Debatte

Ärger über Entscheidung zu Wittenberger »Judensau«

Blick auf die sogenannte Judensau an der Stadtkirche in der Lutherstadt Wittenberg Foto: imago images/Christian Schroedter

Der Entschluss zum Verbleib der »Judensau« an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg sorgt für Ärger. Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann Hinrich Claussen, äußerte sich enttäuscht.

Er könne zwar die Entscheidung des evangelischen Gemeindekirchenrats inhaltlich nachvollziehen, sei aber über die Art und Weise verärgert, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Donnerstag.

debatte Der Wittenberger Gemeindekirchenrat hatte am Mittwoch nach jahrelangem Streit bekannt gegeben, dass die judenfeindliche Schmähplastik nicht entfernt wird. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte dem epd, die Entscheidung werde sicher nicht alle Positionen in der bisherigen Debatte befriedigen.

Ein von der Gemeinde 2020 eingesetzter Expertenbeirat hatte im Juli empfohlen, die Schmähskulptur von der Fassade zu entfernen und in unmittelbarer Nähe kommentiert auszustellen. Die Fachleute seien nie zu einem Gespräch eingeladen worden, sagte Claussen, der selbst Mitglied des Beirats war. Zudem seien die Experten nicht über die Entscheidung des Gemeindekirchenrats informiert worden.

Ein von der Gemeinde 2020 eingesetzter Expertenbeirat hatte im Juli empfohlen, die Schmähskulptur von der Fassade zu entfernen und in unmittelbarer Nähe kommentiert auszustellen.

Auch der Leiter der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in Wittenberg, Christoph Maier, kritisierte, dass man nicht zum Gespräch eingeladen worden sei. Er hatte die Beiratsgespräche moderiert. Dass nach der Beiratsempfehlung in der Lutherstadt offenbar der Eindruck entstanden sei, man müsse sich gegen die Zerstörung eines etablierten Gedenkortes zur Wehr setzen, konterkariere die gemeinsame Arbeit der vergangenen Jahre. »Wir sind der festen Überzeugung, dass das Gedenkensemble an der Wittenberger Stadtkirche auch ohne das Zeigen der beleidigenden judenfeindlichen Plastik auskommt«, sagte Maier.

martin luther Der EKD-Kulturbeauftragte Claussen sagte, die Entscheidung eines einzelnen Gemeindekirchenrats strahle auf die gesamte evangelische Kirche in Deutschland aus. Dem Wittenberger Fall komme eine besondere Bedeutung zu, die Skulptur sei größer und präsenter als andernorts. Außerdem sei sie mit dem Namen des Reformators Martin Luther (1483–1546) verbunden. Deshalb handle es sich hier nicht um eine Wittenberger Lokalangelegenheit.

Der Antisemitismusbeauftragte Klein sagte, wichtig sei jetzt, dass eine geeignete und zukunftssichere Kontextualisierung gelinge, in die auch jüdische Stimmen einbezogen würden.

Der Gemeindekirchenrat sieht sich in seinem Entschluss durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs im Juni bestätigt, wonach das Relief trotz des antijüdischen Inhalts an seinem historischen Ort verbleiben kann (AZ: VI ZR 172/20). In der Begründung hieß es, dass die Gemeinde sich durch die 1988 eingelassene Bodenplatte und einem erklärenden, einordnenden Text auf einem Aufsteller ausreichend von dem Relief distanziert habe.

Der Kläger Michael Düllmann, selbst Mitglied einer jüdischen Gemeinde, sagte in einem Interview mit dem evangelischen Monatsmagazin »chrismon«, ihn überrasche die Entscheidung des Gemeindekirchenrats nicht. Ihm sei aber nicht klar, warum der Kirchenvorstand eine Expertenkommission eingeladen habe, wenn er deren Empfehlung dann doch nicht folge. epd

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025