Terror

»Keiner von uns wird kommen«

Ankie Spitzer bei der Gedenkfeier im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck anlässlich des 40. Jahrestags des Olympia-Attentats Foto: imago sportfotodienst

Terror

»Keiner von uns wird kommen«

Die Angehörigen der ermordeten Israelis drohen mit einem Boykott der Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Olympia-Attentats

von Martin Krauß  02.06.2022 09:31 Uhr

Es ist teils eine Drohung und teils eine Feststellung, was Ankie Spitzer dieser Tage häufiger sagt: »Keiner von uns wird kommen, wenn nicht die Frage der Entschädigung endlich geklärt wird.« Spitzer ist Witwe des 1972 ermordeten israelischen Fechttrainers André Spitzer und Sprecherin der Angehörigen der Opfer des Olympia-Massakers in München.

Der bayerische Freistaat will am 5. September, dem Jahrestag des Mordanschlags auf israelische Sportler, eine Gedenkstunde veranstalten.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Israels Präsident Isaac Herzog, IOC-Präsident Thomas Bach und Vertreter des Freistaats sollen sprechen, auch Ankie Spitzer ist angefragt. Doch sie ist empört. Sehr sogar. »Ich habe sie gefragt: Für wen macht ihr denn die Veranstaltung? Für euer Gewissen oder für die Familien?«

entschädigung Eine seriöse Entschädigung haben die Angehörigen nie erhalten. 1972 bekamen alle zusammen via Rotes Kreuz – damit der Bundesrepublik kein Schuldeingeständnis angelastet werden kann – eine Million Mark zugesprochen. 2002 gab es im Zusammenhang mit Prozessen, die letztlich eingestellt wurden, drei Millionen Euro, die überwiegend für Gerichts- und Anwaltskosten benötigt wurden. Seit eindeutig feststeht, dass das Kommando mit Unterstützung des Gaddafi-Regimes in Libyen handelte, unternehmen die Angehörigen neue Versuche, Entschädigungen zu erhalten.

»Wir wollen eine normale Kompensation nach internatio­nalen Standards.«

Ankie Spitzer

»Wir wollen eine normale Kompensation nach internatio­nalen Standards«, sagt Spitzer. Einen Präzedenzfall gibt es: Für den von Libyen verantworteten Flugzeugabschuss über dem schottischen Lockerbie erhielten die Angehörigen jeweils etwa zehn Millionen Dollar. Nach Gaddafis Sturz 2011 wurden etwa 200 Milliarden Dollar des Regimes vom UN-Sicherheitsrat eingefroren. Davon sollen die Angehörigen entschädigt werden, fordert Spitzer.

Am 5. September 1972 hatten acht Mitglieder der palästinensischen Terrorgruppe »Schwarzer September« ein Haus im Olympischen Dorf überfallen, wo Teile des israelischen Teams untergebracht waren. Der Ringertrainer Moshe Weinberg und der Gewichtheber Josef Romano wurden sofort erschossen, die anderen gefangen gehalten. Eine Befreiungsaktion am Flughafen Fürstenfeldbruck scheiterte am Dilettantismus der deutschen Polizei. Im Feuerhagel und durch einen gesprengten Hubschrauber starben die Geiseln, insgesamt sind es elf ermordete israelische Olympia-Teilnehmer.

terrorkommando Libyens Staatschef Gaddafi überwies daraufhin fünf Millionen Dollar an PLO-Chef Arafat – als Würdigung des Anschlags. Wenige Wochen später entführte ein anderes palästinensisches Terrorkommando eine Lufthansa-Maschine. Die Bundesregierung gab dessen Forderung nach, die drei inhaftierten Olympia-Attentäter freizulassen. Für Deutschland hatte sich auf diese Weise eine weitere juristische Aufarbeitung des Anschlags erübrigt.

Etliche Dokumente zu dem Vorfall sind bis heute unter Verschluss.

Etliche Dokumente zu dem Vorfall sind bis heute unter Verschluss, einige hatte die bayerische Landesregierung bereits vernichten lassen. Das Auswärtige Amt in Berlin hat Spitzer wissen lassen, es unterstütze nicht die Forderung, die Gaddafi-Millionen zur Entschädigung zu verwenden, das sei »nicht erfolgversprechend«.

Im Übrigen, so die Behörde gegenüber der »Süddeutschen Zeitung«, sei alles getan und gesagt, »auch zur Entschädigungsfrage«. Das bayerische Innenministerium teilt der Jüdischen Allgemeinen mit, man hoffe sehr, »dass wir im September alle Opferangehörigen in München begrüßen können, um gemeinsam ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen«.

Für die Angehörigen ist das anstehende Gedenken am 50. Jahrestag eine der letzten Chancen, ihre Interessen durchzusetzen. »Denn nach dem 5. September wird mich keiner mehr hören wollen«, sagt Ankie Spitzer, »dann haben sie ihre Gedenkfeier gemacht – und ihr Gewissen beruhigt.«

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