Treue

Bis in alle Ewigkeit

Auch wenn Israelis in ferner Zukunft in ungeahnte Weiten vordringen, bleibt die Verheißung gegenwärtig. Foto: uni heidelberg

Es ist für jeden Menschen wichtig zu wissen, zu welcher Gruppe, zu welchem Volk er gehört. Im täglichen Amida-Gebet (bei dem in der Synagoge Stille herrscht und selbst die schlimmsten Schwätzer merken, dass gerade gebetet wird) beginnen wir mit folgenden Worten: »Gelobt seist Du, Ewiger, unser G’tt und G’tt unserer Väter, G’tt Awrahams, G’tt Jitzchaks und G’tt Jakows.« Die Patriarchen nehmen bereits zu Beginn des Gebets einen wichtigen Platz ein. Die Verbindung zu ihnen am Anfang der Amida ist nicht selbstverständlich.

Eigentlich sollten wir unsere Gebete seit dem Auszug aus Ägypten, als wir zum Volk geworden sind, mit einer Treueerklärung zum Volk Israel beginnen und mit einer Erklärung, dass wir Teil dieses Volkes sind. Beim Schma Jisrael ist dies der Fall, es fängt mit unserer allgemeinen Verpflichtungserklärung zum Volk Israel an. Was verbindet dann Awraham, Jitzchak und Jakow mit diesem Gebet?

Stolz Anders als Jugendliche, die zu Tabubrüchen neigen und ihrer Umgebung ja nicht ähneln wollen, sind wir stolz auf unsere Herkunft. Wir identifizieren uns mit unserem Land, wenn es beim Fußball gewinnt, wir fühlen Schmerz, wenn es Probleme hat, wir sind stolz, wenn ein Landsmann den Nobelpreis bekommt oder bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnt. Der Wille dazuzugehören, ist wichtig für Menschen, damit sie sagen können: Ich stamme von dort, das Land gehört mir, ich bin ein Teil davon.

Was tun wir, wenn sich ein Freund schlecht verhält? Sagen wir dann immer noch, dass wir in derselben Straße aufgewachsen sind wie er? Sind wir noch stolz darauf, ihn zum Freund zu haben, wenn sein Verhalten unmoralisch ist? Aber ein wahrer Freund bleibt auch dann ein Freund, wenn er etwas Schlechtes getan hat und Hilfe braucht. Wahre Freunde unterstützen einander in solchen Situationen, damit der andere seinen Weg ändert und in die Gesellschaft zurückkehren kann.

Gnade Der Talmud diskutiert die Frage, wie lange wir uns die guten Taten der Patriarchen zugute halten können. Dürfen wir nach jedem unmoralischen Verhalten argumentieren, dass wir doch die Söhne Awrahams, Jitzchaks und Jakows sind? Oder wird dieses Recht auf Gnade wegen der Patriarchen irgendwann ein Ende haben, und wir müssen allein unsere Taten vor G’tt sprechen lassen?

Im Talmud gibt es zu diesem Thema Unstimmigkeit. Amora Schmuel findet, wir können uns, wenn wir G’tt um Gnade bitten, nicht mehr auf die Patriarchen berufen, denn wir haben dieses Recht im Laufe der Geschichte bereits verbraucht. Rabbi Jochanan meint das Gegenteil.

Einer der wichtigsten Kommentatoren des Talmud, Rabbeinu Tam – er ist ein Enkel Raschis und gehört zu den Baalei HaTosafot –, stellte fest: Das Recht auf Gnade endete zwar nach den Patriarchen, doch gibt es eben wegen der Patriarchen noch einen Bund mit G’tt !

In der Tora steht: »Und ich werde gedenken an meinen Bund mit Jakow und an meinen Bund mit Jitzchak und an meinen Bund mit Awraham und werde an das Land gedenken« (3. Buch Moses 26,42). Der Bund begleitet das Volk Israel durch alle Generationen. Er bleibt ewig bestehen und wird sich unter keinen Umständen ändern. Es stimmt, wir haben das Recht auf Gnade, das die Patriarchen erarbeitet haben, längst verwirkt. Doch der Bund, den G’tt mit ihnen geschlossen hat, gilt nach wie vor, um uns im Laufe der Generationen zu schützen.

Freundschaft Während viele Menschen Gegenstände vergötterten, glaubten Awraham, Jitzchak und Jakow an G’tt, und sie begingen gute Taten. Dies führte zum starken Bund zwischen ihnen und dem Ewigen, zu einer Art tiefen Freundschaft, in der einer dem anderen hilft.

Das Volk Israel hatte nach der Sünde mit dem goldenen Kalb eine seiner schwierigsten Phasen. Es gab bereits einen Plan, das Volk Israel wegen seiner Taten zu bestrafen. Mosche schaffte es jedoch durch sein Gebet, den Zorn G’ttes zu lindern. Er sagte im Gebet: »Gedenke Deiner Diener Awraham, Jitzchak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast ...« (2. Buch Moses 32,13).

Der Bund ist eine wahre Verbindung. G’tt schloss ihn mit den Patriarchen, aber er schließt alle ihre Nachkommen, das ganze Volk Israel mit ein. Jeder Jude ist verpflichtet, den Weg der Patriarchen fortzusetzen und in ihnen sein Vorbild zu sehen. Aber auch wer den Weg verlässt, bleibt im Bund. Denn er ist so fest, dass kein Ausrutscher ihn lösen kann.

Wenn wir die Amida beten, sollen wir wissen: Unser Gebet ist bedeutsamer, wenn es sich auf den Bund Awrahams, Jitzchaks und Jakows stützt. Wir erklären damit unsere nationale Zugehörigkeit und erinnern uns an den Bund, den der Ewige mit den Patriarchen geschlossen hat. An ihren Taten sollen wir uns messen.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  16.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025