Antisemitismus an Unis

»Viele haben die Tragweite dieser Bewegung nicht verstanden«

Ahmad Mansour Foto: picture alliance/dpa

Letzte Woche unterschrieben Hunderte Lehrkräfte Berliner Hochschulen einen Unterstützerbrief für »propalästinensische« Demonstranten. Mit Parolen wie »Fuck you, Israel!« hatten letztere ihre wahre Motivation klargemacht: Israel- und Judenhass.

Dass sich nun Uni-Dozenten für diese Studenten einsetzen, die auch an der FU Berlin Universitätsgelände besetzten, um Israel zu beschimpfen und Verschwörungstheorien zu verbreiten, geht Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) zu weit: »Dieses Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten macht fassungslos«, erklärte sie.

Gegenüber der Jüdischen Allgemeinen äußerte sich nun Remko Leemhuis, der Direktor des American Jewish Committee (AJC) Berlin: »Es ist erschreckend, wenn auch wenig überraschend, dass sich so viele Hochschullehrer mit diesen antisemitischen Pro-Hamas-Mobs solidarisieren. Dass sie aber nun sogar die Hochschulen dazu auffordern die Strafverfolgung zu unterlassen und damit Universitäten zu einem rechtsfreien Raum machen wollen, ist ohne Zweifel ein Dammbruch.«

Deutliche Verurteilung

Schon jetzt trauten sich jüdische Studenten in Berlin, aber auch bundesweit, zum Teil nicht mehr auf den Campus – aus Angst vor Anfeindungen und Angriffen, so Leemhuis, »weil sie seit dem 7. Oktober kaum Solidarität von Kommilitonen und Professoren sowie Lehrenden erfahren haben. Und nun sehen sie erneut, dass sie auf keine Unterstützung zählen können.«

Diese »offene Solidarisierung mit Leuten, die unverhohlen eine Vernichtung des jüdischen Staates fordern«, werde die Situation weiter verschärfen, so Leemhuis.

»Wir erwarten von den Universitätsleitungen eine deutliche Verurteilung dieses Briefes und seiner Forderungen und weiterhin, dass solche Camps und Besetzungen auch in der Zukunft konsequent mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln des Rechtsstaates unterbunden und Straftaten konsequent angezeigt werden. Festgestellte Straftäter müssen ebenso konsequent exmatrikuliert werden«, betonte der Berliner AJC-Direktor. »Ferner erwarten wir, dass sich die Verantwortlichen an den Universitäten ohne Wenn und Aber an die Seite der jüdischen Studenten stellen.«

Dozenten als »Mittäter«

Der Psychologe und Autor Ahmad Mansour sagte im Gespräch mit dieser Zeitung, die Tatsache, dass sich nun Universitätsprofessoren mit antiisraelischen Aktivisten solidarisierten, überrasche ihn nicht: »Und ich glaube, dass viele Menschen einfach die Tragweite dieser Bewegung nicht verstanden haben«, so der palästinensische Israeli, der aus seiner eigenen Community bedroht und daher rund um die Uhr bewacht wird.

»Wenn Sie denken, es handelt sich um ein paar palästinensische Studenten, die irgendwie Amerikaner nachahmen wollen, dann liegen Sie absolut falsch«, so Mansour. »Das ist eine Bewegung, die sich in bestimmten Fakultäten seit Jahren etabliert.«

»Jetzt stellen sich die Dozenten auf die Seite derer, die diese Ideologie, die in großen Teilen Antisemitismus befeuert, verbreiten. Sie sind aber nicht nur solidarisch mit ihnen, sondern sie sind Mittäter. Und wenn wir das nicht verstanden haben, dann werden wir auch diesen Kampf nicht gewinnen«, erklärte Mansour gegenüber der Jüdischen Allgemeinen.

Neue Strukturen

»Es ist ein Kulturkampf, der überall im freien Welt gerade stattfindet. Und wir behandeln nur symptomatisch das, was auf der Haut sichtbar wird. Aber dass es hier um was ganz anderes, tiefgreifendes geht, haben die meisten nicht verstanden.«

Mansour meint, die Leitungen der von den Besetzungen und antiisraelischen Protesten betroffenen Universitäten hätten seit Monaten versagt. »Ich rufe hier dazu auf, dass sie ihr Amt einfach niederlegen und dass wir neue Strukturen schaffen, die auch bereit sind, diesen Kampf zu führen und für Ordnung zu sorgen – und dafür zu sorgen, dass sich jüdische Studenten einfach sicher fühlen an dem Campus, was im Moment nicht der Fall ist.«

»Die anderen müssen wir einfach identifizieren, als Feinde eines freiheitlichen, demokratischen Deutschlands bezeichnen und mit denen in einen Diskurs gehen, um klarzumachen, warum solche Bewegungen problematisch sind. Und ich hoffe, dass wir ein bisschen tiefer gehen, als nur über irgendeinen Brief zu reden.« Es gehe um »Strukturen, die da entstanden sind, die teilweise auch mit unseren Steuergeldern finanziert werden.«

Rechtsfeier Raum

Für Volker Beck, den Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG), ist die Solidaritätserklärung der Berliner Dozenten »in mehrfacher Hinsicht verquer«.

