Jamel nach Brandanschlag

»Hilfe? Von keinem«

Horst und Birgit Lohmeyer vor den Trümmern ihrer Scheune in Jamel Foto: dpa

Jetzt ist es in Jamel also doch passiert. Aus Drohungen wurden Taten, die Scheune der Lohmeyers liegt nach einem Brandanschlag vergangene Woche in Schutt und Asche. Vermutlich waren es Neonazis, die ein Exempel an dem Ehepaar und seiner Zivilcourage statuieren wollten. »Vermutlich« ist in diesem Fall Ausdruck vorsichtiger deutscher Beamtensprache. Die Staatsanwaltschaft Schwerin hält sich bedeckt, man wolle nicht spekulieren. Dabei ist allzuviel Spekulation hier gar nicht notwendig, schon früher haben Häuser in dem mecklenburgischen Ort gebrannt – um Gegner der Nazis einzuschüchtern.

Nicht die Neonazis sind isoliert in Jamel, sondern das mutige Ehepaar. Birgit Lohmeyer berichtet: »Aus dem Dorf kam keinerlei Unterstützung. Weder in der Brandnacht, noch später. Von keinem.« Mittlerweile wurde nachgewiesen, dass beim Brand der Reetdachscheune Brandbeschleuniger verwendet wurden. Das Feuer wurde also gelegt.

npd-dorf Das kleine Jamel nahe der Ostseeküste ist in den Jahren nach der Jahrtausendwende als Synonym für die Übernahme ganzer Landstriche durch Neonazis bekannt geworden. Und für die Ohnmacht der Öffentlichkeit, sich dagegen zu wehren. Ein Vorzeigedorf der NPD, mit einem Bürgermeister, der schon vor acht Jahren öffentlich verkündet hatte, dass Jamel verloren sei. Einfach nichts mehr zu machen. Zu stark die Nazis im Dorf. Zu wenig Unterstützung bei der Bekämpfung. Es kam einer Bankrotterklärung des Staates und der deutschen Zivilgesellschaft gleich.

Wäre da nicht das Ehepaar Lohmeyer. Seit elf Jahren wohnen die Lohmeyers in Jamel, haben sich nicht vertreiben lassen, nicht einschüchtern lassen von dem Psychokrieg, der seit Jahren aus dem Dorf gegen sie geführt wird. Im Gegenteil, anders als viele andere Nachbarn, die lieber fest die Augen zudrücken und hoffen, dass es nicht sie irgendwann trifft, hat das Paar sich gewehrt. Ähnlich ergeht es übrigens einem alternativen Wohnprojekt ganz in der Nähe, in Wismar. Die Bewohner von »Tikozigalpa« sind seit Jahren Angriffen ausgesetzt.

förster Seit 2007 organisieren die beiden nun schon ehrenamtlich »Jamel rockt den Förster«, ein Musikfestival für Demokratie und Toleranz, als trotzigen Protest gegen das braune Jamel. Zunächst nur als kleines Festival für Freunde und Bekannte geplant, entwickelte es sich »beinahe zwangsläufig zu einem ambitionierten kulturpolitischen Projekt«, wie es auf der Website heißt. Mittlerweile ist Sylvia Bretschneider, Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Schirmherrin des Projekts.

Von der daraus entstandenen Bekanntheit hatten sich die Lohmeyers ein wenig Schutz erhofft. Schließlich sind sie für ihr Engagement mit Auszeichnungen geehrt worden: Unter anderem erhielten sie 2011 den Paul-Spiegel-Preis, den der Zentralrat der Juden in Deutschland für Zivilcourage verleiht.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats, verurteilte den Brandanschlag scharf und forderte Unterstützung für die Lohmeyers: »Wie man leider sieht, nehmen die Herausforderungen im Kampf gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nicht ab. Es ist wichtiger denn je, gemeinsam und geschlossen für Toleranz und Freiheit einzutreten. Ob in Jamel oder anderswo in Deutschland – solch mutige Menschen wie das Ehepaar Lohmeyer dürfen nicht allein gelassen werden.«

E-Mails Es gab auch viel Solidarität aus ganz Deutschland, es kamen Hunderte Mails mit aufbauenden Worten, es wurde gespendet für den Wiederaufbau der Scheune und auch für das Festival. Denn »Jamel rockt den Förster« soll auch diesen Sommer wie geplant stattfinden, obwohl sich viel Material in dem nun abgebrannten Gebäude befand. »Wir werden das Festival wie immer durchführen«, zeigt sich Birgit Lohmeyer entschlossen, »mit der zusätzlichen Hilfe von vielen Menschen, die sich nach dem Mordanschlag bei uns gemeldet und ihre Hilfe angeboten haben.«

Birgit und Horst Lohmeyer geben nicht auf, auch wenn es ihnen niemand vorwerfen könnte, würden sie die Segel streichen. Das Paar erzählt, beide seien sich sofort einig gewesen. »Wir machen weiter. Jetzt erst recht«, sagt Birgit Lohmeyer.

Washington D.C.

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