Interview

»Gut für den Tourismus«

Jakob Finci Foto: Gregor Zielke

Herr Finci, das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand vor 100 Jahren in Sarajevo war der Startschuss zum Ersten Weltkrieg. Wie ging es den Juden damals in der Stadt?
Bosnien stand seit 1878 unter Verwaltung der k.u.k. Monarchie. Anfangs waren die Juden skeptisch, wie es wohl unter christlicher Herrschaft werden würde. Denn sie hatten jahrhundertelang im Osmanischen Reich, also unter muslimischer Herrschaft, gelebt. Aber das neue Regime tat der jüdischen Gemeinde gut. Es brachte neue Ideen, vor allem den Kapitalismus. In den Jahren unter österreichischer Herrschaft blühte unsere Gemeinde. Dann kam der Krieg.

Welchen Platz hat der Kriegsbeginn im Gedächtnis Ihrer Gemeinde?
Ehrlich gesagt: Dass der Krieg in Sarajevo begann, ist gut für den Tourismus. Natürlich ist unsere Stadt nicht schuld am Ausbruch des Krieges. Jeder Historiker wird bestätigen, dass der Krieg lange vorher geplant war. Das Attentat von Sarajevo war nur der Auslöser.

Wie viele Juden leben heute in der Stadt?
Wir sind eine kleine Gemeinde. In ganz Bosnien gibt es gerade einmal 1000 Juden, davon leben rund 700 in Sarajevo. Vor der Schoa waren es 12.000 – damals waren 20 Prozent der Einwohner jüdisch. Das wirkt nach bis in die Gegenwart: Unsere Gemeinde wird von den anderen religiösen Gruppen in der Stadt als gleichberechtigter Partner akzeptiert.

Auch von den Muslimen?
Ja, das Verhältnis ist sehr gut. Es mag überraschend klingen, aber Bosnien-Herzegowina ist eines der wenigen Länder in Europa, in denen es fast keinen Antisemitismus gibt.

Wie erklären Sie sich das?
Ein Freund sagte kürzlich, es liege nur daran, dass die anderen ethnischen Gruppen untereinander derart verfeindet sind, dass sie keine Zeit haben, Juden zu hassen. Nun ja, vielleicht hat er recht, vielleicht nicht. Unser Verhältnis zur muslimischen Gemeinschaft war jedenfalls immer gut, aber besonders nach dem letzten Krieg in den 90er-Jahren. Da fingen die Muslime an, zu verstehen, was es bedeutet, Opfer eines Völkermords zu sein.

Im Bosnienkrieg hat Ihre Gemeinde auch vielen Nichtjuden geholfen.
Ja, wir haben immer versucht, zu erklären, dass es egal ist, ob jemand Muslim ist, kroatischer Katholik oder serbisch-orthodoxer Christ. Das einzig Wichtige für uns ist, dass jemand Mensch ist.

Sie sind auch Vorsitzender von »La Benevolencija«. Die jüdische Organisation hat im Bosnienkrieg humanitäre Hilfe für die belagerte Hauptstadt organisiert. Welche Aufgabe hat »La Benevolencija« heute?
Es geht vor allem darum, älteren Menschen zu helfen, deren Angehörige Bosnien verlassen haben. Die alten Leute sind jetzt über 80, und es ist nicht leicht für sie, allein zu leben. Wir versuchen, ihnen zu helfen. Viele von ihnen sind keine Juden. Es ist uns egal, welcher Religion sie angehören.

Mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Bosniens sprach Tobias Kühn.

Interview

»Wir müssen die Probleme lösen, die die AfD groß gemacht haben«

Christian Lindner über Abstimmungen mit der AfD, deutsche Finanzhilfen an die Palästinenser und Renten für Schoa-Überlebende

 17.02.2025

Bundestagswahl

Schuster: Jüdisches Leben wäre durch AfD-Regierung bedroht

Auch das europäische Ausland blickt gespannt auf die Wahl in Deutschland. Was eine Machtbeteiligung der AfD für jüdisches Leben bedeuten könnte, hat jetzt Zentralratspräsident Schuster in Italien gesagt

von Ludwig Ring-Eifel  17.02.2025

Bundestagswahl

»Die Bürger haben ihr Urteil über die Ampel längst gefällt«

Der Wahlforscher Stefan Merz von Infratest dimap über die Stimmungslage eine Woche vor der Bundestagswahl

von Michael Thaidigsmann  17.02.2025

Bundestagswahl

Zentralrat der Juden mahnt zur Kompromissfähigkeit

Josef Schuster schreibt der kommenden Legislaturperiode des Bundestags »eine Schlüsselrolle für unsere Demokratie« zu

 17.02.2025

Nachruf

Der Mutmacher

Peter Finkelgruen über den am Samstag im Alter von 92 Jahren verstorbenen FDP-Politiker Gerhart Baum

von Peter Finkelgruen  17.02.2025

Bayern

Trumps Vizepräsident besucht KZ-Gedenkstätte Dachau

US-Vizepräsident J.D. Vance ist in Deutschland eingetroffen, um die Außenpolitik der Regierung Trump zu präsentieren. Vorher wirft er aber einen Blick zurück in die Vergangenheit

von Michael Fischer  14.02.2025

Nahost

Israels Außenminister fordert »klaren Kurs« der Bundesregierung

Deutschland solle sich nicht nur zu Israels Sicherheit bekennen, sondern auch so handeln, sagt Gideon Sa’ar im Interview mit der »Welt am Sonntag«

 14.02.2025

Google

Google Calendar streicht den Internationalen Holocaust-Gedenktag

Neben anderen Gedenktagen sind im Google Calendar auch die mit jüdischem Bezug verschwunden. Das Unternehmen dementiert, dass man damit den Anti-Diversitäts-Vorgaben der Trump-Regierung gehorche

 14.02.2025

Faktencheck

Szene aus »Markus Lanz«-Sendung mit Robert Habeck weiter abrufbar

In der Debatte um Verschärfungen in der Migrationspolitik war Robert Habeck in einer TV-Sendung zu Gast. Nun teilen Nutzer eine Aussage, die nachträglich gelöscht worden sei. Doch das stimmt nicht

 14.02.2025