Neulich beim Kiddusch

Anonyme Mampfer

Alles begann damit, dass wir uns auf dem Weg von der Synagoge nach Hause befanden, bei brütender Hitze von gefühlten 45 Grad im Schatten. Zu Hause lief die Klimaanlage auf vollen Touren, ich hatte sie über Schabbat einfach angelassen. Nur noch zehn Minuten bis zu unserer Wohnung, als meine Tochter Emma auf einmal Pipi musste. Wie immer im ungünstigsten Moment. Seufzend beschlossen wir, sie auf die königlich ausgestattete Toilette der angenehm klimatisierten CISU-Synagoge zu schicken. Ein kleiner Umweg, aber dafür eine wunderschöne Synagoge, Marmor, Fayencemosaik, stuckierte Kuppeln – und sogar die Toiletten sind im maurischen Stil gehalten.

Wir kommen an, die Tür ist offen, ich gehe hinein – und erstarre. Ungefähr 100 Augenpaare blicken mich an, 100 Gabeln mit aufgespießten Fleischbällchen bleiben in der Luft stehen. Ich störe wohl gerade bei einem höchst intimen Kiddusch, bei dem ich nicht eingeladen bin. Nein, noch schlimmer! Die ganze Stadt ist eingeladen, nur ich nicht. Sämtliche Menschen, die ich in den letzten zehn Jahren in Brüssel kennengelernt habe, geben sich hier ein Stelldichein, alle haben sich in Schale geworfen und scheinen sich fantastisch zu amüsieren.

Rache Ich schlucke und mache auf dem Absatz kehrt. Ich zerre Emma hinter mir her, sie wird mit dem Dixie-Klo vor der nächsten Baustelle vorliebnehmen müssen. Ich würge und kämpfe mit den Tränen, und bitte meinen Mann Alain, mit Emma nach Hause zu gehen – während ich einmal um den Block laufe und auf Rache sinne.

Die Hitze macht mir auf einmal nichts mehr aus. Ich koche vor Wut. Zähneknirschend gehe ich zu meiner Freundin Daphne, die um die Ecke wohnt. Sie wird wissen, wer da welchen Anlass so ausgiebig feiert, ohne mich einzuladen. Aber Daphne hat keine Ahnung, wessen Kiddusch das ist, genauso wenig meine anderen Freundinnen Tali und Schoschi, die ebenfalls im selben Viertel wohnen.

Sahnehäubchen Völlig am Ende mache ich mich auf den Weg nach Hause und überlege, ob ich nicht lieber einen weiten Bogen um den schmachvollen Ort meiner gesellschaftlichen Niederlage machen soll. Aber irgendetwas zieht mich magisch an. Ich muss unbedingt wissen, ob die rosa Marzipantörtchen von Serfaty aufgetragen werden oder die Kokosröllchen von Benisty. Und wird es Minztee geben? Oder Sabra-Likör? Ich schwärme für Sabra-Likör. Oder vielleicht in Sabra-Likör getränkte Savarins, mit einem Häubchen parve Schlagsahne obendrauf?

Ich öffne vorsichtig die Synagogentür und spähe hinein. Tatsächlich, sie sind bereits bei der Nachspeise. Die kleinen maurischen Springbrunnen plätschern anheimelnd, malerisch darumgruppiert stehen ungefähr 20 Pfund in Rosenwasser getränkte Törtchen. Über dem Ganzen schwebt ein Banner: »10 Jahre CISU-Synagoge«. Ach so? Naja, der Anlass ist mir inzwischen völlig wurscht, meine Kehle ist ausgedörrt, ich bin am Verhungern. Her mit dem Minztee und meinen heißgeliebten Törtchen!

Sonnenbrille Ich quetsche mich einfach irgendwo dazu und türme ein Dutzend rosa Süßigkeiten auf meinen Teller. Die Sonnenbrille lasse ich auf, so bleibe ich inkognito und kann imposante Mengen in mich reinschaufeln, ehe ich wieder verschwinde. Auch meine Tischnachbarin mampft selig. Erst nach dem dritten Kokosröllchen schaut sie von ihrem Teller auf und mustert mich grinsend. »Na, auch nicht eingeladen worden, Margalit?«, kichert sie mit vollem Mund. »Komm, nimm die blöde Sonnenbrille ab, wir wissen, dass du’s bist.«

Um mich herum fangen alle an zu grinsen. Es stellt sich bald heraus, dass drei Viertel der Anwesenden uneingeladen aufgetaucht sind. Sie waren unsanft aus dem E-Mail-Einladungsverteiler der CISU rausgekickt worden. Nur der erfrischenden Brüsseler Chuzpe ist es zu verdanken, dass trotzdem alle hier aufgetaucht sind und sich jetzt mit Serfatys süßen Teilen die Bäuche vollschlagen.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025