»Wieso soll die Universität ein rechtsfreier Raum sein? Die Begründung ist mir schleierhaft«, so Beck auf Anfrage. »Lehrende der Berliner Hochschulen fordern von Uni-Leitungen, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen. Antisemitismus interessiert diese Lehrenden mit keiner Silbe.« 

»Gewaltaufrufe wie ›Intifada von Berlin bis Gaza‹ fallen wohl unter die Kategorie ›Räume der kritischen Öffentlichkeit‹. Dies sind dann perspektivisch wohl ›judenfreie Räume‹«, so Beck.

Repressive Mittel

Seiner Ansicht nach ist das Problem des Israel- und Judenhasses an den Unis komplex: »Der Antisemitismus ist nicht nur ein Phänomen der Rechten, der AfD und ähnlicher Dumpfbacken. Er findet sich auch nicht aufgearbeitet in den Köpfen von Akademikern und im linken Milieu. Viele bilden sich allerdings ein, wenn man gegen Rechts sei, sei man raus aus der Nummer von über zwei Jahrtausenden Judenhass auf unserem Kontinent. Anders kann man die Obsession mit Israel bei vielen gar nicht verstehen.«

»Universitätsleitungen müssen die Regeln des freien wissenschaftlichen Diskurses durchsetzen«, sagt Beck. Zur Not müsse dies auch mit repressiven Mitteln gegen die Feinde der freiheitlich-demokratischen Grundordnung geschehen. »Antisemitismus, Rassismus und andere menschenverachtende Haltungen stehen im Widerspruch zum Schutz der Menschenwürde und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.« 

Universitäten müssten in ihren Curricula »und im Studium Generale« die Themen jüdisches Leben, Religion, Geschichte und Kultur, die Geschichte des Zionismus und des jüdischen Staates, sowie die verschiedenen Formen und Traditionen des Antisemitismus und des Judenhasses thematisieren, meint der frühere Grünen-Abgeordnete im Bundestag. »Der Antisemitismus frisst unsere Freiheit auf. Hier muss politische Bildung ansetzen und gegensteuern.«

Giftig und aggressiv

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, der für seine Fraktion auch Berichterstatter für jüdisches Leben im Innenausschuss ist, erklärte, es wäre die moralische Pflicht von Professoren und Dozenten, »sich solidarisch zu zeigen mit Juden in Deutschland, die zunehmend angefeindet werden und sich bedroht fühlen sowie mit dem Staat Israel, der um seine Existenz kämpft gegen den Hamas-Terror.«

»Stattdessen heizen sie mit ihrer sogenannten Solidaritätserklärung die israelfeindlichen Proteste, die immer giftiger und aggressiver werden, noch an und lassen den mörderischen Hamas-Angriff bewusst unerwähnt«, sagte de Vries dieser Zeitung. »So schlimm dieser Vorgang ist: Er kommt für mich nicht überraschend.«

Bestimmte Kreise der deutschen Hochschullandschaft, die Muslime überwiegend als Opfer einer rassistischen Mehrheitsgesellschaft betrachteten und damit den zunehmenden Islamismus verharmlosten, hätten kulturelle Hegemonie an vielen Universitäten erlangt und wirkten auch weit in die Kulturszene hinein, so Christoph de Vries.

Gefährliche Strömungen

»Ein Anfang wäre, wenn sich Wissenschaftsministerinnen und -minister gemeinsam mit den Hochschulleitungen kritisch mit dem Wirken dieser gefährlichen Strömungen beschäftigen würden und bei Bedarf entsprechende Lehrstühle und Institute infrage stellen. Ein Freibrief für Antisemitismus und Israelhass darf die Freiheit der Wissenschaft in jedem Fall nicht sein«, meint der CDU-Politiker.   

Auch Felix Klein kommentierte die Solidaritätserklärung der Uni-Dozenten: »Gerade Universitäten sollten ein Ort des Austausches und des offenen Dialogs sein«, erklärte der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus.

