Berlin

»Niemand im Viertel soll rauskriegen, dass wir jüdisch sind«

Die Turmstraße in Berlin-Moabit ist ein belebter Ort. Kinder schreien vom Spielplatz im gegenüberliegenden Ottopark, Studenten mampfen vor einem Imbiss Falafel, Passanten hetzen mit Einkauftüten von der U-Bahn Richtung Bürgeramt. Einige aber blicken erstaunt auf, bleiben stehen: In einem großen Glaskasten auf dem Bürgersteig klafft ein Loch. Die zersplitterte Scheibe ist von innen verrußt. »Jüdisches Mo« ist auf einem Schild zu lesen, der Rest verbrannt.

»Jüdisches Moabit« – so hieß die kleine Ausstellung, die hier jährlich an die Vergangenheit des Viertels erinnert. Ein Nachbarschaftsverein gestaltet den Glaskasten. In diesem Jahr sollte er an den Terror gegen das jüdische Personal im Krankenhaus Moabit nach 1933 erinnern. Doch sobald das Mini-Museum am 1. November bestückt war, wurden die äußeren Schilder abgerissen, das Glas mit Stickern beklebt. Dann, wohl in der Nacht auf Sonntag, schlug jemand die Scheibe ein und legte innen ein Feuer. Obwohl die Turmstraße auch nachts frequentiert ist, rief niemand die Polizei. Erst gegen Mittag meldete sich eine Anwohnerin bei den Beamten. Inzwischen ermittelt der Staatsschutz.

Ein Viertel mit antisemitischer Vergangenheit – und Gegenwart

Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Welle der antisemitischen Zerstörungswut in Moabit, ein Viertel westlich des Berliner Hauptbahnhofs. Schon im Sommer entdeckte der Ehrenamtler Thomas Abel, dass ein Beleuchtungskabel für das Mahnmal in der Levetzowstraße durchtrennt worden war. Wo früher eine Synagoge stand, ragen heute gusseisernen Tafeln mit den Daten der Deportationen in die Höhe - nur jetzt konnte Abel nichts mehr entziffern, die Tafeln lagen im Dunkeln.

Im Oktober dann beschädigten Unbekannte den Gedenkort »Gleis 69«. Dort, am Güterbahnhof Moabit, begann die Verschleppung von etwa 30.000 Berliner Jüdinnen und Juden. Viele wurden unter dem Spott der Nachbarn von der zum Sammellager umfunktionierten Synagoge in der Levetzowstraße hierhergetrieben, um dann in Güterwagons in Richtung Vernichtungslager zu steigen. Moabit ist ein Viertel mit einer ausgeprägten antisemitischen Vergangenheit – aber auch die Gegenwart ist in den letzten Wochen schwer auszuhalten, berichtet Daria, die nicht weit entfernt wohnt.

»Ich habe fast schon erwartet, dass so etwas hier passiert«

Daria, jüdische Nachbarin

»Ich habe fast schon erwartet, dass so etwas hier passiert«, sagt die Jüdin und seufzt. »Direkt nach dem Massaker vom 7. Oktober ging es los. Jede Nacht zündeten junge Männer Feuerwerk, später brannten Barrikaden auf der Huttenstraße.« Fragt man bei der Berliner Polizei nach diesen Vorfällen, antwortet diese, ihr lägen dazu keine Erkenntnisse vor. Daria legt daraufhin der Zeitung ein Video aus einer der mutmaßlichen Tatnächte vor: Man sieht darauf eine meterhohe Rauchwolke, Feuerwehr- und Polizeifahrzeuge.

»Ich wollte einfach nicht mehr rausgehen«, erzählt sie, »ich bin vorsichtshalber nur noch mit dem Auto gefahren. Die Attacke auf den Schaukasten hat gezeigt, was wir schon die ganze Zeit vermuteten: Dass es hier nicht nur um Wut auf israelische Politik geht, sondern ganz klar um Antisemitismus.«

Die Antisemiten scheinen gut organisiert

Auch Aro Kuhrt, Mitbegründer der Initiative »Sie waren Nachbarn«, die unter anderem den nun ausgebrannten Schaukasten bestückt, nimmt eine aggressivere Stimmung im Bezirk war: Schon in den vergangenen Jahren hätten Unbekannte Hundekot an den Schaukasten geschmiert, das Glas angespuckt, oder Sticker einer Nazi-Partei draufgeklebt. »Aber jetzt wurden wirklich flächendeckend alle unsere aktuellen Plakate im Bezirk abgerissen, und dann auch noch der Brand – das ist eine neue Dimension«, sagt er am Telefon.

