Anteilnahme

»Schluss mit Toleranz für Intoleranz!«

An einem sonnigen, aber traurigen Sonntag im Herbst waren bereits eine gute halbe Stunde vor Beginn der jüngsten Solidaritätskundgebung für Israel Hunderte Menschen am Brandenburger Tor. Verwandte von deutschen Hamas-Geiseln verteilten Schilder und Buttons mit der Aufschrift »Bring them home now«.

Der jüdische Rapper Ben Salomo testete die mächtige Sound-Anlage vor Ort für seinen späteren Auftritt, ebenso wie der ebenfalls jüdische Jazz-Musiker Andrej Hermlin, der später mit seinem Sohn und seiner Tochter vor Tausenden Teilnehmern zwei Songs spielte - am Tag 15 nach der Terrorattacke der palästinensischen Hamas auf Israel.

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Uneingeschränkte Solidarität mit Israel und ebenso intensive wie schnell erfolgende Bemühungen um die Freilassung der mehr als 200 Geiseln der Hamas wurden bei der von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) organisierten Kundgebung gefordert. Zu den Rednern gehörte Frank-Walter Steinmeier, der erklärte, der 7. Oktober habe sich »tief eingebrannt in unser aller Gedächtnis«. Für die Menschen in Israel und alle Juden sei seither nichts mehr wie zuvor.

Furchtbare Stunden

»Ihr seid nicht allein! Wir stehen in diesen furchtbaren Stunden an eurer Seite. Euer Schmerz ist unser Schmerz«, rief der Bundespräsident allen Israelis zu. »Wir Deutschen leiden, wir beten, wir flehen mit euch«, sagte er den aus Israel angereisten Familienmitgliedern von Geiseln. »Wir wollen tun, was in unserer Macht steht, damit Ihre Angehörigen so schnell wie möglich freikommen.«

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Auch hatte Steinmeier eine Mitteilung für die Terroristen der Hamas: »Die ganze Welt schaut auf dieses Verbrechen. Beenden Sie die Barbarei! Lassen Sie die Unschuldigen frei!« Der Terror der Hamas richte sich »gegen Jüdinnen und Juden in Israel, aber der Terror trifft auch Menschen im Gazastreifen, deren Interessen die Hamas nur vorgibt zu vertreten.«

Seit dem 7. Oktober sei nichts mehr, wie es gewesen sei. Die Terroristen seien es, die Gaza in einen zerstörerischen, militärischen Krieg geführt hätten, sagte der Bundespräsident. Es sei ein Krieg, »von dem wir alle fürchten, dass er zum regionalen Flächenbrand werden könnte.« Alles müsse versucht werden, um dies zu verhindern.

Humanitäre Korridore

Tausende Teilnehmer - viele mit Israel-Fahnen und Fotos von Geiseln - hörten Frank-Walter Steinmeier zu, als er sagte, die Bundesrepublik setze sich auch für den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen ein. »Sie brauchen humanitäre Hilfe und humanitäre Korridore. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit - auch in diesen Tagen.«

Dann kam er auf die Situation in Deutschland zu sprechen: »Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden wieder Angst haben - ausgerechnet in unserem Land -, dass jüdische Eltern ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken - ausgerechnet in unserem Land -, dass das Holocaust-Mahnmal nebenan von der Polizei geschützt werden muss - ausgerechnet in unserem Land.«

»Jeder einzelne Angriff auf Jüdinnen und Juden, auf jüdische Einrichtungen, ist eine Schande für Deutschland«, so Steinmeier . Jeder einzelne Angriff erfülle ihn mit Scham. Hier nahm er Bezug auf die in Berlin registrierte Verdreifachung antisemitischer Vorfälle seit dem Hamas-Terrorangriff am 7. Oktober.

Schwere Herzen

Israelhass, »der sich auf unseren Straßen entlädt«, dürfe nicht geduldet werden, erklärte Steinmeier. »Von niemandem!« Die Demokratie in Deutschland unterscheide nicht nach Erfahrung, Herkunft und Religion. »Jeder, der hier lebt, muss Auschwitz kennen und die Verantwortung begreifen, die daraus für unser Land erwächst.«

Der Schutz jüdischen Lebens in der Bundesrepublik sei Staatsaufgabe, aber auch Bürgerpflicht, so der Bundespräsident. »Antisemitische Volksverhetzung, Angriffe auf Synagogen und Angriffe auf Polizisten sind keine Wahrnehmungen vor Freiheit. Es sind Straftaten.«

Für den Zentralrat der Juden in Deutschland erklärte dessen Geschäftsführer Daniel Botmann: »Unsere Herzen sind unendlich schwer seit zwei Wochen. Wir denken mit großer Trauer an die von den Hamas-Barbaren regelrecht abgeschlachteten 1400 Menschen in Israel«, sagte er.

