Anschlag

»Schmerzhaft und zutiefst enttäuschend«

Zentralratspräsident Josef Schuster Foto: Thomas Lohnes/ZR

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat mit Bestürzung auf den Freispruch im Prozess um den Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn reagiert. »Das Urteil des Landgerichts hat mich bestürzt«, sagte Zentralratspräsident Josef Schuster.

»Auch wenn ich den Freispruch des Angeklagten nicht nachvollziehen kann, so respektiere ich die Entscheidung des Gerichts. Doch 18 Jahre nach dem Anschlag auf jüdische Sprachschüler in Düsseldorf-Wehrhahn werden die Täter noch immer nicht zur Rechenschaft gezogen.« Das sei nicht nur schmerzhaft, sondern zutiefst enttäuschend, so Schuster weiter. »Jetzt muss umso intensiver weiterermittelt werden, um den oder die Täter zu überführen.«

Neonazi 18 Jahre nach dem Bombenanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn hatte das Landgericht Düsseldorf dienstagfrüh den Angeklagten Ralf S. freigesprochen. Der 52-Jährige war wegen zwölffachen versuchten Mordes angeklagt gewesen. Die Staatskasse muss dem ehemaligen Bundeswehrsoldaten, der zum Tatzeitpunkt der Neonazi-Szene angehörte und einen Militaria-Laden betrieb, eine Entschädigung für seine Untersuchungshaft sowie weitere erlittene Schäden zahlen. Die Staatsanwaltschaft kündigte an, Revision beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe einzulegen.

Der Vorsitzende Richter der Schwurgerichtskammer, Rainer Drees, sagte, das Gericht habe nach der Anhörung von 78 Zeugen an 32 Prozesstagen »ganz erhebliche Zweifel an der Täterschaft«. Zwar seien die Verdachtsmomente erheblich, und der Angeklagte komme »grundsätzlich auch als Täter in Betracht«. Bei der Abwägung aller Gesichtspunkte reichten die Verdachtsmomente allerdings nicht aus, um ihn zu überführen.

So habe es keine direkten Tatzeugen gegeben, erläuterte Drees. Zudem seien die Zeugenaussagen zu widersprüchlich und zu wenig glaubhaft. Auch rein zeitlich habe die Tat dem Angeklagten nicht rechtlich einwandfrei nachgewiesen werden können.

Zuwanderer Am 27. Juli 2000 war eine selbstgebaute Rohrbombe am S-Bahnhof Wehrhahn explodiert und hatte zehn Migranten und Migrantinnen aus der ehemaligen Sowjetunion verletzt, die in einer zwölfköpfigen Gruppe auf dem Nachhauseweg von einer Sprachschule in der Nähe des Tatortes waren. Unter den Opfern waren sechs jüdische Zuwanderer. Eine hochschwangere Frau verlor ihr ungeborenes Kind.

Der Angeklagte war unmittelbar nach der Tat bereits als Verdächtiger gehandelt worden. Später wurden die Ermittlungen eingestellt und erst Jahre später im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen der NSU-Morde wieder aufgenommen.

Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück, der auf eine lebenslange Haft plädiert hatte, erklärte, er teile die Zweifel des Gerichts an der Täterschaft nicht und werde Revision einlegen. Insbesondere könne er nicht nachvollziehen, warum die Kammer die Ausspähung des Tatortes durch den Ex-Soldaten nicht bewertet habe.

Zudem habe die Schwurgerichtskammer nicht ausreichend gewürdigt, dass die Ex-Frau den Angeklagten auf einer Phantomskizze eindeutig als denjenigen Mann identifiziert hatte, der in unmittelbarer Nähe des Tatorts auf einem Stromkasten gesessen und vermutlich die Bombe von dort ferngezündet habe.

Rohrbombe Auch dass das Gericht dem Angeklagten die Kenntnisse zum Bau der Rohrbombe abgesprochen hatte, ist für den Vertreter der Anklagebehörde nicht nachzuvollziehen. »Die Kenntnisse und Fertigkeiten dazu hatte Ralf S. bei der Bundeswehr gelernt«, sagte Herrenbrück.

Der Angeklagte, der erst Anfang 2017 festgenommen worden war, hatte die Tat vor Gericht bestritten. Mehrere Zeugen hatten dagegen behauptet, er habe ihnen gegenüber den Anschlag gestanden. Bereits im Mai hatte das Landgericht den Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen. Die vermeintlichen Geständnisse des Mannes wertete das Gericht als Prahlereien und Lügen.

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Regierungsbezirk Düsseldorf und die Opferberatung Rheinland, die das Verfahren begleitet hatten, bedauerten am Dienstag den Freispruch. Militante Neonazis würden das Urteil als Ermutigung verstehen, sagte Dominik Schumacher von der Mobilen Beratung.

Die Organisationen forderten mehr Unterstützung für die Opfer des Wehrhahn-Anschlags. Eine Solidarisierung müsse zumindest in Form einer Gedenktafel am Tatort stattfinden. ja/epd

Berlin

Der falsche Konsens

Der israelische Militärhistoriker Danny Orbach stellt im Bundestag eine Studie und aktuelle Erkenntnisse zum angeblichen Genozid im Gazastreifen vor – und beklagt eine einseitige Positionierung von UN-Organisationen, Wissenschaft und Medien

 27.11.2025

USA

Staatsanwaltschaft rollt den Fall Etan Patz neu auf

Der jüdische Junge Etan Patz verschwindet am 25. Mai 1979 auf dem Weg zur Schule. Jahre später wird er für tot erklärt

 27.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Düsseldorf

Breite Mehrheit im Landtag wirbt für Holocaust-Zentrum in NRW

Große Mehrheit im NRW-Landtag: Fast alle Fraktionen werben für NRW als Standort eines vom Bund geplanten Holocaust-Bildungszentrums. Bayern und Sachsen sind ebenfalls im Rennen

von Andreas Otto  27.11.2025

Terrorismus

Berlin: Waffenkurier der Hamas wohnte in unmittelbarer Nähe zu mehreren jüdischen Einrichtungen

Im Auftrag der Terrororganisation Hamas sollen mehrere Männer jüdische und proisraelische Ziele unter anderem in der Hauptstadt ausgespäht und Waffen eingeschmuggelt haben. Nun berichten »Zeit« und »Welt« über die Hintergründe

 27.11.2025

Bildung

Im Land der Täter

Bis März soll die Entscheidung fallen, wo die Dependance der Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem in Deutschland angesiedelt wird

von Michael Thaidigsmann  27.11.2025

München

Uschi Glas: Christen müssen jüdische Mitbürger schützen

Uschi Glas mahnt Christen zum Schutz von Juden. Sie warnt vor neuer Ausgrenzung und erinnert an eigene Erfahrungen nach dem Krieg. Was sie besonders bewegt und warum sie sich Charlotte Knobloch verbunden fühlt

von Hannah Krewer  27.11.2025

Entscheidung

Uni Jena lehnt Prüfung von Kontakten mit israelischen Hochschulen ab

Die Friedrich-Schiller-Universität Jena wird Kooperationen mit israelischen Hochschulen nicht auf mögliche Verbindungen zum Militär überprüfen. Der Senat lehnte einen entsprechenden Antrag von Teilen der Professorenschaft ab

 27.11.2025

Berlin

Prozess um Angriff am Holocaust-Mahnmal: »Tat zugegeben«

Polizisten berichten von der Begegnung mit dem Angeklagten wenige Stunden nach der Tat

 27.11.2025