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Philosophin des Spiels

Im Mittelfeld ist sie der Star: Yael Averbuch spielt seit ihrer Kindheit Fußball Foto: imago

Yael Averbuch träumt schon von der Weltmeisterschaft, seit sie vor sechs Jahren anfing, bei den North Carolina Tarheels College-Fußball zu spielen. Immer wieder hatte die 24-Jährige seitdem in großen Lettern »Deutschland 2011« in ihr Tagebuch geschrieben. Die WM sollte der erste große Höhepunkt in der noch jungen Profikarriere der Mittelfeldspielerin von den New York Flash sein.

Als die US-Nationaltrainerin Pia Sundhage ihr Anfang Mai mitteilte, dass sie nicht im Aufgebot steht, war das für Averbuch dementsprechend vernichtend. »Ich war wütend, traurig, beschämt«, erinnert sie sich. Tagelang habe sie sich das Hirn zermartert, was sie habe anders oder besser machen können, um nominiert zu werden. Aber sie hatte keine Antwort.

Eine Woche später fand Averbuch die Kraft, sich an den Computer zu setzen und für ihren Fußball-Blog, der auf der Website der New York Times steht, ein paar Zeilen über ihre Nicht-Nominierung zu verfassen. »Ich will meine Enttäuschung nicht herunterspielen«, schrieb sie. »In Deutschland dabei zu sein, hätte mich nicht zu einer besseren Spielerin gemacht. Genauso wenig macht die Tatsache, dass ich nicht fahre, mich zu einer schlechteren Spielerin.«

riesentalent Averbuch, die seit ihrem 14. Lebensjahr als eine der talentiertesten Spielerinnen der USA gehandelt wird, hat große Ziele. Sie will Weltmeisterin werden, Olympiasiegerin und mit den Flash viele US-Titel gewinnen. Aber auch, wenn das alles nicht passiert, davon ist Averbuch überzeugt, wird sie einmal mit Genugtuung auf ihre Sportler-Karriere zurück- schauen. »In Wirklichkeit geht es im Sport gar nicht um die großen Glanzmomente«, sagt sie. »Das, woran man sich später erinnert, sind doch eher die kleinen Augenblicke, die wir auf dem Weg zum Sieg erleben, die Kameradschaft, das Glücksgefühl eines tollen Trainingsspiels. Wir sollten um des Fußballs willen spielen, nicht um des Sieges. Genauso, wie wir um des Lebens willen leben sollten.«

Man könnte diese Worte als bloßen Versuch einer Verliererin lesen, sich über eine Niederlage hinwegzutrösten. Doch Yael Averbuch hatte diese Gedanken schon zwei Jahre zuvor in einer Rede vor der Vereinigung der amerikanischen Fußball-Trainer, NSCAA, formuliert. Spätestens seit diesem Tag gilt Averbuch, die neben dem Blog auch Kolumnen für verschiedene Sportmagazine schreibt, in US-Fußballerkreisen als Philosophin unter den Spielerinnen.

jüdisches denken Die Versuchung ist groß, diese Neigung, nicht nur zu kicken, sondern auch darüber nachzudenken, auf Averbuchs Judentum zurückzuführen, auf die Juden gerne nachgesagte Affinität zum Gelehrtentum und zur Schriftkultur. Zumal Averbuchs anti-teleologische Betrachtungsweise des Sportlerdaseins klare Züge jüdischen Denkens trägt. Doch die junge Frau selbst bemüht sich eher, die Rolle ihres Jüdischseins in ihrem Leben herunterzuspielen.

Die Averbuchs sind klassische aufgeklärte amerikanische Reformjuden. Sie fühlen sich zwar der Tradition sehr verbunden, wie Yael sagt. Als sie zum Beispiel 2007 in die Ruhmeshalle des jüdischen Sports aufgenommen worden sei, habe ihr das entsprechend viel bedeutet. In ihrem Alltag habe das Judentum jedoch nie eine große Rolle gespielt. Viel wichtiger war in der Familie Averbuch der Sport. Beide Eltern von Yael Averbuch sind Marathonläufer, ihre Mutter ist Sportbuchautorin, ihre Schwester ebenfalls Fußballerin. Als Yael in New Jersey in der Highschool gekickt hat, waren Punktspiele am Samstag immer wichtiger als der Schabbat oder der Besuch einer Barmizwa.

Averbuch hat auch nie einem der Maccabi-Sportklubs angehört, die im US-Fußball eine separate Meisterschaft bestreiten. Es war ihr stets wichtiger, in der Mannschaft zu spielen, in der sie das beste Umfeld findet, um ihre Karriereziele zu erreichen: zuerst einen Platz in einem College mit einem Top-Fußball-Programm und dann einen Profivertrag. »Ich bin stolz auf meine jüdische Kultur«, sagt sie. »Aber ich habe mich immer zuerst als Athletin gesehen.«

So dachte sie sich auch zuerst gar nichts dabei, als sie 2008 mit der US-Nationalmannschaft nach Deutschland reiste. »Natürlich war ich mir der Geschichte bewusst, aber es war für mich in erster Linie ein ganz normales Länderspiel.« Erst als sie im Stadion als einzige jüdische Spielerin auflief, sei es ihr plötzlich gedämmert, dass ihr Auftritt eine historische Dimension hat. »Das war dann schon ein bewegender Moment.«

weltstars Lange hielt sich Averbuch jedoch auch mit diesem Gedanken nicht auf. Ebenso, wie sie nicht in Bitterkeit über ihre Nicht-Nominierung badet. Stattdessen freut sie sich auf ihre Aufgabe, für die New York Times die Fußball-WM zu kommentieren. Und auf die nächste Saison bei den New York Flash, wo sie zusammen mit der Brasilianerin Marta und mit Christine Sinclair aus Kanada, zwei der besten Fußballerinnen der Welt, spielen wird.

Selbstverständlich wird sie auch dann weiter in ihrem Blog über Fußball philosophieren, darüber, was an dem Spiel wesentlich ist und was nicht. So schrieb sie jüngst in einem Eintrag, woran sie sich während einer langen harten Saison immer wieder erinnern muss, wenn die Motivation nachlässt und sie an ihre Grenzen stößt: »Ich musste wieder das kleine Mädchen in New Jersey werden, das keine Angst hatte, Fehler zu machen, Dinge auszuprobieren und die sich durch nichts aufhalten ließ.« Alleine dieses Gefühl sei es, das zähle, alles andere komme von alleine.

Der Erfolg stellt sich nur dann ein, wenn man ihn nicht verbissen jagt. Es ist ein Paradox, das sich Yael Averbuch zur Maxime gemacht hat. Ob das Ausdruck einer jüdischen Mentalität ist? »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht«, sagt Averbuch. Dabei klingt sie so, als habe sie auch nicht vor, sich darüber allzu sehr den Kopf zu zerbrechen. Viel lieber denkt sie über Fußball nach.

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