Symbole

Aller guten Dinge sind vier

Die vier Arten: Etrog, Lulaw, Hadas und Arawa Foto: Getty Images/iStockphoto

Symbole

Aller guten Dinge sind vier

Was es mit dem Gebot der Arba Minim auf sich hat

von Rabbiner Boris Ronis  07.10.2022 09:56 Uhr

»Doch am 15. Tag des siebten Monats, wenn ihr den Ertrag des Landes eingesammelt habt, sollt ihr sieben Tage das Fest des Ewigen feiern. Am ersten Tag soll Ruhe sein, und am achten Tag soll Ruhe sein. Und ihr sollt euch am ersten Tag prächtige Baumfrüchte nehmen, Palmwedel und Zweige von dicht belaubten Bäumen und von Bachpappeln und sollt euch vor dem Ewigen, eurem Gott, sieben Tage freuen.« So steht es im 3. Buch Mose 23, 39–40.

Sukkot ist ein Fest, das gefeiert wird, wenn unter anderem die Früchte in Israel geerntet werden. Die Mizwa der »Arba Minim«, der vier Arten, ist aber keine auf Israel begrenzte religiöse Verpflichtung – sie wird vielmehr in der ganzen Welt befolgt. Und dennoch wird der Bezug zum Land Israel als sehr stark empfunden.

himmelsrichtungen Wobei es schon interessant ist, wenn anlässlich dieses Festtags in allen Synagogen weltweit Palmenzweige, gebunden an Bachweidenzweige, zusammen mit einem Myrtenzweig und dazu noch einem Etrog, einer Zitrusfrucht, in alle vier Himmelsrichtungen geschwungen werden.

Warum wird der Feststrauß aus den vier genannten Pflanzenarten eigentlich auf diese Art und Weise während eines Gottesdienstes gewedelt – und weshalb ausgerechnet diese vier? Es gibt dazu einen Midrasch, und der erzählt uns Folgendes über die Beschaffenheiten: Es heißt, dass alle vier den jeweiligen vier Menschengruppen zugeordnet werden können, wie sie in der jüdischen Tradition und in der jüdischen Nation beschrieben werden.

Dazu zählt als Erstes der Etrog, die Zitrusfrucht: Diese riecht und schmeckt gut. Somit wird sie mit einem Menschen verglichen, der gute Taten vollbringt und zudem auch noch ein Toragelehrter ist.
Dann gibt es die Dattel, die durch den Palmenzweig repräsentiert wird. Eine solche Frucht hat einen feinen Geschmack, duftet aber nicht. Sie umschreibt den Teil des Volkes Israel, der zwar die Tora lernt, aber keine guten Taten zu vollbringen vermag.

geruch Als weitere Pflanze ist die Hadas, die Myrte, zu nennen. Sie besitzt als zweifellos prägnantestes Merkmal einen besonders intensiven und guten Geruch. Die Hadas wird mit den Menschen gleichgesetzt, die Gutes tun, aber keine Toragelehrten sind. Last but not least haben wir die Arawa, die Bachweide, die keinen guten Geschmack hat geschweige angenehm duftet. Das bedeutet, dass die Hadas für die Gruppe von Menschen steht, die weder Tora lernen noch gute Taten vollbringen.

Und trotzdem gehören diese vier Arten zusammen, denn sie repräsentieren in ihrer Gesamtheit das jüdische Volk. Darum werden sie auch gemeinsam zum Sukkotfest in alle vier Himmelsrichtungen geschwungen und zeigen dadurch, dass wir als Volk eine Einheit bilden.

Sukkot ist ein Fest,das gefeiert wird, wenn in Israel die Früchte geerntet werden.

Warum aber wurden von Gott in der Tora ausgerechnet diese Pflanzen auserkoren? Zu dieser Frage hat sich der jüdische Arzt und Gelehrte Rabbiner Mosche Ben Maimon, der Rambam, folgende Gedanken gemacht. So glaubte er, dass diese vier Arten ein symbolischer Ausdruck unserer Freude darüber sind, dass die Israeliten die Wüste, die »kein Ort des Samens, der Feigen, der Weinstöcke, der Granatäpfel und des Wassers zum Trinken« (4. Buch Mose 20,5) ist, in ein fruchtbares Land voller Obstbäume und Flüsse verwandelt haben.

