Interview

»Wir machen keine Vorschriften«

Natan Sharansky Foto: Flash 90

Herr Sharansky, das israelische Kabinett hat Anfang Juni beschlossen, die jüdische Identität und die Verbindung junger Juden in der Diaspora zu Israel zu stärken, mit 30 Millionen Euro allein in der Anfangsphase. Es gibt bereits Programme wie Taglit oder Heritage, die zum Beispiel Reisen nach Israel fördern. Was ist neu an dem Plan der Regierung?
Zunächst einmal hat die israelische Regierung ihr Engagement für die Förderung jüdischer Identität in der Diaspora finanziell stark ausgebaut. Es geht aber nicht darum, den Juden in der Welt Vorschriften zu machen, sondern wir wollen eine echte Partnerschaft zwischen der Regierung Israels und dem jüdischen Volk. Auf jeden Euro, den Israel investiert, kommen zwei, den jüdische Organisationen in der Welt beisteuern.

Ihnen stehen über 90 Millionen Euro zur Verfügung. Ab Sonntag trifft sich das Board of Governors der Jewish Agency in Jerusalem. Geht es konkret um einen Arbeitsplan?
Es gibt schon eine Richtung: Projekte für verschiedene Altersgruppen mit Schwerpunkten auf gemeinsamen Erlebnissen in Israel oder in anderen Ländern. Es gibt auch Projekte, bei denen es um Tikkun Olam geht – Ansätze, die Welt besser zu machen. Jetzt müssen wir uns konkret für zwei oder drei neue Pilotprojekte entscheiden und sie dann über viele Jahre ausbauen, wenn sie Erfolg haben.

Diasporajuden erwarten von Israel, dass es alle religiösen Strömungen des Judentums respektiert – das geht aus einer Untersuchung des Jewish People Policy Institute (JPPI) in Jerusalem hervor. Mit Reuven Rivlin hat Israel jetzt einen Präsidenten, der das Reformjudentum als »Götzendienst« bezeichnet hat. Ein Problem für die Diaspora?
Sie zitieren eine Äußerung von Reuven Rivlin aus dem Jahr 1989. Damals war er nicht Israels Präsident, und nicht einmal Knessetabgeordneter. Er war zum ersten Mal in seinem Leben in einem Reformgottesdienst gewesen, in New Jersey, und war überrascht von der Musik am Schabbat, weil er diesen Ritus noch nicht kannte. Ich glaube, dass er seitdem sehr viel gelernt hat. Ich habe kurz nach seiner Wahl mit Reuven Rivlin gesprochen und von ihm gehört, dass er der Präsident des ganzen jüdischen Volkes sein will. Ich mache mir überhaupt keine Sorgen und glaube, dass er uns mit Würde in der ganzen Welt vertreten wird.

Zurück zur Untersuchung des JPPI: Sie zeigt, dass sich weltweit viele Juden wegen der Besatzung im Westjordanland Sorgen um die Zukunft der israelischen Demokratie machen ...
Ich kenne diese Befragung, ich war selbst an einigen Treffen beteiligt. Und ich wäre sehr froh, wenn die Besatzung eines Tages verschwinden würde. Aber den meisten Israelis ist klar, dass wir nicht einfach fliehen können, so wie wir es im Gazastreifen getan haben. Das Ergebnis war das stärkste Terrorlager im Nahen Osten. Für ein Friedensabkommen mit den Palästinensern brauchen wir einen Partner. Ich glaube, da gibt es keine Meinungsverschiedenheiten zwischen der israelischen Regierung und dem Judentum in der Welt.

Mit dem Chef der Jewish Agency in Jerusalem sprach Ayala Goldmann.

Reaktion

Steinmeier: Margot Friedländer hat Deutschland Versöhnung geschenkt

Bundespräsident Steinmeier trauert um Margot Friedländer, mit der er auch persönlich verbunden war. Nun ist die Holocaust-Überlebende im Alter von 103 Jahren gestorben

von Thomas Struk  09.05.2025

Porträt

Ein Jahrhundertleben

Tausende Schüler in Deutschland haben ihre Geschichte gehört, noch mit über 100 Jahren trat sie als Mahnerin auf. Margot Friedländer war als Holocaust-Zeitzeugin unermüdlich

von Verena Schmitt-Roschmann  09.05.2025

Nachruf

Trauer um Holocaust-Überlebende Margot Friedländer 

Mit fast 90 kehrte Margot Friedländer zurück nach Berlin, ins Land der Täter. Unermüdlich engagierte sich die Holocaust-Zeitzeugin für das Erinnern. Nun ist sie gestorben - ihre Worte bleiben

von Caroline Bock  09.05.2025

Interview

»Es gilt für mich eine Null-Toleranz-Politik gegen Antisemitismus«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer über seine erste Amtshandlung, seine Vorgängerin Claudia Roth und den Umgang mit der antisemitischen BDS-Bewegung

von Philipp Peyman Engel  09.05.2025

Berlin

Israelfeindlicher Post: »Die Linke« distanziert sich von Vorstandsmitglied

Eine Landkarte von Israel, die mit den Farben der palästinensischen Flagge gefüllt ist und für eine Vernichtung des jüdischen Staates steht, geht dem höchsten Parteigremium zu weit

 09.05.2025

Berlin

Antisemitismus und Lage in Gaza: Merz telefoniert mit Netanjahu

Der Kanzler habe seine Hoffnung zum Ausdruck gebracht, »dass bald Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gang kommen«

 09.05.2025

Berlin

Verleihung von Bundesverdienstkreuz an Margot Friedländer verschoben

Erst vor einem Monat erhielt die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer den Preis des Westfälischen Friedens. Die Verleihung einer weiteren hohen Auszeichnung findet kurzfristig jedoch nicht stat

 09.05.2025

Berlin

»Jetzt lebt es sich besser in diesem Land«

Lea Rosh hat sich jahrelang für das Denkmal für die ermordeten Juden Europas eingesetzt. Ist das ihr Lebenswerk? Darauf antwortet sie im Interview

von Verena Schmitt-Roschmann  09.05.2025

Meinung

Der 8. Mai und die falschen Schlüsse

Es ist schwer, Menschen zu kritisieren, die traumatische Erfahrungen gemacht haben, aber auch Schoa-Überlebende können irren. Denn einen Bogen von der industriellen Vernichtung der Juden zum Verteidigungskrieg Israels in Gaza zu ziehen, ist falsch

von Daniel Neumann  09.05.2025