Interview

»In der Regel muss ich proaktiv werden«

Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus Foto: imago images/Christian Ditsch

Herr Klein, Sie schlagen vor, Ihre Stelle künftig im Kanzleramt anzusiedeln. Gefällt es Ihnen im Innenministerium nicht mehr?
Doch, natürlich. Aber die bisherigen drei Jahre meiner Amtszeit haben gezeigt, dass die Antisemitismusbekämpfung eine echte Querschnittsaufgabe ist. Sie betrifft alle Bundesministerien. Und es hat eine besondere Autorität, aus der Zentrale heraus Initiativen zu ergreifen. Der Einfluss auf die Regierungsarbeit wäre größer.

Müsste Ihre Stelle nicht komplett unabhängig sein vom Regierungsapparat?
De facto bin ich schon jetzt unabhängig. Und die Anbindung meines Amts an die Exekutive hat sich bewährt. Viele Vorhaben konnte ich gerade deswegen auf den Weg bringen.

Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit den verschiedenen Ressorts?
Manchmal werde ich von Beamten auf der Arbeitsebene in den Ministerien auf Punkte aufmerksam gemacht, die sie selbst nicht vorantreiben können. Ich kann das dann gegenüber der Leitung des betreffenden Hauses ansprechen. Aber in der Regel muss ich proaktiv tätig werden und auf die Ministerien zugehen. So wurden die jüngsten Änderungen im Strafrecht und im Namensrecht durch mich angestoßen.

Bräuchte es nicht in jedem Ministerium einen festen Ansprechpartner, der jüdische Themen im Blick hat?
Es wäre schon sinnvoll, wenn es in jedem Ministerium eine Person gäbe, bei der das zusammenläuft. Allein im Auswärtigen Amt, wo es eine solche Position gibt und ich selbst diese früher innehatte, ist das eine wahre Querschnittsaufgabe. Da geht es um die Nahostpolitik, die internationale Zusammenarbeit beim Holocaust-Gedenken, Entschädigungsleistungen für NS-Unrecht, die Zuwanderung jüdischer Bürger aus der ehemaligen Sowjet-
union oder die Diskriminierung israelischer Staatsbürger durch die Fluggesellschaft Kuwait Airways.

Just bei diesem Thema konnten Sie sich bislang nicht durchsetzen.
Ein höchstrichterliches Urteil steht noch aus. Wir müssen meines Erachtens trotzdem aktiv werden. Ein möglicher Weg wäre die Änderung des Luftverkehrsabkommens. Ein anderer wäre, zu prüfen, ob wir das Antidiskriminierungsgesetz nicht dahingehend ändern können, dass die Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit im Privatrecht verboten wird. Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sagte man mir, dass eine solche Gesetzesänderung grundsätzlich möglich sei. Davon würden nicht nur Israelis profitieren, sondern auch die Staatsangehörigen anderer Länder.

Nun wird gerade von der deutschen Justiz der auf Israel bezogene Antisemitismus nicht immer erkannt. Was kann man tun?
Unsere Justiz ist unabhängig, und das aus gutem Grund. Aber man kann darauf hinwirken, dass Richter und Staatsanwälte für das Thema sensibilisiert werden – etwa durch Fortbildungsangebote und durch Aufklärung darüber, was genau Antisemitismus ist. Die Bundesjustizministerin hat dankenswerterweise meine Initiative zur Änderung des Richtergesetzes aufgenommen. Ich möchte, dass künftig auch Kenntnisse über das NS-Unrecht und die Rolle der Justiz im Dritten Reich im juristischen Studium vermittelt werden.

Mit dem Bundesantisemitismusbeauftragten sprach Michael Thaidigsmann.

Deutschland

»Völlige Schamlosigkeit«: Zentralrat der Juden kritisiert AfD-Spitzenkandidat für NS-Verharmlosung

Der AfD-Spitzenkandidat aus Sachsen-Anhalt, Ulrich Siegmund, äußert sich einschlägig in einem Podcast zur NS-Zeit

von Verena Schmitt-Roschmann  21.11.2025

München

»Wir verlieren die Hoheit über unsere Narrative«

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour warnte in München vor Gefahren für die Demokratie - vor allem durch die sozialen Netzwerke

von Sabina Wolf  21.11.2025

Tobias Kühn

Wenn Versöhnung zur Heuchelei wird

Jenaer Professoren wollen die Zusammenarbeit ihrer Universität mit israelischen Partnern prüfen lassen. Unter ihnen ist ausgerechnet ein evangelischer Theologe, der zum Thema Versöhnung lehrt

von Tobias Kühn  21.11.2025

Kommentar

Wenn Ideologen mehr zu wissen scheinen als Expertinnen

Der Antisemitismusbekämpfer und bisherige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln, Martin Hikel, ist abgestraft worden - weil er die Grundwerte der sozialdemokratischen Partei vertreten hat

von Renée Röske  21.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  21.11.2025

Deutschland

»Hitler ist niedergekämpft worden. Unsere Städte mussten in Schutt und Asche gelegt werden, leider«

Militanter Linker, Turnschuhminister, Vizekanzler und Außenminister: Das sind die Stationen im Leben des Grünenpolitikers Joschka Fischer. Warum er heute vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer ein anderes Bild als früher hat

von Barbara Just  21.11.2025

Berlin

Bundesinnenministerium wechselt Islamismusberater aus

Beraterkreis statt Task Force: Die schwarz-rote Bundesregierung setzt einen anderen Akzent gegen islamistischen Extremismus als die Ampel. Ein neues Expertengremium, zu dem auch Güner Balci gehören wird, soll zunächst einen Aktionsplan erarbeiten

von Alexander Riedel  21.11.2025

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  21.11.2025 Aktualisiert

Vor 80 Jahren

Zentralrat der Juden: Nürnberger Prozesse waren Wendepunkt

Es waren hochrangige NS-Kriegsverbrecher, die vor 80 Jahren in Nürnberg vor Gericht standen. Was diese Prozesse aus Sicht des Zentralrats der Juden bedeuten - auch heute

von Leticia Witte  21.11.2025