Antisemitische Parolen

»Und wir denken in großer Sorge und Hoffnung an die über 200 von den Hamas-Schergen entführten Geiseln. Wir hoffen und beten, dass sie bald wieder in die Arme ihrer Liebsten geschlossen werden können«, so Botmann.

Auch Botmann reagierte auf Gruppen von Judenhassern in Berlin, die die Hamas-Morde an Israelis feierten. »In dieser Zeit des Leides und der Hilflosigkeit zieht ein Mob durch unsere Straßen.« Die Teilnehmer der Pro-Terror-Demos stünden nicht für die Palästinenser ein. »Sonst würden sie gegen die Hamas demonstrieren, die die Palästinenser als lebende Schutzschilde missbraucht.« Ihre Motivation sei purer Hass.

»Liebe Freunde, es wurde genug zugeschaut. Es ist Zeit, zu handeln«, erklärte Daniel Botmann. »Schluss mit Toleranz für Intoleranz!« forderte er. Wer antisemitische Parolen schreie und keine deutsche Staatsbürgerschaft habe, müsse »ausgewiesen und notfalls auch abgeschoben werden«, forderte der Geschäftsführer des Zentralrates. »Solche Leute sind nicht Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft.«

Geöffnete Kitas

Eine empfindliche Bestrafung von Tätern mit deutschen Pässen sei erforderlich. »So, dass man in Zukunft hundertmal überlegt, ob man sich traut, antisemitische Parolen zu skandieren«, sagte Botmann unter dem Applaus der Kundgebungsteilnehmer.

Mit dem jüngsten Anschlagsversuch auf eine Synagoge in Berlin solle Juden Angst gemacht werden. »Aber, liebe Freunde, wir lassen uns keine Angst machen!«

Botmann sagte, er sei »stolz auf jede einzelne jüdische Gemeinde, die ihre Synagoge, jede Schule, ihre Kita weiter geöffnet hat - weil es ihr Recht ist!« Auch sei er »stolz auf jeden einzelnen Makkabi-Ortsverband, der weiterspielt - weil es sein Recht ist!«

Konkrete Taten

»Wir verlangen, nicht alleingelassen zu werden, wir erwarten mehr als Mitgefühl«, so der Geschäftsführer der jüdischen Dachorganisation. »Wir verlangen mehr als Absichtserklärungen! Wir verlangen mehr als Solidaritätsbekundungen! Wir verlangen Taten, ganz konkrete Taten, die dazu führen, dass Juden in unserem Land keine Angst haben müssen. Es ist unerträglich, wenn jüdische Eltern Angst um ihre Kinder haben.«

Auch müsse Schluss sein mit dem ewigen »Ja, aber«, erklärte Botmann vor dem Brandenburger Tor. Die Solidarität mit Israel dürfe nicht relativiert werden. Nach der Terror-Attacke der Hamas vom 7. Oktober sei es folgerichtig, dass Israel alles unternehme, um seine Bürger zu schützen. »Und wenn Israel entschieden hat, die Terrororganisation Hamas endgültig auszuschalten, dann haben wir das zu akzeptieren.« Das Land müsse dabei unterstützt werden, wie es die Demokratie und »uns alle« verteidige.

Eine Sprecherin der Polizei sagte der Jüdischen Allgemeinen vor Ort, »in der Spitze« seien 10.000 Teilnehmer bei der Kundgebung auf dem Platz des 18. März gewesen, während die Organisatoren 25.000 Menschen zählten. Wie viele auch immer es nun genau gewesen sein mögen - sie alle hörten auch Ron Prosor zu.

Freudiger Event

Der Botschafter Israels in Deutschland war gerade von der Eröffnung einer Synagoge in Dessau zurückgekommen. Dies sei sonst ein freudiger Event, aber in diesen Tagen sei gar nichts mehr normal. Denn in Deutschland seien »Synagogen zu Zielscheiben geworden.«

»Es ist nicht normal, dass in Berlin Molotow-Cocktails auf eine Synagoge geschmissen werden! Es ist nicht normal, dass Davidsterne auf Häuser geschmiert werden, in denen Juden leben! Und es ist nicht normal, dass Parolen wie Tod den Juden auf Straßen in Deutschland geschrien werden!«, sagte der israelische Diplomat. »Null Toleranz für jede Art von Antisemitismus!«, forderte er.

Prosor sagte, es sei derzeit viel von einem Flächenbrand im Nahen Osten die Rede. »Es ist vielleicht an der Zeit zu sehen, dass auch in Deutschland ein Flächenbrand verhindert werden muss. Sonst kommt der Terror aus dem Gazastreifen auch in Deutschland an!« Gerade auch für diese Aussage erntete der Botschafter viel Applaus.

