NS-Verbrechen

Prozesse gehen weiter

Nicht ad acta gelegt: Das Verfahren gegen Oskar Gröning wird wahrscheinlich einer Revision unterzogen. Foto: dpa

Zu einer vierjährigen Haftstrafe hatte in der vergangenen Woche das Landgericht Lüneburg den 94-jährigen Oskar Gröning verurteilt. Der frühere SS-Mann, der den Beinamen »Buchhalter von Auschwitz« erhalten hatte, wurde der Beihilfe zum Mord in über 300.000 Fällen schuldig gesprochen.

Aber das Verfahren geht weiter: Sowohl einige Nebenkläger als auch Grönings Verteidiger legten Revision ein. Wie viele der teils hochbetagten Nebenkläger, die Auschwitz überleben konnten, noch eine rechtskräftige Verurteilung Grönings erleben werden, ist nun offen. Ebenfalls ist offen, ob Gröning jemals eine Haftstrafe antreten wird. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er dann nicht mehr haftfähig ist oder dass das Verfahren mit dem Tod des Angeklagten eingestellt wird.

strafmilderung Grönings Anwalt Hans Holtermann begründete den Schritt zur Revision damit, dass sein Mandant in früheren Verfahren gegen andere SS-Leute als Zeuge ausgesagt hatte. Das müsse ebenso strafmildernd wirken wie die unrechtmäßige Verfahrensverzögerung, von der die Staatsanwaltschaft gesprochen hatte.

Auch zwei Prozessvertreter der insgesamt über 70 Nebenkläger, die Anwälte Andreas Schulz und Khubaib-Ali Mohammed, kündigten Revision an und wollen den Fall Gröning vor den Bundesgerichtshof (BGH) bringen. Sie fordern, dass Gröning nicht wegen Beihilfe, sondern wegen Mittäterschaft am Massenmord angeklagt wird. Schulz und Mohammed haben hier eine andere Auffassung als die Mehrheit der Nebenkläger und deren Anwälte. Die hatten das Urteil begrüßt.

Thomas Walther, der zusammen mit seinem Kollegen Cornelius Nestler 51 Nebenkläger vertreten hatte, sagt, eine Revision gefährde, dass das Urteil rechtskräftig wird. »Ich habe während des Prozesses kein einziges Indiz gehört, das die Verurteilung wegen Täterschaft begründen würde«, so Walther. Zugleich äußerte Walther aber auch Verständnis für Nebenkläger, die eine lebenslange Haftstrafe für Gröning forderten.

bundesgerichtshof Ob auch die Staatsanwaltschaft Hannover Revision beantragt, ist ebenso offen wie die Frage, ob der Bundesgerichtshof in Karlsruhe die Revision zulässt. Das entscheidet sich erst, wenn die Begründung des Lüneburger Urteils schriftlich vorliegt. Das kann noch bis Mitte September dauern.

Erst seit 2011, als mit John Demjanjuk ein KZ-Wachmann wegen Beihilfe zum Mord trotz fehlenden konkreten Tatnachweises verurteilt wurde, begannen weitere Ermittlungen gegen 30 noch lebende Verdächtige. 2014 kam es zu Hausdurchsuchungen, gegen zehn verdächtige NS-Verbrecher ermitteln Staatsanwaltschaften noch.

Drei Verfahren sind soweit ausermittelt, dass sie vor Gericht anhängig sind: In Schwerin soll nach dem Willen der Staatsanwaltschaft bald der Prozess gegen einen früheren SS-Sanitäter des KZ Auschwitz, Hubert Zafke, eröffnet werden. Ihm wird Beihilfe zum Mord in mindestens 3681 Fällen vorgeworfen. Bislang kam es nicht zu einer Eröffnung des Verfahrens, weil das Landgericht eine »dauernde Verhandlungsfähigkeit« des Beschuldigten bestreitet.

Auch die Staatsanwaltschaft Dortmund will bald einen ehemaligen Auschwitz-Wachmann vor Gericht bringen. Sie wirft ihm Beihilfe zum Mord in mindestens 170.000 Fällen vor. Ob es hier zum Prozess kommt, ist gleichfalls noch unklar: Das Landgericht Detmold hat noch nicht über die Eröffnung des Verfahrens entschieden.

Anders in Hessen. Einem mittlerweile 92-jährigen früheren SS-Mann wird vorgeworfen, in Auschwitz Dienst verrichtet und dabei an der Abwicklung dreier Transporte beteiligt gewesen zu sein: 1870 Menschen aus Berlin, dem französischen Drancy und dem niederländischen Westerbork kamen an, mindestens 1075 von ihnen wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Auschwitz in den Gaskammern ermordet.

jugendrecht Andreas Weiß, der Sprecher des Landgerichts Hanau, sagte der Jüdischen Allgemeinen: »Wir wollen das Verfahren zügig eröffnen, aber ob uns das noch in diesem Jahr gelingt, ist unklar.« Zwar gebe es offiziell noch keine Nebenkläger, aber das Gericht gehe davon aus, dass sich dies bald ändern wird. »Wenn es drei Nebenkläger sind, können wir das Verfahren bei uns im Landgericht durchführen. Werden es 80, müssen wir Räume anmieten.« Das Hanauer Verfahren wird vor der Jugendkammer stattfinden, weil der heute 92-jährige Angeschuldigte zum Tatzeitpunkt zwischen 19 und 20 Jahre alt war.

Wie bei Gröning ist es bei allen noch anhängigen Verfahren offen, ob die mutmaßlichen Täter ihr Urteil noch erleben – wenn sie überhaupt prozessfähig sind. Sie haben gute Aussichten, das Spiel gegen die Zeit zu überstehen und nie für ihre Verbrechen verurteilt zu werden. Viele Beobachter glauben jedoch, dass der Gröning-Prozess gezeigt hat, wie wichtig ein Urteil am Ende eines solchen Verfahrens ist, auch wenn es nicht mehr vollstreckt werden sollte.

Georg M. Hafner

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