Als am Sonntag die Anwohnerin den Brand entdeckte und die Polizei informierte, war Kuhrt schnell vor Ort. »Ich musste nochmal bei den Polizisten anrufen und sie schon fast drängen, damit sie mit einem Fahrzeug vorbeikommen«, behauptet er. Die Beamten hätten später abgewägt, ob es vielleicht nur Jugendliche gewesen seien, die ein bisschen randalieren wollten. Kuhrt klingt entrüstet. »Es ist doch völlig klar, dass das harte Antisemiten waren.« Aus welcher Richtung der Hass käme, darüber wolle er nicht spekulieren.»Es gibt im Bezirk eine kleine Neonazi-Szene, aber wir hatten auch schon ›Free Palestine‹ Sprüche am Schaukasten.« Sein Verein möchte den Glaskasten eine Zeit lang so beschädigt stehen lassen - »als Mahnung«, sagt Kuhrt. Am Montagabend versammelten sich etwa dreizig Menschen zu einer Kundgebung gegen Antisemitismus in Moabit.

Vor dem Rathaus flattert keine Israel-Fahne mehr

Hinter dem ausgebrannten Kasten stechen die nackten Fahnenstangen des Rathauses Tiergarten in den Winterhimmel. Hier wollte das Bezirksamt nach dem Hamas-Massaker eigentlich eine Israel-Flagge hissen – die Erste wurde gestohlen, beim Anbringen der Zweiten wurde der Hausmeister von einer Gruppe Jugendlicher beleidigt. Auch diese Fahne wurde später zerissen. Dabei wurde der Mast so schwer beschädigt, dass dort derzeit keine weitere Flagge aufgehängt werden kann, teilt das Bezirksamt mit.

Marina hat das alles mitbekommen, sie wohnt wie Daria im Stadtteil. »Seitdem ich erfahren habe, dass einer Freundin hier in der Nähe ein Davidstern auf die Tür geschmiert wurde, fühle ich mich in Moabit unsicher«, sagt sie. Es passiere eben nicht nur in Neukölln, das in den letzten Wochen so oft in den Schlagzeilen war. »Ich war letzten Freitag das erste Mal seit dem 7. Oktober wieder in der Synagoge«, erzählt Marina, »ich hatte mich vorher nicht mehr getraut, jüdische Einrichtungen zu besuchen. Und einen Tag später dann direkt der Brand in der Vitrine – das ist echt heftig.«

Marina war direkt vor Ort, beobachtete die Leute vor dem zersplitterten Schaukasten. Manche blieben stehen, und schauten verwundert, erzählt sie, aber viele wüssten sicher gar nicht, was hier passiert sei. Ein älterer Mann fiel Marina auf, er machte Fotos für ein Nachbarschaftsmagazin. »Er sprach sehr nüchtern über die »Israelhasser« – nicht pauschal über Araber. Das fand ich sehr angenehm«, erzählt Marina. »Aber während wir uns auf der Straße unterhielten, habe ich mich andauernd nach allen Seiten umgesehen – und in die arabischen Restaurants auf der Turmstraße gehe ich nicht mehr.«

»Sie waren Nachbarn« – so heißt der Verein, dessen Schaukasten angezündet wurde. Sie sind Nachbarn, möchte man angesichts der Erfahrungen von Daria und Marina hinzufügen. Das offen zu sagen, geht für die beiden nicht mehr. »Wir wohnen hier inkognito, und auf keinen Fall darf jemand herauskriegen, dass wir jüdisch sind«, sagt Daria.  Für sie ist klar, dass sie nicht für immer so versteckt leben will. »Und es sollte ja auch nicht so sein – in einer liberalen Demokratie!«

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