Diaspora

Hört, hört!

Viele Stimmen, viele Meinungen – auch in Sachen Israel muss das nicht von Nachteil sein. Foto: imago, fotolia

Vor einigen Tagen war es so weit: Nach anderen europäischen Staaten hat sich jetzt auch in Deutschland eine Gruppe der Initiative »JCall« gegründet. Wie das Pendant »JStreet« in den USA soll der israelischen Regierungspolitik »eine andere jüdische Stimme« entgegengesetzt werden. Bewusst will man sich von den jüdischen Gemeinden und Organisationen hierzulande absetzen, die angeblich fast unisono zu uneingeschränkter Unterstützung und Solidarität aufrufen. JCall möchte sowohl die Zwei-Staaten-Lösung voranbringen als auch den Siedlungsbau beenden und dementsprechend Öffentlichkeitsarbeit betreiben – sowohl auf Länder- als auch auf EU-Ebene. Neue Töne sollen künftig aus Berlin, Frankfurt, Hamburg, München und Düsseldorf zu vernehmen sein. Hört, hört!

In Israel wird Kritik aus dem Ausland, insbesondere von in der Diaspora lebenden Juden, unterschiedlich aufgenommen. Vorbehalte gibt es vor allem, wenn sich Stimmen aus Deutschland zu Wort melden. Dabei spielt bis heute die Frage eine erhebliche Rolle, ob man als Jude überhaupt im Land der Täter leben könne und dürfe. Und diese Frage ging immer einher mit dem Hinweis, dass es ja einen jüdischen Staat für alle Juden auf der Welt gibt.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Deutschland gilt als wichtiger und unentbehrlicher Partner Israels. Die gegenseitigen Beziehungen sind geprägt von Normalität und Alltag. Folgerichtig verliert die Frage, ob Juden sich überhaupt in der Bundesrepublik niederlassen dürfen, immer mehr an Bedeutung.

Selbstbewusstsein Mittlerweile haben wir Israelis uns mehrheitlich damit abgefunden, dass Juden wie andere Menschen auch das Recht haben, selbst zu entscheiden, wo sie leben wollen. Also warum nicht auch in einem demokratisch gefestigten Deutschland? Zumal die jüdische Gemeinschaft zwischen Hamburg und München an Bedeutung, Einfluss und Selbstbewusstsein gewonnen hat, auch in der Welt der Diaspora. Es ist also nur konsequent, wenn sich Juden in Sachen Israel zu Wort melden. Wenn es unterschiedliche Stimmen und Stimmungen gibt, muss das nicht zum Schaden sein.

Kernpunkt dabei ist und bleibt die Solidarität mit dem jüdischen Staat. Das heißt jedoch nicht, dass die Politik der jeweiligen israelischen Regierung bedingungslos unterstützt werden muss. Schließlich wird auch in Israel heftig darüber gestritten. Die geäußerte Kritik hat einen einfachen Grund: Aus Liebe zur Heimat setzt man alles daran, dass Israel ein besseres Land wird. Juden in aller Welt, die sich mit uns solidarisch erklären, sollten das Gleiche im Sinn haben. Ein echter Freund, ein wahrer Verbündeter, ein echtes, aufrichtiges Familienmitglied darf seinen guten Rat nicht für sich behalten.

Ich habe vor einigen Monaten als Beobachter an der Gründungsversammlung von JCall in Brüssel teilgenommen. Als ich in den Saal schaute, sah ich fast nur vertraute, vertrauenswürdige Gesichter. Beinahe alle waren mir als echte Freunde Israels bekannt, die sich ihr Leben lang dem jüdischen Staat verbunden fühlten und ihn immer unterstützt haben. Meist sind es sogar überzeugte Zionisten.

diskussion Auch wenn ihre Meinung nicht immer gefallen mag, darf man diese Menschen nicht beschimpfen. Es ist falsch, ihnen jüdischen Selbsthass oder sogar Antisemitismus zu unterstellen. Sie dürfen nicht ausgegrenzt werden, sondern man muss ihnen zuhören, mit ihnen diskutieren. Von dem Vorsitzenden einer Gemeinde oder Vertreter einer großen jüdischen Organisation kann ich allerdings erwarten, dass er nicht seine eigene politische Agenda verfolgt, sondern die Mehrheitsposition derjenigen wiedergibt, die er vertritt.

