Studie

Importierter Hass?

Bei einer Demonstration in Berlin wird eine Flagge mit Davidstern angezündet. (Archiv 2017) Foto: Bjoern Kietzmann

Sind antisemitische Einstellungen unter Menschen mit Migrationshintergrund und insbesondere unter Muslimen in Deutschland (noch) weiter verbreitet als im Rest der Bevölkerung? Es ist ein Aufregerthema und seit einigen Jahren ein Dauerbrenner in der politischen Debatte. Spontan würden viele die Frage wohl mit einem Ja beantworten. Doch was sagt die Forschung?

Im Auftrag des Berliner Mediendienstes Integration (MI), einem 2012 gegründeten Zusammenschluss von Migrationsexperten, der sich als Informationsplattform zu den Themen Flucht, Migration und Diskriminierung versteht, hat die Ethnologin Sina Arnold nun den Stand der Forschung zusammengefasst. Es ist auch ein Versuch, die hitzige Diskussion um Antisemitismus unter Muslimen etwas zu versachlichen.

Der Bericht der Mitarbeiterin am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin basiert auf einschlägigen Umfragen und Studien, die in den vergangenen Jahren durchgeführt und veröffentlicht wurden. Außerdem berücksichtigt Arnolds Papier Statistiken von Behörden und Nichtregierungsorganisationen. Die Forscherin unterscheidet zwischen drei Formen des Judenhasses: klassischem, sekundärem sowie israelbezogenem Antisemitismus.

Vor allem Menschen aus dem arabischen Raum und der Türkei fallen durch Vorurteile auf.

In der ersten Kategorie finden sich traditionelle Verschwörungserzählungen wie jene, dass Juden die Welt regierten oder gierig seien. Der sekundäre Antisemitismus bezieht sich auf die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit, inklusive der Leugnung oder Verharmlosung der Schoa oder Stereotypen wie »Die Juden nutzen den Holocaust dazu aus, sich heute Vorteile zu verschaffen«. Israelbezogener Antisemitismus liegt beispielsweise dann vor, wenn Israels Vorgehen gegenüber den Palästinensern mit dem der Nazis gegenüber den Juden gleichgesetzt wird.

UNTERSCHIEDE Die zentrale Erkenntnis: Sowohl beim »klassischen« als auch beim israelbezogenen Antisemitismus sind Vorurteile bis hin zu Hass unter den in Deutschland lebenden Muslimen weitaus ausgeprägter als bei der nichtmuslimischen Bevölkerung. Allerdings gilt das laut Arnold nicht für den sekundären Antisemitismus. Der sei bei Menschen mit Migrationshintergrund weniger weit verbreitet als unter jenen, die keine Zuwanderungsbiografie haben. Das gelte in besonderem Maße für Migranten ohne deutschen Pass. Zudem gebe es zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in diesem Punkt keine nennenswerten Unterschiede.

»Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, dass es dabei um eine Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte und auch mit deutschen Familienbiografien geht«, folgert Sina Arnold. Die Auseinandersetzung mit der Rolle der eigenen Vorfahren während der NS-Zeit und mit der jüngeren deutschen Geschichte sei nun einmal für Menschen mit Migrationshintergrund weniger relevant.

Anders sieht es aus, wenn es um den jüdischen Staat geht. Im Hinblick auf Israel fielen vor allem Zuwanderer aus dem arabischen Raum und der Türkei durch weit verbreitete antisemitische Vorurteile auf. Arnold plädiert aber dafür, nicht alle überwiegend islamischen Länder pauschal über einen Kamm zu scheren. So sei die Ablehnung Israels in Nigeria deutlich weniger ausgeprägt als beispielsweise in Malaysia oder in vielen arabischen Staaten.

Die Kategorie »Migrationshintergrund« ist nur bedingt aussagekräftig als Maßstab für antisemitische Einstellungen.

Der Aufenthalt in Deutschland wirke sich in der Regel positiv auf die Einstellungen von Zuwanderern gegenüber Juden aus. »Die Dauer des Aufenthalts in Deutschland ist ausschlaggebend für antisemitische Einstellungen.« Die höhere Zustimmung zu antisemitischen Aussagen nehme ab, je länger Migranten in Deutschland leben.

»In der deutschen Gesellschaft ist Antisemitismus zwar weiterhin verbreitet, aber offiziell tabuisiert. Wenn Menschen hier wohnen und aufwachsen, lernen sie dieses ›Einhalten der sozialen Norm gegen Antisemitismus‹. Sie besuchen außerdem deutsche Schulen und erfahren etwas über die Geschichte des Nationalsozialismus, was sie möglicherweise für das Thema sensibilisiert«, schreibt die Wissenschaftlerin in ihrer Expertise. Die Kategorie »Migrationshintergrund« sei deswegen nur bedingt aussagekräftig als Maßstab für antisemitische Einstellungen.

Auch wenn die Faktenlage in einigen Punkten unklar ist und sich einige der verwendeten Studienergebnisse widersprechen, wirbt Arnold in ihrem Papier dafür, das Problem ernst zu nehmen. Antisemitismus unter Muslimen dürfe nicht aus Angst vor der Reproduktion rassistischer Zuschreibungen bagatellisiert werden.

ANTIZIONISMUS Zudem komme die Forschung beim klassischen wie auch beim israelbezogenen Antisemitismus zu derselben Antwort: Sowohl die religiöse Orientierung als auch die Herkunft von Menschen spielen eine Rolle. »In zahlreichen mehrheitlich muslimischen Ländern finden sich höhere Zustimmungswerte zu Antisemitismus als in nichtmuslimischen Ländern«, folgert die Expertin.

Arnold stützt sich hierbei im Wesentlichen auf eine schon 2014/15 von der Anti-Defamation League durchgeführte weltweite Studie. Die Ablehnung Israels vor allem unter Menschen in Nordafrika hängt demnach nicht nur mit einer konservativ-autoritären Interpretation des Islam, sondern auch mit staatlich propagiertem Antizionismus zusammen, welcher schnell in Judenhass umschlagen könne.

Letzteres führe dazu, dass beispielsweise auch christliche Zuwanderer aus arabischen Ländern ähnlich hohe Zustimmungswerte für antisemitische Verschwörungserzählungen aufwiesen wie ihre muslimischen Landsleute. Auch innerhalb der islamischen Gemeinschaft gebe es signifikante Unterschiede: So betrachteten die Aleviten in Deutschland das Judentum deutlich weniger negativ als beispielsweise sunnitische Zuwanderer.

In ihrem auch als Handreichung für Journalisten gedachten Papier wirbt Sina Arnold deshalb für eine differenzierte Betrachtung des Problems. Wichtig sei es auch, die Perspektiven der in Deutschland lebenden Juden einzubeziehen. Von »importiertem Antisemitismus« zu sprechen, lehnt sie dennoch ab. »Der Begriff legt nahe, dass es ohne einen solchen ideologischen Import kaum Antisemitismus in Deutschland gäbe – was falsch ist.«

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