In Bonn hat am Sonntagnachmittag eine prominent besetzte Tagung des Internationalen Rats der Christen und Juden (ICCJ) begonnen. Unter dem Motto »Reformieren, interpretieren, revidieren: Martin Luther und 500 Jahre Tradition und Reform in Judentum und Christentum« tauschen sich prominente jüdische und christliche Vertreter bis zum Mittwoch zu verschiedenen Themen aus. Die Tagung wird in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der Evangelischen Kirche im Rheinland veranstaltet.
Unter den Teilnehmern der Tagung sind Rabbiner Abraham Skorka, Freund und Wegbegleiter von Papst Franziskus aus Argentinien, Abraham Lehrer, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und Vorstandsvorsitzender der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST), Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, Rabbiner Walter Homolka, Gründer des Abraham Geiger Kollegs, Rabbinerin Dalia Marx, der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik und der evangelische Theologe Martin Stöhr.
ekd-synode In seinem Grußwort zur Eröffnung sagte Zentralratsvize Abraham Lehrer, es zeichne die evangelischen Christen in Deutschland aus, dass sie vor dem Antijudaismus Martin Luthers nicht die Augen verschlossen hätten.
Die EKD-Synode habe sich 2016 in ihrer Erklärung zum Reformationsjubiläum ganz deutlich vom Antijudaismus Luthers distanziert »und auch der Judenmission, wie es sie heute leider gerade in evangelikalen Kreisen noch immer gibt, eine deutliche Absage erteilt«, sagte Lehrer.
Dass jüngst Papst Franziskus zwei Rabbiner als Mitglieder in die Päpstliche Akademie für das Leben berufen hat, sei keine Selbstverständlichkeit, sondern zeuge »von den aufrichtigen und intensiven Bemühungen des Papstes um ein gutes Verhältnis zum Judentum«, so der Zentralratsvize weiter.
Traditionen Lehrer betonte, wenn es die Christen in Deutschland ernst meinten mit ihrem Bekenntnis gegen Antisemitismus und sich wirklich von den alten antisemitischen Traditionen ihrer Kirchen lösen wollen, »dann müssen sie heutzutage auch entschlossen einem Antisemitismus entgegentreten, der getarnt als Kritik an Israel daherkommt oder der von zu vielen jungen Muslimen in soundsovielter Generation weitergetragen wird«.
Kardinal Reinhard Marx sagte bei der Eröffnung laut vorab verbreitetem Redemanuskript, mit großen Respekt habe er als katholischer Bischof in den vergangenen Jahren verfolgt, »wie offen und kritisch sich die Evangelische Kirche in Deutschland mit den antijüdischen Schriften Martin Luthers auseinandergesetzt und wie klar und deutlich sie sich von diesen Aussagen distanziert hat. Es ist nicht leicht, sich kritisch mit den eigenen Traditionen zu befassen«.
reformation Auch der katholischen Kirche falle es nicht leicht, die eigenen antijüdischen Traditionen offen in den Blick zu nehmen: »Umso größer aber ist mein Respekt vor der Ernsthaftigkeit, mit der sich der deutsche Protestantismus auch den negativen Seiten der Reformation gestellt hat.«
In Deutschland habe sich mittlerweile »ein neues herzliches Miteinander von Christen und Juden« entwickelt. Heute sei es schon fast eine Selbstverständlichkeit, »dass sich Rabbiner mit katholischen Bischöfen und evangelischen Kirchenleitungen jedes Jahr zu mehrstündigen Gesprächen treffen, dass Bischöfe und Rabbiner gemeinsam nach Israel reisen oder dass christliche und jüdische Gemeinden sich gemeinsam für die Integration von Flüchtlingen engagieren. Rabbiner sind auf Katholikentagen und Evangelischen Kirchentagen ebenso gern gesehene Gäste wie Bischöfe beim jüdischen Gemeindetag«. ag
Lesen Sie mehr in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.