Hintergrund

Wer für EU-Sanktionen gegen Israel ist - und warum Deutschland (noch) nicht zustimmt

Der Rat der Ständigen Vertreter der 27 EU-Mitgliedsstaaten war sich nicht einig über den Vorstoß der Kommission Foto: Alexandros Michailidis/Europäische Union

In Brüssel und den europäischen Hauptstädten wächst zwar die Sorge über die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und auch die Kritik an Israel. Doch beim Treffen des Ausschusses der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsstaaten am Dienstagabend war der Widerstand gegen die von der Europäischen Kommission am Vortag empfohlene Sanktionierung Israels groß.

Informationen der Jüdischen Allgemeinen zufolge unterstützten nur sieben der 27 Vertreter ausdrücklich den Vorstoß der Behörde, Israel mit sofortiger Wirkung aus dem »EIC Accelerator« auszuschließen. Der Fördertopf ist Teil des milliardenschweren EU-Forschungsprogramms »Horizon Europe«.

Zu den Befürwortern gehörten unter anderem Frankreich, Spanien und die Niederlande. Diesen drei Regierungen ging der Sanktionsvorschlag der Kommission angesichts der Not im Gazastreifen nicht weit genug. Auch kleine EU-Staaten wie Irland, Luxemburg und Malta signalisierten Zustimmung. Drei weitere Länder – Belgien, Portugal und Schweden – teilten mit, man werde die Empfehlung wohlwollend prüfen, wolle zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht darüber abstimmen.

Offen gegen das Vorhaben der Kommission stellten sich hingegen fünf EU-Mitgliedsstaaten: Bulgarien, Griechenland, Österreich, Tschechien und Ungarn. Sie sehen den Ausschluss innovativer israelischer Unternehmen aus dem EU-Forschungsprogramm als nicht zielführend an. Dies schade sogar den ureigenen Interessen der Europäischen Union mit Blick auf Schlüsseltechnologien, argumentierten sie in der Sitzung.

Berlin präferiert Sanktionierung von israelischen Siedlern

Vorsichtiger Widerstand kam auch von Deutschland, obwohl die Bundesregierung gleichzeitig ihre Kritik an Israels Vorgehen in Gaza bekräftigte. Die am 10. Juli mit der EU geschlossene Vereinbarung zur Aufstockung der humanitären Hilfen für die Palästinenser in der Küstenenklave werde von der Regierung in Jerusalem nur unzureichend umgesetzt, und die jetzt eingeleiteten Maßnahmen seien nur ein erster Schritt, betonte der deutsche Vertreter in der Sitzung.

Israel sei zudem vor Ort die einzige Partei, die die Versorgung der Bevölkerung in Gaza gewährleisten könne. Deutschland wolle sich an den Hilfslieferungen beteiligen, sei sich aber der beschränkten Wirkung bewusst, was die Abwürfe von Hilfsgütern aus der Luft angehe.

Die Beschlussvorlage der Kommission nahm die Bundesregierung zunächst nur zur Kenntnis, positionierte sich aber noch nicht dazu. Der Vorschlag müsse vor einer Abstimmung erst einmal eingehend beraten werden. Das deutsche Abstimmungsverhalten bleibt damit weiter unklar. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte klargemacht, dass man sich alle Schritte vorbehalte.

Wie Deutschland sich verhält, das macht die Bundesregierung in Brüssel aber schon einmal deutlich, hänge maßgeblich vom weiteren Verhalten Israels ab. Und auch, dass man nichts gegen eine Sanktionierung israelischer Siedler im Westjordanland durch die EU einzuwenden hätte. Ein solcher Schritt müsse jetzt auf den Weg gebracht werden, fordert Berlin nach Informationen dieser Zeitung. Um Personen und Organisation auf die EU-Sanktionsliste zu setzen, darf allerdings kein EU-Staat mit Nein stimmen; allenfalls eine Enthaltung wäre möglich.