»Etliche Lehrkräfte der Freien Universität in Berlin haben unterdessen eine Stellungnahme unterschreiben, die sich bewusst von diesem Grundsatz distanziert. Ich schaue mit wachsender Sorge auf diese Entwicklung der zunehmenden Polarisierung und der weiteren Eskalation eines ungehemmten Antisemitismus«, so Klein.

Zutiefst irritiert

Für viele jüdische Studierende sei kein normaler Uni-Alltag mehr denkbar. Sie würden bedroht, eingeschüchtert und seien mit Sprechchören von Kommilitonen konfrontiert, die auf die Auslöschung Israels zielten.

»Ich sehe eine Verrohung, die den Grundsätzen einer demokratischen Debattenkultur zuwiderläuft und das dürfen wir als demokratische Gesellschaft nicht hinnehmen. Hervorheben möchte ich zugleich das besonnene Vorgehen der Berliner Polizei im Zusammenhang mit den Protesten an der Freien Universität«, sagt Felix Klein.

Auch Samuel Salzborn, der Ansprechpartner des Landes Berlin zu Antisemitismus, ist besorgt. »Zumindest in meinem Fach, der Politikwissenschaft, sind die Grundlage für wissenschaftliche Debatten Fakten. Vor diesem Hintergrund bin ich zutiefst irritiert über das ›Statement der Professoren‹, das offenbar starke Meinungen vertritt, ohne die Fakten zur Kenntnis zu nehmen.«

Eindeutige Sachlage

Hintergrund der antisemitischen Eskalationen in Berlin, auch und gerade an den Hochschulen, sei der barbarische antisemitische Terroranschlag der Hamas vom 7. Oktober. »Dass es bei israelfeindlichen Versammlungslagen und Aktionen an den Berliner Hochschulen seitdem zu massiver antisemitischer Eskalation gekommen ist, sollte als bekannt vorausgesetzt werden können - wie auch als Kontext der Versuch, israelfeindliche Aktivitäten an amerikanischen Hochschulen in Deutschland zu plagiieren«, sagt Salzborn.

»Auch wenn es irritiert, wenn all das ignoriert wird, bleibt die Sachlage immer noch eindeutig: Die Versammlung war nicht angemeldet, die Universität hat das Hausrecht, es kam zu einer Reihe von Straftaten, die auch, wenn sie an einer Uni erfolgen, Straftaten sind.«

»Wenn in dem ›Statement‹ die Notwendigkeit von Debatten eingefordert wird, scheint zudem geflissentlich übersehen zu werden, dass genau diese Debatten sowohl von der HU-Präsidentin (Humboldt-Universität) wenige Tage zuvor, wie auch vom FU-Präsidenten angeboten worden sind - aber eben als wissenschaftliche Diskussionen ohne Antisemitismus.« Diese seien von den Protestierern abgelehnt worden, »da es ihnen nicht um wissenschaftlichen Pluralismus auf der Basis der Demokratie, sondern um die Verbreitung von Antisemitismus und Israelhass geht«, sagte Salzborn dieser Zeitung.

Postmoderner Nebel

»An einer Stelle liegt das ›Statement‹ allerdings richtig - nur ganz anders, als es formuliert wurde: Wir brauchen dringend die akademische Debatte, aber die über Antisemitismus und Israelhass, auch dem unter Studierenden, die über die fundamentale Infragestellung demokratischer Normen bei den israelfeindlichen Aktionen – und auch die über die Notwendigkeit, Fakten nicht in einem postmodernen Nebel verschwimmen zu lassen.«

Schon vergangene Woche hatte auch der Antisemitismusbeauftragte des Landes Hessen, Uwe Becker, Stellung genommen: »Für Juden gibt es derzeit keine Religionsfreiheit in Deutschland und Europa und kaum jemanden interessiert es.«

»An Schulen und Hochschulen wächst der Antisemitismus mit enormer Geschwindigkeit, denn gerade auch durch die Verbreitung judenfeindlicher Propaganda über die sozialen Netzwerke, wird die junge Generation in besonderem Maße mit dem Ungeist des Antisemitismus vergiftet«, erklärte Becker.

Ebenfalls in der letzten Woche sagte Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gegenüber »Bild«: »Den Aktivisten geht es weniger um das Leid der Menschen in Gaza, sondern sie werden von ihrem Hass auf Israel und Juden angetrieben. Gerade von Hochschuldozenten hätte ich erwartet, dass dies zumindest klar benannt wird, wenn sich schon für diese Form des Protestes eingesetzt wird.«

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