Um uns genau daran zu erinnern, greifen wir auf die angenehmste Frucht des Landes, die am besten duftenden Zweige sowie die schönsten Blätter und auch das beste Kraut, das heißt, die Weiden des Baches, zurück.

optik Für diese vier Arten gab es seiner Meinung nach auch einige weitere, ganz praktische Gründe: Erstens waren sie alle in jenen Tagen in Israel reichlich vorhanden, sodass jeder sie schnell zur Hand haben konnte. Zweitens verfügen sie über eine ansprechende Optik, sind beispielsweise wunderschön grün; einige von ihnen, und zwar die Zitrone und die Myrte, fallen durch ihren betörenden Duft auf, während die Zweige der Palme und der Weide eigentlich geruchsneutral sind. Drittens halten sie sich sieben Tage lang frisch und grün, was bei Pfirsichen, Granatäpfeln, Spargel, Nüssen und dergleichen nicht der Fall ist.

Für uns sind sie somit auch ein direkter Verweis auf die Wüste und das Geschenk, das Gott unseren Vorfahren gemacht hat, und zwar das ganz konkrete Land Israel. Durch das Fest und das Schwingen der Arba Minim sollen wir uns daran erinnern, wo genau wir herkommen und welche Wunder uns in diesem Kontext zuteilwurden.

Dass diese eine tiefe Verbundenheit mit dem Land Israel symbolisieren, erklärt auch die Notwendigkeit, warum die Rabbinen es stets für erforderlich betrachtet haben, sich diese vier Arten direkt aus Israel liefern zu lassen.

GENERATIONEN Die Zugehörigkeit und das Andenken an Israel als Land bleiben auf diese Weise erhalten. Sicherlich könnte man jede einzelne der vier Arten auch aus anderen Ländern beziehen, aber so würde ein Stück Verbundenheit verloren gehen und wir würden unseren Bezug zu Israel schwächen.

Man könnte sagen, dass durch die Mizwa der Arba Minim und die Mühen, die die Beschaffung dieser vier Arten aus Israel mit sich bringt, uns eine intensivere Bindung an das Land ermöglicht wird.

Dass die Verbundenheit zum Land Israel, und das gilt besonders für alle Juden, die in der Diaspora leben, wichtig ist, zeigt sich in der besonderen Art und Weise, wie wir uns an selbiges erinnern und uns mit ihm identifizieren. Es können sich nur diejenigen an das erinnern, wer sie sind, wenn nicht vergessen wird, woher man kommt – schließlich geben wir diese Erkenntnis von Generation zu Generation weiter.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

Talmudisches

Das Schicksal der Berurja

Die rätselhafte Geschichte einer Frau zwischen Märtyrertum und Missverständnis

von Yizhak Ahren  24.10.2025

Schöpfung

Glauben Juden an Dinosaurier?

Der Fund der ersten Urzeitskelette stellte auch jüdische Gelehrte vor Fragen. Doch sie fanden Lösungen, das Alter der Knochen mit der Zeitrechnung der Tora zu vereinen

von Rabbiner Dovid Gernetz  23.10.2025

Noach

Ein neuer Garten Eden

Nach der Flut beginnt das Pflanzen: Wie Noachs Garten zum Symbol für Hoffnung und Verantwortung wurde

von Isaac Cowhey  23.10.2025

Rabbiner Noam Hertig aus Zürich

Diaspora

Es geht nur zusammen

Wie wir den inneren Frieden der jüdischen Gemeinschaft bewahren können – über alle Unterschiede und Meinungsverschiedenheiten hinweg

von Rabbiner Noam Hertig  23.10.2025

Bereschit

Die Freiheit der Schöpfung

G›tt hat für uns die Welt erschaffen. Wir haben dadurch die Möglichkeit, sie zu verbessern

von Rabbiner Avichai Apel  17.10.2025

Talmudisches

Von Schuppen und Flossen

Was unsere Weisen über koschere Fische lehren

von Detlef David Kauschke  17.10.2025

Bracha

Ein Spruch für den König

Als der niederländische Monarch kürzlich die Amsterdamer Synagoge besuchte, musste sich unser Autor entscheiden: Sollte er als Rabbiner den uralten Segen auf einen Herrscher sprechen – oder nicht?

von Rabbiner Raphael Evers  17.10.2025

Mussar-Bewegung

Selbstdisziplin aus Litauen

Ein neues Buch veranschaulicht, wie die Lehren von Rabbiner Israel Salanter die Schoa überlebten

von Yizhak Ahren  17.10.2025

Michael Fichmann

Essay

Halt in einer haltlosen Zeit

Wenn die Welt wankt und alte Sicherheiten zerbrechen, sind es unsere Geschichte, unsere Gebete und unsere Gemeinschaft, die uns Halt geben

von Michael Fichmann  16.10.2025