Pro & Contra

Soll man auf Online-Hass reagieren?

PRO - Hanna Lea Pustilnik findet, das ist eine Chance, aktiv dagegenzuhalten

In der heutigen Zeit ist das Leben ohne soziale Medien kaum noch vorstellbar. Laut »spielwarenmesse.de« verbringt der durchschnittliche Erwachsene rund 18,7 Stunden pro Woche auf Social Media. Diese Plattformen verbinden Menschen auf vielfältige Weise – ob durch Trends, Urlaubsbilder oder den Austausch mit Familie. Doch der digitale Raum, in dem so viel geteilt wird, wird leider auch für Hassrede missbraucht.

Als ich ein TikTok mit meiner Davidstern-Kette gepostet habe, erhielt ich Dutzende Nachrichten – einige unterstützend, viele voller Hass. Es war verletzend und beängstigend, aber auch ein Wendepunkt: Schweigen ist keine Option. Gerade jüdische Nutzerinnen und Nutzer wie ich sind überdurchschnittlich oft digitalem Hass ausgesetzt. Während viele sich davon zurückziehen, frage ich mich: Liegt darin nicht auch eine Chance, aktiv dagegenzuhalten?

Hass im Netz entsteht oft durch Falschinformationen. Besonders antisemitische Aussagen und Stereotype werden so verbreitet. Hier kann Aufklärung helfen. Auf TikTok, Instagram und Co. zeigen jüdische und nichtjüdische Creatorinnen und Creator, wie man in kurzen Clips komplexe Inhalte erklärt – etwa zu antisemitischen Klischees oder zur Instrumentalisierung des Nahostkonflikts. Solche Inhalte erreichen Tausende Menschen. Auch das Teilen, Verlinken seriöser Quellen oder Kommentieren mit Fakten trägt zur digitalen Aufklärung bei.

Es geht nicht darum, alle zu überzeugen. Aber Falschinformationen sollten nicht unkommentiert stehen bleiben – denn sie schaffen Raum für Hass. Indem wir widersprechen, ziehen wir klare Grenzen. Natürlich lässt sich nicht jede Diskussion mit Fakten gewinnen, und nicht jeder ist bereit zuzuhören. Wenn Hass persönlich und offen wird, sind andere Maßnahmen gefragt. Denn digital aktiv zu sein, bedeutet nicht, den eigenen Schutz zu vernachlässigen.

Soziale Medien bieten viele Schutzfunktionen: blockieren, melden, einschränken. Diese Optionen werden oft unterschätzt. Bei strafrechtlich relevanten Inhalten – wie Holocaustleugnung, Volksverhetzung oder Gewaltdrohungen – sollten Beweise per Screenshot gesichert und Anzeige erstattet werden. Organisationen wie RIAS bieten emotionale und rechtliche Unterstützung.

»Es ist wichtig, als Community sichtbar zu bleiben.«

Hanna Lea Pustilnik

Wichtig ist auch, über weniger bekannte Schutzfunktionen Bescheid zu wissen: Auf Instagram lassen sich etwa bestimmte Begriffe in Kommentaren automatisch ausblenden. Auf TikTok kann man problematische Wörter blockieren. Leider sind diese Funktionen oft deaktiviert und vielen gar nicht bekannt. Gerade Jugendliche und ihre Eltern sollten hier gut informiert sein.

Online Zivilcourage zu zeigen, heißt nicht, sich selbst zu gefährden. Es heißt, Verantwortung zu übernehmen – für sich selbst und andere. Der Kampf gegen Hass gelingt nicht im Alleingang. Solidarität ist entscheidend. Ein unterstützender Kommentar, ein Like oder das Teilen persönlicher Geschichten kann viel bewirken. Es zeigt: Du bist nicht allein. Und genau das schwächt den Hass.

Heute tarnen sich antisemitische Vorurteile oft in Form von Memes oder subtilen Anspielungen. Umso wichtiger ist es, als Community sichtbar zu bleiben. Zu sagen: Wir sind hier. Wir sind Teil dieser Gesellschaft. Wir hören zu – und wir lassen Hass nicht einfach so stehen.

Dabei ist es essenziell, auf sich selbst zu achten. Der Einsatz gegen Hass kann emotional belastend sein. Pausen, Gespräche mit Freundinnen und Freunden, Austausch in geschützten Räumen oder professionelle Hilfe – all das ist wichtig, um langfristig aktiv bleiben zu können.

Das Internet bietet nicht nur Risiken, sondern auch Chancen. Es ist ein Ort, an dem wir Vorurteile abbauen und Respekt sichtbar machen können. Jeder Klick, jedes Teilen, jedes Statement zählt. Also: nicht wegschauen – sondern mitmachen. Mit Mut, Verstand und vor allem mit Selbstschutz.

Hanna Lea Pustilnik studiert Management und Economics an der Ruhr-Uni Bochum.

