80. Jahrestag

Massaker von Marzabotto jährt sich

Särge mit den Ermordeten von Marzabotto Foto: picture alliance / Walter Breveglieri/ROPI

Wer als Italien-Urlauber mit dem Auto gen Süden reist, biegt meist auf der A 1 in Höhe Bologna ab ins Apennin-Gebirge Richtung Florenz. Nach gut 40 Kilometern passiert man eine Gegend, in der Deutschlands Vergangenheit bis heute dunkle Schatten wirft. In den Bergen westlich der Autobahn verübten deutsche Soldaten das größte Massaker in Italien im Zweiten Weltkrieg.

Vom 29. September bis zum 1. Oktober ermordeten Einheiten von SS und Wehrmacht dort etwa 800 Zivilisten und zerstörten fast alle Häuser in der Region um den Ort Marzabotto. Opfer waren vor allem alte Männer, Frauen und Kinder. Die Liste der Toten nennt Namen und Geburtsdaten von 213 Kindern unter 13 Jahren. Erwachsene Männer im wehrfähigen Alter fehlen fast völlig.

Eine Augenzeugin konnte sich in der Sakristei einer Kirche verstecken. Dort beobachtete sie, wie Pfarrer Ubaldo Marchioni mit zwei SS-Soldaten zu verhandeln suchte: »Der Priester konnte Deutsch und redete mit zweien von ihnen. Sie lachten ständig und zeigten auf ihre Gewehre und weil der Priester beharrlich blieb, erschossen sie ihn vor dem Altar. Ich hatte eine Hand auf den Mund meines Cousins Giorgio gepresst, aus Angst, er würde schreien.«

Gebet und Martyrium

Eine Tafel an der Kirche erinnert an Don Ubaldo, den »Hirten und Verteidiger seiner Leute, mit denen er Gebet und Martyrium teilte«.

Unweit davon, so schilderte es eine überlebende Lehrerin, sperrten SS-Angehörige 49 Menschen in einen Andachtsraum, darunter 19 Kinder. Dann warfen sie Handgranaten hinein. 30 Menschen starben sofort. Tags darauf kamen die Deutschen wieder, um Überlebende zu erschießen. Wegen der Brutalität des Massakers am Monte Sole, wie das Kriegsverbrechen auch benannt wird, protestierte sogar Mussolini bei Hitler.

Die Deutschen hatten das dreitägige Morden als Strafaktion gegen Partisanen der Gruppe »Stella Rossa« (Roter Stern) bezeichnet. Die Opfer seien »Banditen und Bandenhelfer« gewesen. Wie auch andere Kriegsverbrechen belastete Marzabotto noch lange das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien.

Mord und Zerstörung

Als Italien im Herbst 1943, nach dem Sturz Benito Mussolinis, von der Seite Nazi-Deutschlands an die der Alliierten gewechselt war, besetzte die Wehrmacht Italien. Auf mehreren Linien versuchten die Deutschen, die von Süden anrückenden Briten und Amerikaner aufzuhalten. Unter anderem an der sogenannten Goten-Linie auf halber Höhe zwischen Bologna und Florenz.

In der Gegend agierende Partisanengruppen verübten in den Sommermonaten 1944 Überfälle auf deutsche Soldaten. Als Mitte September die Alliierten weiter vorrückten, drangen ausweichende Einheiten der 16. SS-Panzergrenadier-Division »Reichsführer SS« und der Wehrmacht in die Hochebene am Monte Sole ein.

