Meinung

Haben wir einen Stich?

Kippa-Debatte: Vom jüdischen Umgang mit Judenfreunden

von Michael Wolffsohn  29.05.2019 12:31 Uhr

Der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn Foto: imago

Kippa-Debatte: Vom jüdischen Umgang mit Judenfreunden

von Michael Wolffsohn  29.05.2019 12:31 Uhr

Gegner und Feinde haben wir Juden eigentlich genug. Seit rund 3000 Jahren. »Nichts Neues unter der Sonne«, verriet uns schon Kohelet beziehungsweise Prediger Salomonis. (Nein, König Salomon, »der Weise«, war nicht dessen Autor.) Obwohl (oder gerade weil?) wir so viele Gegner und Feinde haben, sind »wir« oft offenbar so meschugge, dass wir Gefahr laufen, auch Freunde in Gegner zu verwandeln.

Das jüngste deutschjüdische Beispiel: Dass Juden aufgrund der niederschmetternden Unsicherheitssituation sicherheitshalber keine Kippa tragen sollten, empfahl, blutenden Herzens und die Wirklichkeit der Wirklichkeit beschreibend, Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung.

PATIENTEN Der übliche Reflex folgte, »weil nicht sein kann, was nicht sein darf«. Doch, tönte es im amtlich deutschen Chor gegen den deutschen Amtsträger Klein: Juden seien in Deutschland sicher. Schöne neue Wunschwelt. Sie ähnelt Ärzten, die schwerkranken Patienten Pickelsalben verschreiben, wobei – was Wunder? – aufgrund der falschen Diagnose jedwede Therapie unmöglich ist.

Wir sind oft so meschugge, dass wir Gefahr laufen, auch Freunde in Gegner zu verwandeln.

Die »Bild«-Zeitung und »Bild«-Chef Julian Reichelt, immer wieder als echte Juden- und Israelfreunde bewährt, schreiben die unschöne deutschjüdische Wirklichkeit nicht schön. Sie empfahlen »Bild«-Lesern, demonstrativ eine Kippa zu tragen, als Zeichen der Solidarität. Eine Kippa zum Ausschneiden fand man im Blatt.

SHITSTORM Es folgte über Twitter und andere Plattformen jüdischer Protest, genauer: Protest von Juden (der Plural ist männlich und weiblich!) gegen die Judenfreunde von »Bild«. Eine Glaubensgenossin belehrte die »Bild»ner oberlehrer- und dünkelhaft: »Ne Kippa tragen gläubige (!) Juden, nicht andere, auf der Straße. Und nur weil sich dann noch ein paar Nichtjuden verkleiden, ändert sich gar nichts daran, dass man in Deutschland nicht einfach in Ruhe jüdisch sein kann. Lasst diese blöden Aktionen.«

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Ausgerechnet ausgewiesene Judenfreunde wie Julian Reichelt und »Bild« sollen das nicht wissen? »Berlin trägt Kippa«, hieß eine Aktion der Jüdischen Gemeinde Berlin, die rund 2000 Teilnehmer (mit Kippa!) hatte. Hier waren Nichtjuden ausdrücklich eingeladen.

Wir jammern, wenn man uns attackiert. Wir jammern, wenn uns sogenannte Freunde im Stich lassen. Wir jammern, wenn uns echte Freunde nicht im Stich lassen. Haben wir einen Stich? Mit unserer Meschugas, Verrücktheit, kokettieren wir gerne. Aber so meschugge müssen wir nun bitte auch nicht bleiben.

Der Autor ist Historiker und Publizist, zuletzt erschienen von ihm: »Friedenskanzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror« und »Deutschjüdische Glückskinder«.

Berlin

Festnahmen bei israelfeindlicher Demo, Ausschreitungen in Neukölln

Am Jahrestag der Massaker in Israel gehen Israelhasser auf die Straße

 08.10.2024

Gedenken an Hamas-Massaker

»Wir sind immer noch erschüttert«

Bundeskanzler Olaf Scholz sprach am Montagabend bei einer Gedenkveranstaltung in Hamburg

 07.10.2024

Amsterdam

Antisemiten wollen Massaker-Gedenken stören

Dutzende von ihnen wurden festgenommen

 07.10.2024

Gedenken an 7. Oktober

Steinmeier kritisiert israelische Kriegsführung

Der Bundespräsident sagte, der Kampf gegen die Hamas habe bereits zu viele Menschenleben gekostet

 07.10.2024

Antisemitismus

Opfer des 7. Oktober waren an Unis »nicht der Rede wert«

Die Massaker der Hamas führten zu »brutaler Einsamkeit« von Juden, erklärte Doron Kiesel

 07.10.2024

Berlin

Ron Prosor: 7. Oktober ist ein schwerer Tag für Israel

Jubel für die Taten der Hamas auch auf deutschen Straßen nennt der israelische Botschafter »unmenschlich«

 07.10.2024

Meinung

Das Tremolo der Besserisraelis

Friedensengel Nasrallah, Kriegstreiber Netanjahu? Die deutsche Berichterstattung über den 7. Oktober und den Nahostkonflikt wird journalistischen Standards allzu oft nicht gerecht

von Michael Thaidigsmann  07.10.2024

Frankfurt am Main

»Propalästinensische« Demo darf stattfinden

Die Stadt kann das Urteil nicht mehr anfechten

 07.10.2024

Berlin

Scholz lässt gelbe Schleife ans Kanzleramt hängen

»Wir fühlen mit euch«, verspricht der Kanzler den Familien der Hamas-Geiseln

von Imanuel Marcus  07.10.2024