Ende April eroberte die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek im Ranking des Meinungsforschungsinstituts Insa den ersten Platz als die beliebteste Politikerin in Deutschland. Die 37-Jährige landete somit vor der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Bärbel Bas (SPD), und dem bekannten Mitglied des Europäischen Parlaments, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Reichinnek ist dank des erfolgreichen Bundestagswahlkampfes in der Beliebtheitsskala emporgeschossen, ihr lockeres Auftreten in den sozialen Medien hatte maßgeblich dazu beigetragen.
Im Bundestag sitzt sie nun einer Fraktion von 64 Abgeordneten vor. Darunter sind mehrere, denen eine fehlende Distanz zu extrem israelfeindlichen sowie islamistischen Ideen und Gruppen vorgeworfen wird. Auch Reichinnek persönlich musste sich unlängst dieser Kritik stellen.
So wurde nach der Bundestagswahl in sozialen Medien vielfach auf einen Artikel von 2016 verwiesen, dessen Co-Autorin Reichinnek ist und in dem eine potenzielle Zusammenarbeit von linken Kräften mit islamistischen Organisationen evaluiert wurde. Dieser bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung veröffentliche Beitrag hatte laut Reichinnek das Ziel, auszuloten, »inwieweit moderate Islamisten Bündnispartner für Deutschland bei der Stabilisierung der Region nach den Umwälzungen des arabischen Frühlings sein könnten«.
In dem Beitrag wurde nicht nur ein offener Dialog auf Augenhöhe mit Islamisten eingefordert, sondern die Stiftung der Linkspartei aufgefordert, junge Islamisten in ihre Arbeit einzubeziehen, da diese sonst den Weg einer weiteren Radikalisierung einschlagen könnten. Auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen erklärt Reichinnek nun, dass das damals von ihr und anderen gesehene Möglichkeitsfenster »sich inzwischen geschlossen« habe.
Solidarität mit einem Hamas-Relativierer
Neben Reichinnek sitzen auf der Linken-Fraktionsbank auch die Abgeordneten Cansın Köktürk und Luigi Pantisano. Die beiden hatten sich in einer öffentlich verbreiteten Solidaritätserklärung im Oktober 2024 mit dem damaligen Parteimitglied Ramsy Kilani solidarisiert. Kilani wurde einen Monat später aus der Linkspartei ausgeschlossen. Grund für den Ausschluss war laut der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Partei, Katina Schubert, Kilanis »Relativierung des Terrors der Hamas, selektive Kritik an Gewalt gegen Frauen als Mittel der Kriegsführung und die Ablehnung des Existenzrechts Israels«.
Die Abgeordnete Köktürk posierte umgehend nach ihrem Einzug in den Bundestag mit einer Kufiya, dem sogenannten Palästinensertuch, im Parlamentssaal und verbreitete die Bilder in den sozialen Medien. Während des Bundesparteitags der Linkspartei solidarisierte sich die ehemalige Quartiersmanagerin mit dem Verein »Handala« aus Leipzig. Das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz stuft den Verein als extremistisch ein, unter anderem, weil er sich mit der Terrororganisation Hamas solidarisiere.
Der Militäreinsatz der israelischen Armee in Gaza ist für nicht wenige Bundestagsabgeordnete der Linkspartei ein drängendes Thema. Nicht selten entstammen die antizionistischen Wortführer dem aufgelösten trotzkistischen Netzwerk »Marx21«. So teilte die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke auf dem Kurznachrichtendienst X einen Post, in dem behauptet wird, dass »die Hungerblockade gegen die Menschen in Gaza das große faschistische Verbrechen des Augenblicks« sei.
Josef Schuster wirft der Partei Ignoranz gegenüber der jüdischen Gemeinschaft vor.
Die über die Landesliste in Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählte Lea Reisner unterstellt dem Staat Israel auf X, einen »genozidalen Krieg« zu führen, und fordert einen Stopp der deutschen Waffenlieferungen. Die 36-Jährige trat im April des letzten Jahres gemeinsam mit dem in Berlin-Neukölln direkt in den Bundestag gewählten Ferat Kocak auf dem »Marx is‹ Muss«-Kongress des trotzkistischen Netzwerkes auf.
Kocak wiederum lud im Rahmen des Bundestagswahlkampfes im Februar den früheren Chef der britischen Labour-Partei Jeremy Corbyn zu einem gemeinsamen Auftritt ein. Die englischen Sozialdemokraten suspendierten Corbyn vor fünf Jahren, weil dieser antisemitische Tendenzen innerhalb der Partei zugelassen hatte. Erst nach öffentlicher Kritik wurde die Veranstaltung abgesagt.
Die Linke übernimmt »Jerusalemer Erklärung«
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, erklärte Mitte Mai aufgrund der vielen Vorfälle, dass die Linkspartei dazu beitrage, »Antisemitismus zu verschweigen«, in ihrem radikalen Kern getrieben sei von Israelhass und ignorant gegenüber der jüdischen Gemeinschaft agiere. Diese Aussage weist Fraktionschefin Reichinnek gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen« »ganz entschieden zurück«. Dass diese Vorwürfe nicht zuträfen, zeige »beispielsweise der mit großer Mehrheit verabschiedete Parteitagsbeschluss von Halle«.
Die Beschlüsse des Parteitags im Oktober vergangenen Jahres in Halle wurden jedoch teilweise auf dem diesjährigen Bundesparteitag im Mai in Chemnitz revidiert. Unter anderem wurde die umstrittene »Jerusalemer Erklärung« als neue Arbeitsdefinition für Antisemitismus durchgesetzt. Auch der Umgang mit einem Post des Bundesvorstandsmitglieds Ulrike Eifler irritierte viele Beobachter der Partei. Die Gewerkschafterin postete auf X eine Grafik mit dem Schriftzug »All United For Free Palestine«, auf der eine Karte abgebildet war, die die Gebiete des ehemaligen britischen Mandatsgebiets ohne den Staat Israel darstellte.
Es folgte die indirekte, aber eindeutige Aufforderung des Parteivorstandes, den Post zu löschen – die von Eifler jedoch ignoriert wurde. Konsequenzen wird das für die Linken-Politikerin wohl nicht haben, wie eine Nachfrage der Jüdischen Allgemeinen beim Parteivorstand ergab. Das spricht kaum dafür, dass die Partei willens ist, entschlossen gegen Israelhass in den eigenen Reihen vorzugehen.