Deren Offiziere bereiteten dort ein »Vernichtungsunternehmen« vor: Sie kesselten Dörfer und Weiler um Marzabotto ein, drei Tage lang töteten sie alle Menschen, derer sie habhaft werden konnten, und zerstörten nahezu sämtliche Gebäude. Auf einer Gedenktafel ist zu lesen: »Hitler sagte: Wir müssen grausam sein, wir müssen es mit ruhigem Gewissen sein, wir müssen auf technische, wissenschaftliche Weise zerstören.«

Eingestellte Ermittlungen

Wie auch bei anderen Massakern verliefen Strafverfolgung und Aufarbeitung nach dem Krieg schleppend und unvollständig. Der Leiter der Aktion, SS-Sturmbannführer Walter Reder, wurde 1951 in Bologna zu lebenslanger Haft verurteilt, im Januar 1985 begnadigt und starb 1991 in Wien. SS-Gruppenführer Max Simon wurde in Padua zum Tode verurteilt und bereits 1954 begnadigt.

Urteile des Militärgerichts in La Spezia von 2007 gegen 17 Mitwirkende wurden 2008 von einem Berufungsgericht in Rom 2008 aufgehoben und verschärft. Als aber eine Münchner Staatsanwaltschaft Ermittlungen aufnahm, stellte sie diese im April 2009 ohne Anklageerhebung wieder ein.

Im April 2002 lud Italiens Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi Bundespräsident Johannes Rau nach Marzabotto ein. Die Menschen der Region hätten die Erinnerung bewahrt und wachgehalten, so Rau in seiner Ansprache, nicht »um Hass lebendig zu halten oder um aufzurechnen«, sondern »um unserer gemeinsamen Zukunft willen«.

Steinmeier am Monte Sole

Er danke dafür, »dass Marzabotto ein Ort ist, der Italiener und Deutsche nicht entzweit, sondern zusammenführt«. In Italien wurden Raus Besuch und Worte mit dem Kniefall Willy Brandts 1970 in Warschau verglichen.

Der dort errichtete Parco Storico di Monte Sole (Geschichtspark Monte Sole) beherbergt heute unter anderem eine Friedensschule. Dort treffen sich nicht nur Jugendliche aus Italien und Deutschland, sondern sogar auch aus Israel und den palästinensischen Gebieten.

Am 29. September reist auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Monte Sole – zusammen mit seinem Amtskollegen Sergio Mattarella.

Europa

Kniefall in Warschau - Söder gedenkt Polens Kriegsopfern

In Warschau legt Markus Söder einen Opferkranz nieder und kündigt polnische Hinweisschilder für Bayerns Gedenkstätten an. Im Gespräch mit dem Regierungschef geht es um einen aktuellen Krieg

 11.12.2024

Meinung

Syrien: Warum machen wir immer wieder den gleichen Fehler?

Der Westen sollte keinem Mann vertrauen, der bislang als Terrorist gesucht wurde

von Jacques Abramowicz  11.12.2024

Meinung

Es sollte uns beschämen, dass Juden in Deutschland sich nicht mehr sicher fühlen können

Ein Gastbeitrag von Adrian Grasse

von Adrian Grasse  11.12.2024

RIAS

Experten kritisieren Normalisierung antisemitischer Narrative

Sie sind überall verfügbar, im Internet und analog: Legenden, die gegen Juden und die Demokratie gerichtet sind. Das zeigt eine neue Studie - und nimmt speziell auch den Rechtsextremismus in den Blick

 11.12.2024

Bern

Schweiz verbietet Hamas

Ein neues Gesetz verbietet die Hamas, Tarn- und Nachfolgegruppierungen sowie Organisationen und Gruppierungen, die im Auftrag der Terrorgruppe handeln. Jüdische Organisationen begrüßen den Schritt

 11.12.2024

Restitution

Familie verliert ihr in der Nazizeit gekauftes Grundstück

85 Jahre lebt eine Familie in einem Haus in Brandenburg. Zuvor hatte es zwei jüdischen Frauen gehört, die schließlich von den Nazis ermordet wurden

 11.12.2024

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Gelsenkirchen

Bekommt Bayern-Torhüter Daniel Peretz Konkurrenz?

Münchens Sportvorstand Max Eberl macht eine klare Ansage

 11.12.2024

Meinung

Syrien und die verfrühte Freude des Westens über den Sieg der Islamisten

Ein Gastkommentar von Ingo Way

von Ingo Way  11.12.2024