Berlin

»Der Westen muss die russische Opposition unterstützen«

Pinchas Goldschmidt, Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz Foto: picture alliance/dpa

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Pinchas Goldschmidt (59), der Vorsitzende der Europäischen Rabbinerkonferenz und Ex-Oberrabbiner, durch seinen Aufruf an russische Juden und Jüdinnen im vergangenen Dezember bekannt, die Russische Föderation umgehend zu verlassen.

Seitdem gilt Goldschmidt als eine der wichtigsten Stimmen in der jüdischen Welt, wenn es darum geht, klar Position zu beziehen und den Angriffskrieg auf die Ukraine nicht nur als europäische Katastrophe, sondern auch als fatale Bedrohung für alle Juden in Osteuropa zu begreifen.

KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG Goldschmidt, unlängst Gast bei der Sicherheitskonferenz in München, kam nun nach Berlin, um in der Konrad-Adenauer-Stiftung gemeinsam mit dem früheren Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) über die Folgen des Krieges für jüdisches Leben in Europa zu sprechen.

Dabei mahnte Pinchas Goldschmidt vor allem an, die vielen gefangenen Oppositionellen in Russland nicht zu vergessen. »Sie sind Helden«, betonte er. Viele von den in Russland oder Belarus verhafteten Persönlichkeiten des Widerstands seien jüdisch, sagte Pinchas Goldschmidt auf dem Berliner Podium. »Niemand spricht von ihnen. Dabei benötigen gerade sie nun unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung. Hier muss der Westen mehr tun.«

Russland, so meinte der Rabbiner, der bereits 1989 in die Sowjetunion gekommen war, um dort Synagogen, Gemeindestrukturen und jüdisches Leben wiederaufzubauen, könne nur von innen reformiert werden. »Auch die Aufklärung der Verbrechen, die jetzt begangen werden, werden nicht von außen allein aufgeklärt und bestraft werden können.«

UMFRAGEN Goldschmidt, ein profunder Kenner der russischen Zivilgesellschaft, wies daher entschieden die angeblich seriösen Befragungsdaten von unabhängigen Instituten in Russland zurück, wonach eine Mehrheit der Bevölkerung hinter dem Krieg stünde. »Wenn jemand in einem autoritären Staat bei Ihnen anruft und sie nach ihrer Meinung zu solch einem Konflikt fragt, dann werden sie aus Angst um ihren Beruf und ihre Familie natürlich das antworten, was der Staat hören will. Diese Daten sind absolut nicht belastbar.«

Goldschmidt betonte, dass er sicher sei, nicht nur die Mehrheit der Juden lehne den Krieg ab. »Viele haben sich aber dafür entschieden zu schweigen. Ich konnte das nicht. Und deshalb habe ich auch das Land verlassen.«

Der Rabbiner sieht Russland zurückfallen in die Ära des Stalinismus, verbunden mit der Ausgrenzung und dem Hass auf Juden, alten Denkmustern und diskriminierenden Verhaltensweisen. Für viele Menschen im Westen sei das ein bitteres Erwachen.

GEWALTTATEN »Vor dem Angriff auf die Ukraine waren es westeuropäische Städte, in denen es laufend zu antisemitischen Gewalttaten kam. Denken wir an Brüssel, Paris, Kopenhagen, auch an Berlin. In Moskau indes wurde keinem jüdischen Jungen auf der Straße die Kippa vom Kopf gerissen. Doch dann kam der Krieg und veränderte alles. Deswegen gehen nun so viele und verlassen das Land.«

Norbert Lammert wies darauf hin, dass wenig gewonnen sei, nun ständig in der deutschen Öffentlichkeit zu analysieren, wer schon immer gewusst habe, dass die deutsche Russlandpolitik falsch gewesen sei. Er plädierte vielmehr für das Prinzip Aufklärung, für das genaue Nachdenken über begangene Fehler, über Signale, die man hätte deutlicher sehen können.

Hier, so Lammert, könnten die Erfahrungen aus dem Umgang mit der eigenen deutschen Geschichte helfen. »Die Wiederherstellung von Deutschlands Ansehen in der Welt hängt mit dieser Aufarbeitung zusammen; sonst wäre Deutschland ein Paria geblieben.«

Pinchas Goldschmidt wollte seine Ausführungen aber nicht mit politischen Standpunkten beschließen. Eines seiner zentralen Anliegen sei der Schutz fundamentaler Freiheiten in demokratischen Staaten, vor allem eben auch des etwas ins Hintertreffen geratenen Wertes der »Freiheit des Glaubens«. In den religiösen Riten und Bekenntnissen liege eine Kraft, die es zu schützen gelte.

Lesen Sie mehr dazu in der Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen am 23. März.

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

München

LMU sagt Veranstaltung zu palästinensischer Wissenschaft ab

Die Universität verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass es erhebliche Zweifel gegeben habe, »ob es sich um eine wissenschaftliche Veranstaltung auf dem erforderlichen Niveau gehandelt hätte«

 19.11.2025

Internet

Expertin: Islamisten ködern Jugendliche über Lifestyle

Durch weibliche Stimmen werden auch Mädchen von Islamistinnen verstärkt angesprochen. Worauf Eltern achten sollten

 19.11.2025

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Riad/Istanbul

Scheinbar doch kein Treffen zwischen Witkoff und Hamas-Führer

Es geht um die Umsetzung der nächsten Schritte des Trump-Plans. Den zentralen Punkt der Entwaffnung der Hamas lehnt die Terrororganisation ab

 19.11.2025 Aktualisiert