Schule

Wissen schaffen

Sind Lehramtsstudenten fähig, über Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Judentum, Christentum und Islam zu berichten? Foto: dpa

Ein Zweifel ist nicht möglich: Die Bundesrepublik Deutschland des frühen 21. Jahrhunderts ist nicht nur eine Immigrations-, sondern – der verpönte Begriff trifft mehr zu denn je – eine multikulturelle Gesellschaft. Sie zeichnet sich dadurch aus, Menschen unterschiedlichster Herkunft eine gemeinsame Zukunft zu verheißen.

Diese Verheißung zu verwirklichen, obliegt dem Bildungssystem. Bei aller Unterschiedlichkeit ihrer Herkunft muss Schülerinnen und Schülern bundesweit und in allen Schulstufen vermittelt werden, dass sie, ihre Kultur und ihr Glaube zu diesem Land gehören – wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise.

reflex Aktuell, angesichts des offen zutage tretenden Judenhasses in Teilen der Popmusik, in Schulen und auf Straßen, wird diskutiert, ob dieser Antisemitismus nicht ein Reflex auf den seit Jahren ungelösten Konflikt zwischen dem jüdischen Staat Israel und den von ihm im Westjordanland beherrschten Palästinensern ist.

Angesichts der sich häufenden Vorfälle hat ein israelisch-britischer Publizist, David Ranan, vorgeschlagen, sich im Unterricht stärker als bisher mit dem Israel/Palästina-Konflikt und demnach weniger mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu befassen. Dieser Vorschlag ist zwar gut gemeint, dürfte aber den israelbezogenen Antisemitismus nur steigern. Nicht zuletzt deshalb, weil es ohne Kenntnis des Holocaust keine staatsbürgerliche Bildung im Sinne des ersten Artikels des Grundgesetzes, des Postulats der Unantastbarkeit der Würde des Menschen, geben kann.

Freilich ist das, was in den USA als »Holocaust Education« bezeichnet wird, in deutschen Schulen bei Weitem nicht, was sie sein könnte und müsste. Das wiederum liegt vor allem an der mangelnden zeithistorischen Bildung der meisten Lehrerinnen und Lehrer sowie am Fehlen begründeter geschichtsdidaktischer Konzepte. Beides führt bei Schülern zum bekannten Gefühl der Übersättigung mit dieser Thematik.

holocaust Ein weiteres Problem besteht darin, dass sowohl zeitgeschichtliche Bildung zum Holocaust als auch aktuell politische Unterrichtung zum Nahostkonflikt Jüdinnen und Juden pauschal entweder als »Opfer« oder als »Täter« erscheinen lässt und nicht als Bürger und Einwohner Deutschlands seit Jahrtausenden bis in die Gegenwart.

Doch genau diese jahrhundertealte Zugehörigkeit muss mit Blick auf Lebensweisen, Kultur, Religion, Sprache sowie Familienbeziehungen, Arbeitsprozesse und Berufsorientierungen vermittelt werden. Dann erst besteht – mit Blick auf andere ethnische, religiöse oder kulturelle Gruppen – die Chance, deutlich zu machen, dass Verschiedenheit normal ist und eine kulturelle Bereicherung für alle darstellen kann.

Zu fragen ist daher, ob die deutsche Bildungslandschaft – 16 Bundesländer mit je mindestens vier verschiedenen Schulformen – die strukturellen Voraussetzungen für einen solchen allgemeinbildenden, Toleranz und Interesse weckenden Unterricht bietet. Das aber ist eindeutig nicht der Fall, die Gründe für diesen Mangel liegen auf der Hand: Kenntnisse der Zeitgeschichte, zumal des Holocaust, sowie Kenntnisse über Judentum, das Christentum und den Islam sind im Lehramtsstudium in den Fachdidaktiken angesiedelt und nicht in den Grundwissenschaften.

toleranz Gewiss: Wer Geschichtslehrerin oder Religionslehrer werden will, wird derlei Kenntnisse mehr oder minder gut erwerben. Indes: Auch Lehrkräfte – etwa für die Fächer Musik, Biologie, Englisch oder Informatik – müssten in der Lage sein, Mädchen und Jungen kompetent über das Judentum und seine bald 2000 Jahre alte Geschichte auf deutschem Boden Auskunft zu erteilen. Sind diese Lehramtsstudierenden – mehr und mehr Menschen verlassen ja die Kirchen – dazu fähig, aufklärend und Toleranz fördernd über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von jüdischer Religion, christlichem Glauben und Islam zu berichten?

