Moral

Gleiche Pflicht für alle

Im Talmud heißt es: »Dina de-malchuta dina« – das Staatsgesetz ist Gesetz. Das gilt auch für das Steuerrecht. Foto: dpa

Der Physiker und Nobelpreisträger Albert Einstein, einer der brillantesten jüdischen Köpfe aller Zeiten, hatte seine Probleme mit dem Fiskus: »Um eine Einkommensteuererklärung abgeben zu können, muss man Philosoph sein. Es ist zu schwierig für einen Mathematiker.« Trotz der Mühe, die er mit der jährlichen Erklärung gehabt haben muss, ist nicht überliefert, dass sich Einstein als Steuerbürger irgendetwas zuschulden kommen ließ.

Anders im Fall von Uli Hoeneß. Ein schlagzeilenträchtiger Vorgang, aber bei Weitem kein Einzelfall. Immer wieder lesen wir Meldungen von Steuersündern, die offensichtlich mit krimineller Energie das Finanzamt hintergehen. Und, Hand aufs Herz, wer hat nicht selbst schon mal versucht, mit etwas Kreativität die Abgabenlast zu reduzieren?

schlupfloch Wenn diese Last der Mehrwert-, Einkommen-, Erbschaft-, Mineralöl- und Sonst-was-für-Steuer immer drückender wird, und mit den grünen Steuererhöhungsplänen womöglich noch mehr Abgaben drohen, ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass der eine oder andere sich ein kleines Schlupfloch sucht.

Da kommt man schon mal auf die Idee, Ausgaben zu erfinden oder Einnahmen zu verschweigen. Der Angestellte schummelt mal eben zwei oder drei Kilometer Entfernungspauschale dazu, der Handwerker arbeitet ein Wochenende ohne Rechnung, der Aktienbesitzer gibt nicht alle Kapitalerträge an. Kommt vor. Und das, obwohl wir alle wissen, dass wir uns finanziell am Gemeinwohl zu beteiligen haben.

Die Erkenntnis, dass wir alle etwas beisteuern müssen, wird noch wichtiger, betont Asher Meir, Jerusalemer Rabbiner und Buchautor (Jewish Ethicist: Everyday Ethics For Business And Life), wenn immer mehr Menschen finanzielle Hilfen des Staates in Anspruch nehmen und dies im Falle von Arbeitslosigkeit und sozialen Notlagen auch tun müssen. Ganz abgesehen von öffentlichen Pflichtausgaben für Polizei, Kindergärten, Straßenbau und Ähnlichem. Die Mehrheit will sich auch ungern von kostenlosen Angeboten des Staates verabschieden – Stichwort Hochschulgebühren.

ausgleich Das alles muss finanziert werden. Und in diesem Sinne sollte ein gerechtes Steuersystem wirken. Es setzt das um, was jüdische Tradition fordert: einen Ausgleich zu schaffen zwischen Schwach und Stark, zwischen Arm und Reich. Auch der Talmud beschäftigte sich mit Kopfsteuer und Grundstücksteuern, mit der gesetzlich festgeschriebenen Beteiligung der Bürger an den Kosten für die Stadtbefestigung oder den Brückenbau: »Das Staatsgesetz ist Gesetz. Raba sprach: Dies ist auch zu beweisen: Sie fällen Palmen und bauen Brücken, und wir gehen über diese.« (Baba Kama 113b)

Wenn es illegal wäre, dass der Staat Steuern erhebt, indem er Bäume aus Privatbesitz fällt, wäre es auch für die Bürger illegal, die so entstandenen Brücken zu überqueren. Umgekehrt, schlussfolgert Rabbiner Asher Meir, ist die Erhebung von Steuern so legal wie die Nutzung der so finanzierten Brücken.

Die Halacha ist eindeutig: Jeder ist verpflichtet, die ihm auferlegten Steuern und Abgaben zu entrichten, gemäß dem schon erwähnten Grundsatz »Dina de-malchuta dina« (Das Staatsgesetz ist Gesetz). Dieser gilt nicht in jeder Gesellschaft, aber ist auf ein demokratisch legitimiertes Steuersystem auf jeden Fall anzuwenden. Umgekehrt muss natürlich der Staat dafür Sorge tragen, dass die Abgaben entsprechend verwendet und nicht verschwendet werden.

ehrlichkeit Und noch einen Grundsatz gibt die Tora vor: absolute Ehrlichkeit in geschäftlichen Fragen. Die Gemara (Schabbat 31a) erklärt, was die erste Frage sein wird, wenn der Tag des göttlichen Gerichts für uns gekommen ist: Nein, dann geht es nicht darum, ob wir im Leben dem Torastudium genügend Zeit gewidmet, oder ob wir stets und ständig auf den Messias und die Erlösung gehofft haben. Die erste Frage wird vielmehr lauten: Nasata wenatata be-emunah – hast du stets ehrliche Geschäfte geführt?

Wer Steuern hinterzieht, sein Geld auf einem Schwarzgeldkonto in der Schweiz bunkert oder zu fernen Offshore-Finanzplätzen transferiert, wird das kaum von sich behaupten können. Steuerhinterziehung ist eine Straftat, mit direkten Auswirkungen auf den öffentlichen Haushalt. Der Talmud (Sukka 29b) warnt vor Vermögensverlusten durch die, »die das Joch von ihrem Halse werfen und es dem Nächsten aufbürden«. Schätzungen zufolge sollen es zweistellige Milliardenbeträge sein, die dem Staat so jährlich entgehen.

Zurück zum Ausgangspunkt. Auch wenn es die Steuererklärung noch etwas verkompliziert: Wir sind berechtigt, unsere Steuerlast mit viel Kreativität und allen legalen Mitteln zu reduzieren. Ob diese oder jene Steuersparmodelle koscher sind, müssen Fachleute beurteilen. Sie wissen, was innerhalb der Grenzen des Gesetzes erlaubt ist und was nicht. Aber Steuern zu entrichten, und dies in dem Land, in dem wir leben, ist nicht nur eine gesetzliche, sondern auch eine moralische Verpflichtung. Und ein uraltes Prinzip der Halacha.

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025

New York

Tucker Carlson ist »Antisemit des Jahres«

Die Organisation StopAntisemitism erklärt, ausschlaggebend seien Beiträge, in denen er erklärten Judenhassern, Holocaustleugnern und extremistischen Ideologen eine große Bühne geboten habe

 22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza

Das Problem mit der Entwaffnung

Die Hamas weigert sich strikt, die Waffen niederzulegen. Was Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung findet und den Friedensplan stocken lässt

 21.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025