Debatte

Nur Worte?

Auf dem Podium: Politikwissenschaftler Carlo Masala (l.) und Publizist Arye Sharuz Shalicar Foto: Roman Binder

Vor 15 Jahren hielt Angela Merkel eine historische Rede vor dem israelischen Parlament. Es waren wenige Sätze aus ihrer 20-minütigen Ansprache vor den Knesset-Abgeordneten, die das deutsch-israelische Verhältnis auf eine neue Grundlage stellen sollten: »Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir waren der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels verpflichtet«, sagte Merkel. »Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.« In der Folge wurde daraus die einfache Formel: »Israels Sicherheit ist deutsche Staatsräson.«

Seitdem wurde jedoch auch immer wieder gerätselt, was mit diesem Bekenntnis eigentlich gemeint ist. Würde Deutschland bei einer Bedrohung des jüdischen Staates sogar eigene Soldaten zu dessen Verteidigung einsetzen? Oder sind Merkels Worte, die später von ihr und anderen häufig wiederholt wurden, in erster Linie eine symbolische Geste?

Kooperation Genau diese Fragen wurden am Donnerstag vergangener Woche bei einer Podiumsdiskussion in Halle aufgeworfen. Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) hatte anlässlich des 75. Jahrestags der Staatsgründung Israels zu einer Veranstaltung über deutsche Staatsräson und Sicherheitskooperationen beider Länder nach Halle an der Saale eingeladen.

Es diskutierten der Bundestagsabgeordnete und DIG-Vizepräsident Marcus Faber (FDP), Militärattachée Olga Poliakov von der israelischen Botschaft in Berlin, der deutsch-israelische Publizist Arye Sharuz Shalicar sowie Carlo Masala, Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr München. Moderiert wurde die Debatte von der ehemaligen Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen).

Masala machte gleich deutlich, worin seiner Meinung nach die Schwierigkeit in der Debatte bestehe. Unter dem Begriff Staatsräson verstehe jeder etwas anderes, so der Politikwissenschaftler. »Wir haben nie ausbuchstabiert, was das bedeutet.« In seiner Disziplin sei jedoch klar: »Staatsräson impliziert eigentlich, dass wir ›all in‹ gehen, wenn Israel existenziell gefährdet ist.«

bekenntnis Das heißt: unter Einsatz aller militärischen Mittel. Dazu sei Deutschland jedoch gar nicht in der Lage, glaubt Masala. Wenn das deutsche Bekenntnis zu Israels Sicherheit einmal wirklich auf die Probe gestellt würde, könne »das nur zu Enttäuschungen führen«. Marcus Faber, an diesem Abend Repräsentant der regierenden Ampel-Koalition, konterte: »Es ist nicht nur bei Symbolen geblieben.«

Deutschland helfe Israel auch militärisch, etwa durch die U-Boote, die in der Vergangenheit an den jüdischen Staat geliefert wurden. Gleichzeitig gestand der Bundestagsabgeordnete ein: »Vieles kann Israel allein und vieles besser als wir.« Doch im Falle eines Angriffs auf das kleine Land am Mittelmeer »sollte auch Deutschland einen Beitrag zur Verteidigung leisten«, fordert Faber.

Alle sind sich einig: Der jüdische Staat kann sich gut selbst verteidigen.

Doch was denken die Israelis in der Runde von Deutschlands Ernsthaftigkeit in seiner Unterstützung für den jüdischen Staat? Olga Poliakov fand an diesem Abend, ganz diplomatisch, fast nur lobende Worte für den wichtigen Verbündeten. »Deutschland tut eine Menge«, sagt Poliakov, die im israelischen Militär den Rang eines Obersts bekleidet.

atomabkommen Welche Worte die Deutschen für ihre Hilfe fänden, sei zweitrangig, findet sie. Wichtig sei, dass das Land an der Seite des jüdischen Staates stehe. Nur in einem Punkt könne Berlin mehr tun: »Deutschland sollte in den Verhandlungen über das iranische Atomabkommen härter sein«, meint Poliakov. Denn: »Der Iran ist die größte Bedrohung für Israel.«

Der ehemalige Sprecher der israelischen Streitkräfte und heutige Regierungsmitarbeiter Arye Sharuz Shalicar formulierte dagegen eine deutlich pessimistischere Einschätzung. »Deutschlands Bekenntnis zur Sicherheit Israels hat abgenommen«, glaubt Shalicar, der in Berlin-Wedding aufgewachsen und mit Mitte 20 nach Israel ausgewandert ist. Er verweist auf die Nationale Sicherheitsstrategie, die die Bundesregierung im Juni veröffentlicht hatte.

Darin heißt es, Deutschland übernehme weiter »Verantwortung für das Existenzrecht Israels«. Von »Staatsräson« steht in dem Papier nichts. »Man ist mehrere Schritte zurückgegangen«, ist Shalicar überzeugt. Würde Israel angegriffen, könne sich das Land auf die Hilfe Deutschlands nicht verlassen. »Ich glaube, es würde bei Worten bleiben.«

Trend So unterschiedlich das deutsche Bekenntnis zur Sicherheit Israels an diesem Abend auch ausfällt, in einem Punkt sind sich alle einig: Der jüdische Staat kann sich gut selbst verteidigen. In den Worten Shalicars: »Die Israelis haben alle ihre Kriege selbst geführt – und gewonnen.«

Auch über einen weiteren Trend herrschte unter den Podiumsteilnehmern Einvernehmen. Die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands hängt zunehmend von israelischer Militärtechnik ab. So beschloss der Bundestag unlängst die Beschaffung des Raketenabwehrsystems Arrow 3, mit dem sich der jüdische Staat vor feindlichen Geschossen schützt. »Israel bekommt eine ganz neue Bedeutung für die Sicherheit Deutschlands«, brachte Faber diese Entwicklung im deutsch-israelischen Verhältnis auf den Punkt.

Potsdam

Solidaritätskonzert für Israel in der Nikolaikirche

Anlass des Konzertes ist der 76. Jahrestag der Gründung Israels am 14. Mai 1948

 13.05.2024

München

CSU fordert Exmatrikulation antisemitischer Studenten

Generalsekretär Martin Huber fordert auch Ausweisungen

 13.05.2024

Antisemitismus an Unis

»Viele haben die Tragweite dieser Bewegung nicht verstanden«

Eine Solidaritätserklärung Berliner Dozenten zeigt das Ausmaß des Judenhasses

von Imanuel Marcus  13.05.2024

Thüringen

Verfassungsschutzchef: Radikalisierung von allen Seiten

Wer Haltung zeige, werde angegriffen, sagt Stephan Kramer

 13.05.2024

Berlin

Ermittlungsverfahren nach antiisraelischen Demonstrationen

Es geht auch um Volksverhetzung und versuchte Gefangenenbefreiung

 13.05.2024

Washington D.C.

Biden-Berater: Wir lassen Israel nicht im Stich

Die US-Regierung hält wegen der Offensive in Rafah eine Lieferung schwerer Bomben zurück

 13.05.2024

Urteil

AfD darf als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden

Der Verfassungsschutz darf weiterhin nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung der Partei einsetzen

 13.05.2024

Berlin

Bebelplatz soll »Platz der Geiseln« werden

Auf dem Platz im Zentrum Berlins soll für die Freilassung der 132 Geiseln demonstriert werden

 12.05.2024

Jom Haazmaut

Nächstes Jahr in Jerusalem

Eine Liebeserklärung von Mirna Funk an Israel, den einzigen jüdischen Staat auf der Welt – und die einzige Demokratie in Nahost

von Mirna Funk  12.05.2024