Gemeinsamer Kampf

Der Kampf gegen die Hamas sei daher »unser gemeinsamer Kampf. Und der Kampf gegen ihre Unterstützer gehört dazu«, erklärte der Botschafter. Die gesamte Infrastruktur des Terrors müsse nun beseitigt werden. »Und wenn wir das tun, möchte ich wirklich kein Ja, aber hören.«

Diesmal müsse im Kampf gegen den Terror bis zum Ende gegangen werden, sagte Ron Prosor. »Wir werden dafür sorgen, dass diese Barbaren nie mehr die Möglichkeit haben, solche Verbrechen wieder zu begehen.«

Prosor erneuerte seine Kritik an einigen deutschen Medien und deren »Sprachregelung« in der Nahost-Berichterstattung. »Nach Angaben der Hamas« zu schreiben, sei so, als würde man schreiben »Nach Angaben des Islamischen Staates ist Deutschland für den Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz verantwortlich.« Dabei waren im Jahr 2016 auf dem dortigen Weihnachtsmarkt zwölf Menschen ermordet worden.

Dreijährige Nichte

Roni Roman, eine der Angehörigen deutscher Hamas-Geiseln, sprach vor dem Brandenburger Tor von ihrer Schwester und ihrer dreijährigen Nichte, die sich seit dem 7. Oktober in der Gewalt der Hamas befinden. Sie müssten schnell zurückgeholt werden, sagte Roni Roman mit tränenerstickter Stimme. Ein trauriges »Happy Birthday to You« wurde am Geburtstag der Schwester auf der Kundgebung gesungen.

DIG-Chef Volker Beck betonte, Israel habe nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, seine Bevölkerung vor solchen Massakern in Zukunft zu schützen - und der Hamas die Möglichkeit dafür »ein für alle Mal aus der Hand zu schlagen.« Das Völkerrecht gebe Israel das Recht zur Selbstverteidigung. Es setze dafür die Grundlage und den Rahmen. Zudem tue Israel alles, um die zivilen Opfer bei seinen Militäraktionen zu minimieren - anders als die Hamas, die das Leben von Zivilisten gezielt angreife.

Vertreter fast aller im Bundestag vertretener Parteien sprachen auch bei der Solidaritätskundgebung. Saskia Esken, die SPD-Co-Vorsitzende, verurteilte die Hamas-Terrorattacke ebenso scharf wie ihre Kollegen, erwähnte aber auch Hass auf Muslime.

Fundamentaler Hass

»Wir dürfen weder in Deutschland, noch in Israel zulassen, dass Rechtsradikale das Entsetzen über den Terror der Hamas in einen fundamentalen Hass gegen den Islam wenden. Denn die vielen Muslime, die mit uns friedlich leben, haben diesen Hass nicht verdient«, sagte sie.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte, jüdische Eltern schickten ihre Kinder zum Teil nicht mehr in die Schule oder die Kita. Zudem trauten sich Juden kaum noch, in der Öffentlichkeit Hebräisch zu sprechen oder mit der Kippa auf die Straße zu gehen. »Wir haben Antisemitismus in Deutschland zugelassen«, so Linnemann. »Wir waren immer betroffen, aber nicht immer konsequent. Lasst uns miteinander betroffen und konsequent sein!«

Für die Grünen sagte ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour, es liege in »unserer« Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Hamas-Geiseln sofort frei kämen. »Und es ist höchste Zeit, dass der Terror aufhört!« Auch sei es höchste Zeit, denen, die so täten, als müsse man eine Mediation auf den Weg bringen, zuzurufen: »Es gibt nur einen Platz für alle, die auch nur einen Funken Anstand im Körper haben, in diesen Tagen: Das ist an der Seite der Heimstätte des jüdischen Volkes. Wir stehen geschlossen - als Demokratinnen und Demokraten - an der Seite Israels.«

Richtige Seite

Nouripour fügte unter viel Applaus hinzu: »Dies sage ich nicht nur als Vorsitzender meiner Partei. Das sage ich als Deutscher muslimischen Glaubens.« Der Graben, so der Grünen-Politiker, verlaufe nicht zwischen den Religionen, sondern zwischen denen, die Anstand hätten, die Demokratie und Freiheit zu schätzen wüssten - und dem Terror. »Deshalb müssen wir alle zusammenstehen - auf der richtigen Seite.«

Sicherheit war großgeschrieben. Am Brandenburger Tor, auf dessen östlicher Seite zeitgleich zwei weitere Kundgebungen stattfanden, war auf der Seite des Platzes des 18. März durch die Polizei abgeriegelt worden. Zugang gab es nur über die Ebertstraße und die Straße des 17. Juni. Durch den Tiergarten zur Kundgebung zu gehen, war nicht möglich, da Metallzäune den Weg versperrten.

Direkt vor der Bühne am Brandenburger Tor ließen Polizeibeamte nur Teilnehmer in einen großen Sicherheitsbereich passieren, die zuvor gewissenhaft durchsucht wurden - denn ein Anschlag auf die Versammlung musste ausgeschlossen werden. Die direkt am Tor befindliche S- und U-Bahnstation war geschlossen.

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