Talmudisches

Das harte Ei

Von frühen jüdischen »Fachärzten« und ihren Methoden

von Rabbinerin Yael Deusel  14.02.2020 06:25 Uhr

Turemita-Ei: Vorläufer der heute hochmodernen Koloskopie-Kapsel Foto: Getty Images

Von frühen jüdischen »Fachärzten« und ihren Methoden

von Rabbinerin Yael Deusel  14.02.2020 06:25 Uhr

Worin besteht der Unterschied zwischen einem talmudischen Gelehrten und einem Arzt? Der Talmud erläutert dies am Beispiel einer Frau, deren Mann erst im Nachhinein davon erfährt, dass sie ein Gelübde abgelegt oder eine Krankheit hat. Hätte er vorher davon gewusst, hätte er sie nicht geheiratet.

Krankheit Jetzt stellt sich die Frage, ob die Eheschließung unter diesen Umständen gültig ist oder nicht. Wohl kann die Frau zu einem Gelehrten gehen, der das Gelübde aufhebt, oder zu einem Arzt, der sie von ihrer Krankheit heilt.

In beiden Fällen ist zwar das ursprüngliche Hindernis beseitigt, aber es ist doch nicht dasselbe. Denn die Aufhebung des Gelübdes durch den Talmudgelehrten geschieht rückwirkend, und es ist so, als ob es nie ein Gelübde gegeben hätte.

Medizin Der Arzt kann seinerseits die Frau im günstigsten Fall zwar wieder gesund machen, jedoch rückwirkend eine Krankheit ungeschehen machen kann auch die allergrößte medizinische Kapazität nicht.

Man mag vielleicht die Frage stellen, welche von den beiden Berufsgruppen für die Erhaltung des Lebens die wichtigere sei. Dies wird jedoch genauso unentschieden bleiben wie die schon genannte Frage nach der Gültigkeit der Eheschließung, die im Talmud höchst kontrovers diskutiert wird.

Offenbar war die Meinung der Weisen über Ärzte mancherorts nicht besonders hoch, wie der Ausspruch in Kidduschin 82a zeigt, der selbst die besten Ärzte zur Hölle wünscht.

Auch die Bemerkung von Rav Abahu geht in diese Richtung, wenn er sagt: Wer Augenschmerzen habe, zahle für seine Heilung dem Arzt Geld. Doch sei immer noch zweifelhaft, ob er genesen werde (Ketubot 105a).

Andererseits gab es auch durchaus talmudische Gelehrte, die selbst Ärzte waren, wie zum Beispiel Schmu’el, dessen Ratschläge an mehreren Stellen im Talmud solide gastroenterologische Kenntnisse beweisen. Leider wurde er von Rav gründlich missverstanden und aufgrund seiner Behandlung verflucht (Schabbat 108a) – wie noch heute so mancher Arzt, dessen Patient infolge einer unangenehmen Untersuchung oder einer Heilmethode mit Nebenwirkungen unzufrieden ist.

Diagnostik Während Schmu’el nicht nur an seinen Patienten, sondern sogar an sich selbst eine ziemlich radikale Darmdiagnostik per Abführmittel anwendete, ist jedoch bereits damals ein sehr früher Vorläufer der heute hochmodernen Koloskopie-Kapsel bekannt, wenn auch offenbar nicht für jedermann verfügbar, nämlich das Turemita-Ei.

Dabei handelte es sich um ein Ei, das in einem höchst komplizierten Kochverfahren so weit größenreduziert wurde, dass man es im Ganzen schlucken konnte. Außerdem war es so fest, dass es der Körper unverdaut wieder ausschied. Anschließend wurde das Ei daraufhin untersucht, welche Spuren es auf seiner Wanderung durch den Magen-Darm-Trakt aufgenommen hatte. Dadurch erhielt der Arzt wertvolle Hinweise für die weitere Behandlung seines Patienten (Nedarim 50b).

Rechtsmedizin Der Talmud berichtet uns sogar über den Vorläufer eines Rechtsmediziners, auf dessen Expertise sich die talmudischen Weisen stützten: nämlich Todos der Arzt.

Es begab sich, dass man ein Behältnis mit Knochen in ein Bethaus brachte, wodurch sich freilich eine mögliche rituelle Verunreinigung ergab (von der Frage nach der Herkunft der Knochen ganz zu schweigen). Todos untersuchte zusammen mit einer Gruppe von Ärzten die Gebeine und stellte fest, dass es sehr wohl menschliche Überreste waren, die allerdings nicht von einer einzigen Leiche sein konnten, sondern von mehreren Toten stammen mussten (Nasir 52a).

Auch wenn das Verhältnis der Talmudgelehrten zu den Ärzten, selbst denen in ihren eigenen Reihen, bisweilen recht ambivalent war, blieb es doch unbestritten, dass beide für die Gemeinschaft wichtig sind. Nicht von ungefähr lesen wir daher in Sanhedrin 17b, dass ein Toragelehrter nur in einer Stadt leben dürfe, in der es auch einen Arzt gibt.

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