällen Raum geschaffen werden darf, wenn ein Rabbiner die Situation begleitet und deutlich macht, dass das Kaddisch hier nicht als Gebet für den Verstorbenen verstanden wird, sondern als Gebet des Hinterbliebenen. Als während meiner Zeit in der Jeschiwa der nichtjüdische Vater meines Freundes verstarb, gestatteten ihm die Rabbiner, Kaddisch für eine andere jüdische Person zu sagen und dabei auch an seinen Vater zu denken. Diese Position zeigt: Die Halacha wahrt ihre Grenzen, aber sie blendet den Schmerz der Trauernden nicht aus. Sie ermöglicht seelsorgerisch sensible Lösungen, ohne die Struktur der Tradition aufzugeben.
Die Halacha ist eindeutig in ihren Kategorien, doch sie erkennt die Realität der Gefühle an. Im Buch Kohelet heißt es: »Für alles gibt es eine Zeit … eine Zeit zu weinen und eine Zeit zu lachen, eine Zeit zu klagen und eine Zeit zu tanzen.« Wir dürfen weinen, auch um nichtjüdische Angehörige. Unsere Herzen bleiben nicht unberührt – und die Tora verlangt das auch nicht.
Wir müssen unsere Gefühle nicht verleugnen. Wir können unsere Liebe und unsere Dankbarkeit ausdrücken, ohne die Halacha zu verletzen. Die Liebe, die wir von unseren Eltern oder Großeltern erfahren haben, bleibt bestehen. Indem wir sie in unser jüdisches Leben übersetzen – durch Zedaka, durch gute Taten, durch Erinnern –, schaffen wir eine Brücke zwischen zwei Welten. Die Trauer ist echt. Die Erinnerung bleibt. Und die Halacha gibt uns den Rahmen, beides würdevoll miteinander zu verbinden.