Für den Dialog zwischen (deutscher) Diaspora und Israel gibt es eine Zauberformel: kritische Solidarität. Jeder kann leben, wo er will. Jeder kann auch Israels Regierungspolitik hinterfragen. Doch auf zweierlei kommt es dabei immer an: Offenheit und Ehrlichkeit. Wenn das gegeben ist, kann Kritik fruchtbar sein – für Israel und die Gemeinden in aller Welt.

Der Autor war von 1993 bis 1999 Israels Botschafter in Deutschland und leitet heute das Zentrum für Europäische Studien in Herzliya.

Extremismus

BSW-Chefin Wagenknecht will Brandmauer zur AfD einreißen 

Gespräche zwischen BSW und AfD? Landespolitiker in Thüringen haben es vorgemacht. Selbstverständlich sei das auch auf Bundesebene möglich, sagen beide Seiten

von Torsten Holtz  04.07.2025

Medien

Eurovision künftig ohne Israel?

Die Regierung droht mit der Schließung des öffentlich-rechtlichen Senders Kan. Das könnte das Aus für die Teilnahme am weltgrößten Gesangswettbewerb sein

von Sabine Brandes  04.07.2025

Berlin

Russland steuert Hetzkampagne gegen Nicholas Potter

Das Propaganda-Portal »Red« ist Treiber der Diffamierungskampagne gegen den Journalisten. Das Auswärtige Amt ist sich nun sicher, dass Russland hinter dem Portal steht

 04.07.2025

USA

Edan Alexander bedankt sich bei Donald Trump

Die freigelassene Geisel Edan Alexander trifft erstmals US-Präsident Trump. Um sich zu bedanken und auch, um darauf zu drängen, alle verbleibenden Geiseln so schnell wie möglich nach Hause zu holen

 04.07.2025

Rassistischer Polizist bleibt im Dienst

Gericht »nicht auf rechtem Auge blind«

Der Verwaltungsgerichtshof München steht in der Kritik, weil er einen ehemaligen Personenschützer von Charlotte Knobloch im Dienst belassen hat - obwohl dieser Juden in KZs wünschte. Jetzt wehrt sich das Gericht

 04.07.2025 Aktualisiert

Berlin

Wie viel Migration verträgt das Klassenzimmer – und sind Grenzen nötig?

Bundesbildungsministerin Prien hält eine Obergrenze für Schüler mit Migrationshintergrund für denkbar

 04.07.2025

Österreich

Hitler-Geburtsort Braunau benennt Straßennamen mit NS-Bezug um

Ausgerechnet in Adolf Hitlers Geburtsort gibt es bis dato nach Nationalsozialisten benannte Straßen. Das soll sich ändern - und trifft bei einigen Politikern auf Widerstand

 03.07.2025

Hamburg

Hamas-Anhänger tritt bei staatlich gefördertem Verein auf

Das Bündnis Islamischer Gemeinden in Norddeutschland wird durch das Programm »Demokratie leben« gefördert und lud einen Mann ein, der Sinwar als »Märtyrer« bezeichnet hat

 03.07.2025

«Stimme der verstummten Millionen»

Anita Lasker-Wallfisch blickt ernüchtert auf die Welt

Sie gehörte dem Mädchen-Orchester von Auschwitz an, überlebte das Lager und später das KZ Bergen-Belsen. Am 17. Juli wird die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch 100. Und ist verzweifelt angesichts von Antisemitismus, Rechtsruck und Krieg, sagt ihre Tochter

von Karen Miether  03.07.2025