Der Kampf gegen Juden- und Israelfeindlichkeit muss nach Ansicht der nordrhein-westfälischen Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger stärker auch in sozialen Medien geführt werden.
»Man kann Tiktok nicht einfach beiseite liegen lassen«, sagte die frühere FDP-Bundesjustizministerin am Mittwoch bei der Vorlage ihres Jahresberichts für 2023. Vielmehr sei der Umgang mit Tiktok jetzt das vorrangige Thema für sie. Noch in diesem Jahr werde sie eine gebündelte Social-Media-Strategie angehen.
Ein Auftritt gegen Antisemitismus auf Tiktok müsse professionell sein, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. »Das geht nicht, indem ich mich vor das Mikrofon stelle und erzähle, was Antisemitismus ist.« Vielmehr müssten Informationen professionell und faktenbasiert vermittelt werden. Dazu brauche es eine umfassendere Strategie, und sie werde sich jetzt intensiv an die Umsetzung machen.
Drastischer Anstieg
Im fünften Bericht der NRW-Antisemitismus-Beauftragten wird ein drastischer Anstieg bei antisemitischen Straftaten auf einen neuen Höchststand von rund 550 Taten für das vergangene Jahr festgestellt. Vor allem seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober schnellte die Zahl hoch.
Hinzu kommen Hunderte antisemitische Vorfälle unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Die Serie setzte sich in diesem Jahr fort. In den ersten drei Monaten hat das Landeskriminalamt (LKA) bereits 123 antisemitische Straftaten registriert.
Im Herbst will Leutheusser-Schnarrenberger die Ergebnisse einer angekündigten Dunkelfeldstudie zur Verbreitung antisemitischer Einstellungen in der Gesellschaft vorlegen. Die Studie habe sich etwas verzögert, weil in den Umfragen auch die Einstellungen und Stimmung nach dem Hamas-Angriff auf Israel aufgegriffen werden sollten.
Vorfälle an Schulen
Wenig Fortschritte macht offenbar die Entwicklung des seit langem von Leutheusser-Schnarrenberger geforderten einheitlichen Meldeformulars für antisemitische Vorfälle an Schulen. Eigentlich habe sie am Mittwoch bereits ein Exemplar präsentieren wollen, sagte Leutheusser-Schnarrenberger.
Es gebe da aber noch Datenschutzfragen. Der Hamas-Angriff auf Israel habe auch gezeigt, dass der Nahost-Konflikt und seine Entstehung viel stärker im Schulunterricht erklärt werden müssten, sagte sie. Deshalb würden Unterrichtsmaterialien nun aktualisiert.
Angesichts des Hamas-Massakers in Israel und dem folgenden Krieg im Gaza-Streifen forderte Leutheusser-Schnarrenberger von allen Bürgerinnen und Bürgern eine klare Haltung ein. Natürlich könne an israelischer Politik Kritik geäußert werden, sagte sie. »Aber es geht darum, dass ein demokratischer Staat dort in der Region ausgelöscht werden soll.«
Menschliches Leid
Die Ursache für den Gaza-Krieg sei das Massaker an 1200 Menschen in Israel gewesen, das dürfe nicht vergessen werden. So viele Juden seien seit dem Holocaust nicht ermordet worden. Immer noch seien mehr als 100 Geiseln in der Gewalt der Hamas. Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung. Andererseits müsse auch das menschliche Leid in Gaza gelindert werden.
In Deutschland müsse immer wieder täglich deutlich gemacht werden, dass man Judenhass nicht durchgehen lassen dürfe - »auch nicht auf Feiern, auch nicht da, wo man ausgelassen feiert«, sagte Leutheusser-Schnarrenberger mit Blick auf die Verbreitung eines Videos mit rassistischen Party-Gesängen auf Sylt. Antisemitismus komme aus allen Gesellschafts- und Bildungskreisen, auch aus der sogenannten »Champagner-Etage«, wie es einst Michel Friedmann gesagt habe.
Argumente statt Gewalt
Auch die Universitäten nahm Leutheusser-Schnarrenberger in die Pflicht. Es gelte dort zwar die Meinungs- und Versammlungsfreiheit, aber es müsse auch eine klare Grenze aufgezeigt werden, sagte sie und spielte damit auf Besetzungen von Universitäten durch antiisraelische Aktivisten an.
Universitäten seien der Raum des Streits und der Diskurse, aber mit Argumenten und nicht mit Gewalt und Besetzungen, sagte die Antisemitismusbeauftragte. Auch Universitäten müssten klare Haltung zeigen. »Da gibt es keinen Platz für Forderungen, das Kalifat jetzt mal einzuführen.«
Momentan aber sei an Universitäten in den USA, aber auch in Berlin oder andernorts zu sehen, dass jüdische Studierende Universitäten als unsicheren Raum wahrnähmen. »Aber es darf auch von Seiten der Universität nicht im Unklaren bleiben, dass die Morde und Geiselnahmen der Terrororganisation Hamas verurteilt werden«, forderte Leutheusser-Schnarrenberger. dpa