Berlin

Polizei bekommt Beauftragten gegen Antisemitismus

Aggression: Ein Demonstrant des antisemitischen Al-Quds-Marsches geht auf Teilnehmer einer Pro-Israel-Kundgebung los. Foto: Gershon Zukerman

Die Berliner Polizei soll einen Beauftragten gegen Antisemitismus bekommen. Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) kündigte in der »Berliner Zeitung« an, der Beauftragte solle »Polizisten noch stärker schulen, antisemitische Vorfälle zu erkennen, entsprechend einzugreifen und diese Thematik offen anzusprechen«. Zudem werde Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) einen Runden Tisch gegen Antisemitismus einberufen.

Weiter kündigte Geisel an, bei den Motiven der Täter antisemitischer Straftaten künftig stärker zu differenzieren. »Alle ungeklärten Fälle dem Rechtsextremismus zuzuordnen, wird der tatsächlichen Motivlage ganz offensichtlich nicht gerecht.« Allerdings sei dies kein alleiniges Berliner Phänomen. Die Polizeien würden länderübergreifend daran arbeiten.

»IMPORTIERTER JUDENHASS« Geisel betonte, es sei sehr schwer, »die Straftaten in diesem Bereich zahlenmäßig auseinanderzuhalten«. Es gebe einen deutschen Antisemitismus, »von dem wir leider feststellen müssen, dass er nie weg war«. Und es gebe in Berlin »Menschen aus 180 Nationen, die zu einem gewissen Teil auch mit Antisemitismus sozialisiert wurden und ihn nicht einfach ablegen«, unterstrich der SPD-Politiker mit Blick auf einen »importierten Antisemitismus«.

Polizisten sollen stärker geschult werden, antisemitische Vorfälle zu erkennen und entsprechend einzugreifen.

Hinsichtlich der Richtigkeit der Polizeilichen Kriminalstatistik gab es in jüngster Zeit immer wieder Kritik. Der Zentralrat der Juden bemängelt, die Kriminalstatistik sei unscharf und wenig präzise.  »Fast 90 Prozent der antisemitischen Straftaten werden als politisch rechts eingeordnet. Diese Angaben decken sich jedoch nicht mit den Erfahrungen der Betroffenen«, betont Zentralratspräsident Josef Schuster. »Die Erfassung judenfeindlicher Straftaten sollte daher verbessert werden, damit wir ein möglichst realistisches Bild des Antisemitismus in Deutschland erhalten.«

Bei Umfragen unter Juden in Deutschland, die Opfer von antisemitischen Taten wurden, wurden demnach bei 62 Prozent der Beleidigungen und 81 Prozent der körperlichen Angriffe muslimische Personen als mutmaßliche Täter angegeben. Dennoch seien etwa »Sieg Heil«-Rufe bei einer antisemitischen Al‐Kuds‐Demonstration im Juli 2014 in Berlin in der Polizeistatistik als politisch motivierte Kriminalität mit rechtsextremen Motiven gewertet worden.

Unter Experten gibt es große Zweifel hinsichtlich der überwiegenden Klassifizierung von Taten als »rechtsextremistisch motiviert«.

ÜBERPRÜFUNG Unter Experten herrschen große Zweifel hinsichtlich der überwiegenden Klassifizierung von Taten als »rechtsextremistisch motiviert«. So würden »Juden raus«-Schmierereien in Statistiken generell als rechtsextrem ausgewiesen, obwohl diese Parole auch in islamistischen Kreisen populär sei. »Damit entsteht möglicherweise ein nach rechts verzerrtes Bild über die Tatmotivation und den Täterkreis«, hieß es dazu etwa in einem im Jahr 2017 veröffentlichten Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus.

Benjamin Steinitz, Leiter der Recherche‐ und Informationsstelle Antisemitismus in Berlin, betont: »Es gibt eine Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung der Betroffenen von antisemitischen Angriffen, Beleidigungen und Beschimpfungen und den polizeilichen Statistiken.«

Diese Einschätzung teilt auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. »Aus den jüdischen Gemeinden höre ich, dass die subjektive Wahrnehmung der Bedrohung durch muslimisch geprägten Antisemitismus größer ist, als es in der Kriminalstatistik zum Ausdruck kommt«, so Klein in einem Interview mit dieser Zeitung. Die Zuordnung von Delikt und Täter sei häufig fragwürdig. Deshalb müsse die Kriminalstatistik dringend überprüft werden. epd/ja

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025