Der in Hamburg vor Gericht stehende ehemalige SS-Wachmann möchte sich heute nicht an seine Dienstzeit im KZ-Stutthof erinnern. »Ich möchte vergessen und nicht weiter aufarbeiten«, sagte er am Mittwoch auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, ob er mit seinen Enkeln und Urenkeln über die Zeit spreche. Er wolle sie damit nicht belasten. Das, was er erlebt habe, würde er, wenn er gefragt werde, auch so erzählen. Der 93-Jährige fügte hinzu: »Ich habe keine Schuld, was damals passiert ist. Ich habe dazu nichts beigetragen, außer dass ich Wache gestanden habe. Aber dazu wurde ich gezwungen, das war Befehl.«
Dem Angeklagten wird Beihilfe zum Mord in 5230 Fällen vorgeworfen. Als SS-Wachmann in dem KZ bei Danzig habe er von August 1944 bis April 1945 »die heimtückische und grausame Tötung insbesondere jüdischer Häftlinge unterstützt«. Zu seinen Aufgaben habe es gehört, die Flucht, Revolten und die Befreiung von Gefangenen zu verhindern, erklärte die Staatsanwaltschaft. Weil der Angeklagte zur Tatzeit 17 bis 18 Jahre alt war, findet der Prozess vor einer Jugendstrafkammer statt.
Bei der Befragung zu seiner Person gab der 93-Jährige bereitwillig und zum Teil sehr detailliert Auskunft. Schon in der Schule sei er als Sohn eines katholischen Bauern Einzelgänger gewesen. Sein Vater sei in dem Dorf Mitglied des Zentrums gewesen, das eine der tragenden Parteien der Weimarer Republik war. Als die Nazis an die Macht kamen, sei er als Dorfvorsteher abgesetzt worden. Über Politik sei zu Hause nie gesprochen worden. Auch vom Krieg, der im nur gut 20 Kilometer entfernten Danzig begann, habe er zunächst kaum etwas mitbekommen.
Bei Kriegsende bewachte der Angeklagte Gefangene aus Stutthof, die von der SS auf einem Schiff über die Ostsee nach Neustadt in Holstein gebracht wurden. Kurz vor der Einnahme der Stadt durch die Briten habe sein SS-Trupp Häftlinge auf einem Lastwagen in den Hafen gebracht. Dann habe er Leichen am Strand einsammeln müssen. Wehrmachtsoffiziere hätten ihm geraten, nach Hause zu gehen. Auf der Flucht sei er in amerikanische Gefangenschaft geraten.
Verteidiger Stefan Waterkamp beantragte, ein Neurowissenschaftler solle die Erinnerungsfähigkeit seines Mandanten begutachten. Von den Nebenklage-Vertretern sei suggeriert worden, der Angeklagte wolle sich nicht erinnern. Wenn auch das Gericht nur von einem Teilgeständnis ausgehen würde, könne das negative Folgen für seinen Mandanten haben. Erinnerungslücken an Ereignisse vor 75 Jahren dürften ihm nicht zum Nachteil ausgelegt werden. Die Vorsitzende Richterin, Anne Meier-Göring, erklärte, dass diese Frage auf jeden Fall geklärt werden müsse.