***

CONTRA - Mascha Malburg meint: Man muss an irgendwelche Hater keine Gedanken verschwenden

Manchmal scrolle ich über vor Hass triefende Kommentarspalten und frage mich, ob sie nicht doch das ausdrücken, was ohnehin die meisten denken. Ob die Kommentatoren nur Trolls sind oder auch meine Nachbarn sein könnten. Auch ich kann es nicht lassen, zu schauen, was die Nutzer so schreiben, vor denen mich sogar Elon Musks X warnt – ja, auch ich klicke auf: »Weitere Antworten anzeigen, inklusive solcher, die beleidigende Inhalte enthalten können.« Gut geht es mir danach nicht.

Als Journalistin treibt mich natürlich Neugierde, aber auch die Verantwortung, mich mit der Kritik meiner Leser zu befassen und ein Gefühl für die gesellschaftlichen Debatten zu bekommen. Früher tummelte ich mich dafür stundenlang auf Twitter, wie es damals noch hieß. Auch die Kollegen taten das. Und ich erinnere mich, wie ein unüberlegter Tweet in den Redaktionskonferenzen zum »gegenwärtigen Diskurs« aufgebauscht wurde.

Dabei mussten wir alle später im Gespräch mit Freunden feststellen, dass wirklich niemanden diese vermeintliche Debatte umtrieb. Und dass die wahren gesellschaftlichen Konfliktlinien außerhalb der Blase verlaufen. Auch habe ich realisiert, dass schimpfende Kommentatoren unter meinen Artikeln meist damit zu klären waren, dass sie meinen Text nie gelesen hatten und meine Schlagzeile in dem Moment als Projektionsfläche für ganz andere Aggressionen diente.

Ein gutes Gefühl für die Debatte bekommt man eben nicht, wenn man den ganzen Tag auf X abhängt. Sondern in der Eckkneipe, beim Familienfest, im Wartezimmer beim Arzt. Das Gleiche möchte ich für den Antisemitismus in unserer Gesellschaft konstatieren. Wer verstehen will, wie die Deutschen zu ihrer Vergangenheit, zu Juden, zu Israel stehen, sollte Kommentarspalten meiden. Viel mehr erfährt man, wenn man im echten Leben zuhört. Das ist mitunter nicht weniger hart. Aber ergibt doch immer ein sehr viel breiteres Bild. Und: Im Gegensatz zum »reply« auf X bringt hier Gegenrede tatsächlich etwas.

»Ich muss mich dem Hass nicht die ganze Zeit aussetzen.«

Mascha Malburg

Nicht immer ist man sich einig, aber fast immer entsteht ein Gespräch. Einmal warf mir ein Gast auf einer WG-Party auf die Frage, für wen ich arbeite, eine ganze Ladung an Vorwürfen an den Kopf. Aus der reinen Tatsache, dass ich für eine jüdische Zeitung schreibe, folgerte er, ich nutze den »deutschen Schuldkult«, um einen »Genozid« zu unterstützen, und befürworte »Siedlerkolonialismus«. Das war wenige Wochen nach dem 7. Oktober 2023. Ich verließ wortlos den Raum, schließlich die Party. Doch als ich draußen in der Kälte stand, wurde ich so wütend, dass ich umkehrte.

Ich fragte ihn, wie er sich erkläre, dass gerade die Zahlen der antisemitischen Straftaten rasant anstiegen. Er schwieg. Dann begannen wir zu reden. Ich glaube, ich war die Erste, die ihm vorwarf, dass seine vermeintlich progressive Weltsicht auf ganz altem Judenhass beruht. An seiner menschlichen Reaktion konnte ich ablesen, dass dieser Vorwurf etwas in ihm auslöste. Vielleicht habe ich ihn nicht überzeugt, aber ich habe ihn bewegt. Das fühlte sich sehr viel sinnvoller an, als mit unkenntlichen Profilbildern zu streiten.

Solche Konfrontationen bleiben in meinem Leben aber die Ausnahme, auch offline. Wenn jemand Fremdes fragt, erzähle ich oft, ich sei freie Autorin, und nenne kein spezifisches Medium. Ich spare meine Kräfte. Wenn ich wissen will, was die Leute über Juden denken, schaue ich immer seltener in Kommentarspalten. Die wesentlich aufschlussreicheren Erhebungen, etwa die Leipziger Autoritarismus-Studie, sind erschreckend genug. Über den Krieg in Israel spreche ich mit ausgewählten Freunden, deren Meinungen ich schätze, gerade weil sie mich klug herausfordern.

Hass zu bekämpfen, heißt für mich nicht, sich ihm die ganze Zeit auszusetzen. Sondern Resilienz aufzubauen, solidarische Netzwerke zu knüpfen. Oder einfach mal einen Abend durchzuatmen, ohne an irgendwelche Hater auch nur einen Gedanken zu verschenken.

Mascha Malburg ist Redakteurin der »Jüdischen Allgemeinen«.

Sagen Sie uns Ihre Meinung: leserbrief@juedische-allgemeine.de

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