Im Gegensatz dazu braucht der Vorschlag der Europäischen Kommission eine sogenannte qualifizierte Mehrheit, um in Kraft zu treten. Mindestens 15 der 27 Mitgliedsstaaten müssen ihm zustimmen, und diese Mehrheit muss wiederum mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Damit kommt Deutschland und Italien eine Schlüsselrolle zu. Denn in diesen beiden Ländern lebt knapp ein Drittel der EU-Bevölkerung. Gemeinsam mit Staaten wie Ungarn und Tschechien könnten Berlin und Rom den EU-Beschluss selbst dann vereiteln, wenn ihm deutlich mehr als 15 Länder zustimmen sollten.

Deutschland und Italien zusammen nah an Sperrminorität

Auch in Rom besteht offenbar noch Prüfungsbedarf. Die italienische Regierung von Giorgia Meloni hat noch keine Zustimmung in Aussicht gestellt. Kroatien, Rumänien, Zypern und die baltischen Staaten zögern ebenfalls. In Brüssel soll nun im Ferienmonat August auf Arbeitsebene weiter über den Vorschlag beraten werden. Falls sich keine Einigung findet, will der Ausschuss der Ständigen Vertreter bei seiner nächsten regulären Sitzung Anfang September abstimmen, erfuhr die Jüdische Allgemeine.

Die EU-Institutionen wollen indes sowohl den Dialog mit der israelischen Regierung als auch den Druck auf sie weiter aufrechterhalten. Sie fordern aber weitere Hebel dafür. Die Kommission betonte in einem Briefing für Journalisten am Dienstag, der von ihr gemachte Sanktionsvorschlag sei »verhältnismäßig«. Weitere Maßnahmen gegen Israel behielt sie sich ausdrücklich vor.

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Allein im vergangenen Jahr erhielten israelische Firmen mehr als 100 Millionen Euro aus dem EIC-Accelerator-Fördertopf. Sie standen damit hinter Deutschland und Frankreich auf dem dritten Platz der Empfänger. Insgesamt haben israelische Start-ups laut EU-Kommission seit 2021 rund 200 Millionen Euro an Förderung erhalten. Davon sind 135 Millionen als Zuschüsse und 65 Millionen als Eigenkapitaleinlage der EU geflossen.

Wenn der Kommissionsvorschlag angenommen wird, könnten ab dem 1. Oktober keine Bewerbungen für Förderung mehr von Unternehmen mit Sitz in Israel angenommen werden. Fast eine Milliarde Euro soll auch in diesem Jahr wieder ausgeschüttet werden an Start-ups, die sogenannte »disruptive« Technologien und Verfahren an den Markt bringen wollen.

Das EIC-Accelerator-Programm sei von der Kommission auch deswegen als Instrument zur Sanktionierung ausgewählt, weil so zielgenau israelische Firmen ins Visier genommen werden könnten und keine negativen Konsequenzen für mögliche Partner aus anderen Staaten zu erwarten seien, hieß es aus Kommissionskreisen. Ausdrücklich richte sich die Maßnahme aber nicht gegen einzelne Technologien oder sogenannte Dual-Use-Güter wie Drohnen, sondern gegen die Beteiligung israelischer Firmen an sich, betonte ein Kommissionsbeamter im Pressebriefing.

Von der Leyen-Vize vergleicht Lage in Gaza mit Holocaust

Unterdessen übte die spanische Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Teresa Ribera, unverhohlen Kritik an ihren Kollegen und an anderen Mitgliedsstaaten. In der Radiosendung »Hoy por hoy« verglich die sozialistische Politikerin die Zustände und die Bilder in Gaza mit dem Holocaust. Ribera zog eine Parallele zum Warschauer Ghetto und zur Befreiung des NS-Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau 1945.

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»Wir sind Zeugen eines grauenhaften, unerträglichen, unmenschlichen und unmoralischen Spektakels«, sagte sie dem Sender »Cadena SER«. Die aktuelle Situation sei durch die Militäraktion Israels in Gaza entstanden, so die Stellvertreterin von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weiter.

Jeder in der EU bringe seine eigene Kultur und Perspektive mit, was sich in den Debatten widerspiegele. Bislang habe man deswegen nicht über das bereits Vorgeschlagene hinausgehen können, denn es gebe keine Mehrheiten für eine härtere Haltung gegenüber Israel. Offen sprach Ribera sich für die Verhängung von weiterer Strafmaßnahmen gegen den jüdischen Staat, um die Kriegshandlungen zu stoppen. »Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit; die Menschen in Gaza hungern«, betonte sie.

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