Das ist eindeutig nicht der Fall, weswegen Lehramtsstudium und Lehrerbildung grundlegend zu erneuern sind. Das umzusetzen, obliegt im Rahmen des deutschen Föderalismus den Bundesländern und ihren an den Universitäten angebotenen Lehramtsstudiengängen. Zu fordern ist daher, dass nach der längst überfälligen, endlich beschlossenen Aufhebung des bildungsbezogenen Kooperationsverbotes von Bund und Ländern eine neue, bundesweit verbindliche Rahmenordnung für die Grundwissenschaften im Lehramt beschlossen wird.

Religionskunde sowie auf den Holocaust bezogene Zeitgeschichte müssen integraler Teil der Grundwissenschaften werden. Die Initiative für eine solche Rahmenordnung sollte vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit dem neu ernannten Antisemitismusbeauftragten ausgehen. So können Bund und Länder künftige Lehrkräfte dazu befähigen, Kinder und Jugendliche aus verschiedensten Herkunftskulturen zu Bürgerinnen und Bürgern dieses Staates zu bilden; sie mit dem deutschen Grundgesetz und seinem Prinzip der Wahrung der Würde des Menschen, eines jeden Menschen, vertraut zu machen.

Der Autor ist Publizist und Erziehungswissenschaftler in Berlin.

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Gastbeitrag

Kein Ende in Sicht

Der Antisemitismus ist in den vergangenen zwei Jahren eskaliert. Wer jetzt glaubt, dass es eine Rückkehr zum Status vor dem 7. Oktober 2023 gibt, macht es sich zu leicht. Denn auch vor dem »Schwarzen Schabbat« trat der Antisemitismus zunehmend gewaltvoller und offener zutage

von Katrin Göring-Eckardt, Marlene Schönberger, Omid Nouripour  13.11.2025

Israel

Altkanzlerin Merkel besucht Orte der Massaker

Angela Merkel besuchte den Ort des Nova-Festivals und den Kibbuz Nahal Oz

 13.11.2025

Schleswig-Holstein

Polizei nimmt weiteren Hamas-Terroristen fest

Mahmoud Z. soll ein Sturmgewehr, acht Pistolen und mehr als 600 Schuss Munition für Anschläge gegen jüdische und israelische Einrichtungen organisiert haben

 13.11.2025

Berlin

Israelfeindliche Aktivisten klettern auf Brandenburger Tor

Oben angelangt entrollten sie ein Banner, auf dem sie Israel Völkermord vorwarfen

 13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Meinung

BBC: Diese Plattform für anti-israelische Vorurteile und Extremismus ist nicht mehr zu retten

Der öffentlich-rechtliche Sender Großbritanniens hat sich anti-israelischen Vorurteilen und Extremismus geöffnet. Er braucht dringend Erneuerung

von Ben Elcan  13.11.2025

Diplomatie

Israel drängt Merz auf Ende des Teilwaffenembargos

Der Bundeskanzler hatte am 8. August angeordnet, keine Güter auszuführen, die im Krieg gegen die Hamas verwendet werden könnten

 13.11.2025

Entscheidung

Waffen an Israel: Berliner Gericht weist Klagen ab

Sechs überwiegend in Gaza wohnende Personen klagten in zwei Fällen gegen deutsche Waffenlieferungen an Israel. Das Berliner Verwaltungsgericht sieht die Klagen als unzulässig an

 13.11.2025