Türkei

Zum Feind erklärt

Hass: antiisraelische Demonstration in Ankara 2010 Foto: Reuters

Plötzlich war der Zionismus weg. Am 27. Februar hatte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan auf der UN-Konferenz »Allianz der Zivilisationen« in Wien erklärt: »So wie das für Zionismus, Antisemitismus und Faschismus gilt, ist es unerlässlich, Islamophobie als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu betrachten.« So hat es unter anderem der türkische Nachrichtensender »24« übertragen, und so ist es auch auf YouTube abrufbar. Doch auf der offiziellen Website des Premiers findet sich der Satz so: »Tipki antisemitizm gibi, tipki fasizm gibi Islamafobiyanin da bir insanlik suçu olarak görülmesi kaçinilmaz hal almistir.« Auch ohne türkische Sprachkenntnisse lässt sich feststellen: In der schriftlichen Fassung fehlt der Begriff »Zionismus«.

verlogen Die nachträgliche Korrektur verschaffte Erdogan aber keine bessere Presse in der Welt. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verurteilte Erdogans Worte scharf: »Dies ist eine dieser finsteren und verlogenen Äußerungen, von denen wir dachten, dass sie der Vergangenheit angehören.«

Israels Botschafter in Berlin, Yakov Hadas-Handelsman, sagte seine Teilnahme an einer Konferenz zur Förderung des Dialogs zwischen Religionen und Völkern ab, die am Mittwoch im Deutschen Bundestag stattfinden sollte. Eingeladen war zu der »Muslims, Jews, Christians: Peace is possible!« betitelten Veranstaltung auch der stellvertretende Ministerpräsident der Türkei, Bülent Ariç. Da der türkische Ministerpräsident seine »entsetzlichen Äußerungen und Lügen über den Zionismus« nicht zurückgenommen habe, sehe er sich zur Absage gezwungen, so Hadas-Handelsman.

Als »verletzend, verstörend und vergiftend« bezeichnete der Zentralrat der Juden in Deutschland Erdogans Äußerung. »Mit diesem Ungeist von judenfeindlicher Aggressivität ist es schwer vorstellbar, wie dieser Mann die Türkei jemals in die EU führen will. So öffnet Herr Erdogan die Schleusen von Hass und verschließt die Türen nach Europa – und das ist mehr als schade«, sagte der Zentralratspräsident Dieter Graumann dem Kölner Stadtanzeiger. Der neue Außenminister der USA, John Kerry, übte bei seinem Besuch in Ankara scharfe Kritik an den Äußerungen Erdogans. »Wir stimmen nicht nur nicht damit überein, sondern wir halten sie für verwerflich«, erklärte Kerry bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen Ahmet Davutoglu.

Die türkischen Medien begnügten sich weitgehend damit, die internationale Kritik wiederzugeben, wie sie etwa Kerry oder UN-Generalsekretär Ban Ki-moon formulierten. Mit der Frage, warum auf Erdogans Homepage ausgerechnet der kritisierte Satz unvollständig ist, beschäftigten sich die türkischen Journalisten nicht. Auch der Einwand der eher sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP, dass der Premier mit seinen unbedachten Äußerungen dem Image des Landes schade, tauchte nur vereinzelt auf. Dass die Äußerung ausgerechnet auf einer Konferenz zur Förderung des Dialogs zwischen Religionen und Völkern fiel, wurde bestenfalls zurückhaltend erwähnt.

politsprache Günter Seufert, Türkeiexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, erklärt die Zurückhaltung der türkischen Öffentlichkeit damit, dass »es nichts Neues war, was Erdogan von sich gab, sondern Teil der Politsprache in der Türkei«. Hier werde, anders als in Deutschland, der »Zionismus als eine Bewegung angesehen, die den Palästinensern ihr Land geraubt hat. Dort sieht man darin eine verbrecherische Ideologie«.

Schon vor vier Jahren, beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos, hatte Recep Tayyip Erdogan für einen Eklat gesorgt. Weil er auf einer Podiumsdiskussion nicht die Gelegenheit bekam, auf Äußerungen des israelischen Ministerpräsidenten zur Bombardierung des Gazastreifens zu antworten, stand Erdogan auf und verließ die Runde. Mit dem Angriff auf das türkische Schiff »Mavi Marmara« im Frühjahr 2010 spitzte sich die Situation weiter zu. Israelisches Militär hatte bei einer Attacke auf die Hilfsflotte für den palästinensischen Gazastreifen neun türkische Aktivisten getötet.

Freunde macht sich Erdogan mit seiner Gleichsetzung von Zionismus und Faschismus hingegen in der arabischen Welt. Hier erhielt der Premier, der zugleich Vorsitzender der islamischen Partei »Gerechtigkeit und Entwicklung« ist, die Zustimmung, die ihm der Rest der Welt verweigert.

Deutschland

Rechtsextremismus beunruhigt Deutsche stärker als Zuwanderer

Antisemitische Vorurteile nehmen bei Türkeistämmigen zu, während die Angst vor Rechtsextremismus bei Deutschen ohne Migrationshintergrund besonders hoch ist. Was verrät die neue KAS-Studie noch?

 09.12.2025

Medien

Äußerst ungewöhnlicher Schritt: Irans Staatssender gesteht Fehler bei Kriegsberichterstattung ein

Nach dem Krieg gegen Israel gesteht der Präsident des iranischen Staatssenders eine Falschmeldung ein. Die Hintergründe

 09.12.2025

Umfrage

KAS-Studie: Antisemitische Vorurteile nehmen bei Türkeistämmigen zu

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat eine neue Studie zum Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft vorgelegt. Dabei wurden auch Einstellungen zu Juden abgefragt

 09.12.2025

Naher Osten

Bericht: Keine Rolle für Tony Blair bei Gaza-Friedensrat

Anstelle Blairs ist der bulgarische Diplomat und ehemalige Nahostgesandte Nickolay Mladenov im Gespräch, wie die »Financial Times« vermeldete

 09.12.2025

Frankfurt am Main

Lufthansa Cargo stoppt Militärtransporte nach Israel

Während die politischen Beziehungen zwischen Berlin und Jerusalem eine Annäherung erleben, ist dies im Luftfahrt-Bereich nicht der Fall. Warum?

 08.12.2025

Berlin

Presseschau zum Israel-Besuch von Kanzler Friedrich Merz

Wie bewerten deutsche Leit- und Regionalmedien Merz‘ Antrittsbesuch bei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu?

 08.12.2025

Toronto

Miriam Mattova aus Uber geworfen, weil sie Jüdin ist

»Was passiert ist, ist nicht nur ein unangenehmer Moment. Es ist eine Erinnerung daran, warum es wichtig ist, sich zu äußern«, sagt das Model

 08.12.2025

Gaza

Wie die Hamas Hilfsorganisationen gefügig machte

Einer Auswertung von »NGO Monitor« zufolge konnten ausländische Organisationen in Gaza nur Hilsprojekte durchführen, wenn sie sich der Kontrolle durch die Hamas unterwarfen

von Michael Thaidigsmann  08.12.2025

Jerusalem

Ein neuer Sound?

Unterwegs mit Bundeskanzler Friedrich Merz bei seiner Antrittsreise in Israel

von Philipp Peyman Engel  07.12.2025