Renten

Im Fall der Währung

Protest für Würde und Menschlichkeit: Ein Schoa-Überlebender bei einer Gedenkveranstaltung in Yad Vashem Foto: Reuters

Sylvia Gembitzky aus Tel Aviv braucht eine neue Brille, mit dem Alter lassen ihre Augen stärker nach. Auch die orthopädischen Einlagen, die sie bereits tragen muss, seitdem ihr gegen Ende des Zweiten Weltkriegs beim Marsch durch Transnistrien die Füße erfroren, müssten wieder erneuert werden. »Vor einem Jahr hätte ich mir beides noch leisten können«, sagt sie. »Jetzt muss ich mich entscheiden: Brille oder Einlagen?«

Die bescheidene Opferrente für Holocaust-Überlebende, von der Sylvia Gembitzky lebt, ist in den letzten Monaten deutlich geschrumpft: Vor einem halben Jahr noch erhielt sie 2.600 Schekel im Monat, zuletzt gingen nur noch 2.100 Schekel auf ihrem Konto ein. Brille und Einlagen kosten zusammen 3.000 Schekel.

umrechnung An der vereinbarten Höhe von Gembitzkys Opferrente – rund 450 Euro, die ihr monatlich aus Deutschland überwiesen werden – hat sich in diesem Zeitraum allerdings nichts geändert. Lediglich der Umrechnungskurs des Euro ist abgestürzt. Anstatt 5,7 Schekel bekommt sie für einen Euro heute nur noch 4,7 Schekel. So trifft die Eurokrise auch hochbetagte Holocaust-Überlebende. Viele mussten jahrzehntelang darauf warten, überhaupt Zahlungen aus Deutschland zu erhalten – nun sind die Beträge, die sie ausgezahlt bekommen, in den letzten sechs Monaten um rund 20 Prozent zurückgegangen.

Betroffen sind jene Holocaust-Überlebende in Israel, deren Opferrente nicht von Israel, sondern von Deutschland bezahlt wird. Insgesamt sind dies über 40.000 Menschen. »Als die Kursrückgänge noch gemäßigt waren, wurde dieses Thema nicht angesprochen«, sagt Zeev Faktor, der Vorsitzende des Sozialfonds für Holocaust-Überlebende in Israel, »aber in den letzten Wochen waren die Rückgänge einfach zu drastisch.« Die Überlebenden wollen nun aktiv werden und sich an das deutsche Finanzministerium wenden. Da aller- dings scheint bislang wenig Verständnis für ihre Situation zu bestehen. Es gäbe eine »eindeutige Position«, sagt ein Ministeriumssprecher: Deutsche Sozialleistungen – zu diesen zählen auch Opferrenten – würden stets in deutscher Währung gezahlt.

Risiko Daran habe seit Jahrzehnten nie ein Zweifel bestanden. Dieser Standpunkt ist zwar insofern unbestritten, als der deutsche Staat sich traditionell nicht dafür interessiert, ob die Bezüge eines deutschen Rentners in Gütersloh oder auf den teuren Bahamas ausgegeben werden. Der schwankende Wechselkurs ist grundsätzlich ein »privates Risiko«, bei den Leistungen aus den Sozialkassen sollen insofern alle gleich behandelt werden. Allerdings kann man die freiwillige Entscheidung vieler deutscher Rentner, ihren Lebensabend fernab der Euro-Zone zu genießen, kaum mit dem Weg vergleichen, den jüdische Opfer des deutschen Vernichtungswahns nach Israel genommen haben. Auch der Umstand, dass Überlebende, die nun unter dem schwachen Euro leiden, in früheren Jahren von einer besonders starken Währung »profitieren« konnten, verschafft diesen wenig Trost: »Viele Menschen lebten auch damit an der Überlebensgrenze«, erklärt Noah Flug, der Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. »In Deutschland bedeutet die Eurokrise keinen Nachteil, die Preise sind dort nicht gestiegen. In Israel ist das für jemanden, der mit einer ohnehin knappen Euro-Rente auskommen muss, eine ganz andere Situation.«

verhandlungen Noah Flug, der auch Vizepräsident der Jewish Claims Conference (JCC) ist, will in den kommenden Tagen Kontakt mit dem Bundesfinanzministerium aufnehmen. Dort ist, trotz der grundsätzlich »eindeutigen Position«, die Tür für Verhandlungen nicht ganz verschlossen, wie ein Sprecher erklärt. Man könne gemeinsam erörtern, wie sich Härtefälle abfedern ließen. »Dafür sind unsere Treffen mit der JCC da, die einmal jährlich stattfinden.« Das Nächste steht allerdings erst im Oktober an – zu spät, findet Noah Flug. Er will schon in den
Mit welchem Ziel man in solche Verhandlungen gehe, sei noch offen, sagt Flug. Denkbar sind zum Beispiel einmalige Zahlungen an Holocaust-Überlebende in Israel. Eine andere Möglichkeit bestünde darin, die Zahlungen leicht anzuheben, bis sich der Euro wieder stabilisiert hat. Entscheidend sei letztlich nur eines, sagt Flug: »Dass die Leute leben können.«

Regierung

Mit Davidstern ins Kabinett

Karin Prien wird Deutschlands erste Bundesministerin mit jüdischen Wurzeln. Erst seit wenigen Jahren spricht die CDU-Politikerin öffentlich über ihre Familiengeschichte

von Michael Thaidigsmann  30.04.2025

Iran

Mullahs lassen angeblichen Mossad-Informanten hinrichten

Die Zahl der Hinrichtungen hat in den vergangenen Jahren drastisch zugelegt

 30.04.2025

Buenos Aires

Argentinien stellt Dokumente über geflohene Nazis online

Viele hochrangige Nationalsozialisten flohen nach dem Zweiten Weltkrieg vor Strafverfolgung – vor allem nach Südamerika. In Argentinien sind Dokumente zu den NS-Tätern nun digital zugänglich

 30.04.2025

Hanau

Antisemitisches Plakat an Schule: Staatsschutz ermittelt

In einem angrenzenden Park gab es eine Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde. Besteht ein Zusammenhang?

 30.04.2025

Jom Hasikaron

Israel gedenkt der Terroropfer und Kriegstoten

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 850 israelische Soldaten und 82 Sicherheitskräfte getötet worden

 30.04.2025

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025