Interview

»Gastfreundschaft ist eine Mizwa«

Herr Gattegna, am Samstag sind Hunderte Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer ertrunken. Wie reagieren Italiens jüdische Gemeinden darauf?
Es ist eine Tragödie – und das nur wenige Kilometer von unserer Küste entfernt! Unschuldige Menschenleben und die Hoffnung auf Freiheit wurden zunichtegemacht. Wir sind entsetzt über diejenigen, die sogar angesichts dieser tragischen Ereignisse fremdenfeindliche Ressentiments schüren.

Inwiefern fühlen sich die Gemeinden mit dem Schicksal der Flüchtlinge verbunden?
Wir denken voller Schmerz an die Opfer. Die tragischen Nachrichten erinnern uns an eine schreckliche Vergangenheit, als auch Juden fliehen mussten und zu Opfern wurden. Heute wie damals sind alle Bürger, denen die Demokratie am Herzen liegt, aufgefordert, sich Gehör zu verschaffen. Gleichgültigkeit ist keine Option.

Italien ist das Land in der EU, das die meisten Flüchtlinge aufnimmt. Wie wirken sich die hohen Zahlen auf die jüdischen Gemeinden aus?
Sie haben keine wirklichen Auswirkungen. Wir sehen diese Menschen mit tiefem Respekt und Empathie.

Gibt es in Italien jüdische Flüchtlingsinitiativen?

Eines der jüngsten Projekte wurde kürzlich in Florenz ins Leben gerufen. Dort hat die örtliche Gemeinde ihre Türen geöffnet, um einige Einwanderer aus Afrika unterzubringen. Im Judentum ist Gastfreundschaft eine Mizwa. Unsere Gemeinden versuchen, denjenigen, die in Schwierigkeiten sind, zu helfen. Solidarität muss ein kategorischer Imperativ sein, vor allem in dieser Krisenzeit.

Sollte das Asylrecht gelockert werden?

Das wäre ein möglicher Weg. Aber es ist Aufgabe der Politiker, sich klar dazu zu äußern und wirksame Vorschläge zu machen. Allerdings sollten wir nicht vergessen, dass es bereits ein großer Schritt wäre, wenn die bestehenden Vorschriften effektiv umgesetzt und alle Möglichkeiten genutzt würden.

Wie können weitere Tragödien im Mittelmeer verhindert werden?
Die Anrainerstaaten müssen stärker und effektiver zusammenarbeiten. Wir müssen etwas gegen die Krise in Libyen tun und gleichzeitig mit eiserner Faust gegen die Schlepperbanden vorgehen, die Tausende unschuldiger Menschen ausnutzen. Ganz wichtig ist, dass die anderen Länder Italien mit dieser dramatischen Situation nicht allein lassen.

Was genau sollten Europas Politiker Ihrer Meinung nach tun?

Sie sollten sich bewusst sein, dass diese Herausforderung alle betrifft, ohne Ausnahme. Das Mittelmeer ist das Meer Europas und die Wiege der Zivilisation. Es ist eine moralische Verpflichtung, sicherzustellen, dass sich eine solche Tragödie nicht wiederholt, damit die Region eines Tages wieder sicher sein kann.

Mit dem Präsidenten des Verbandes der jüdischen Gemeinden Italiens sprach Daniel Mosseri.

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza/Westjordanland

Umfrage: Mehr als die Hälfte der Palästinenser befürwortet die Massaker vom 7. Oktober 2023

Klare Mehrheit der Palästinenser zudem gegen Entwaffnung der Hamas

 21.12.2025

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Faktencheck

Berichte über israelischen Pass Selenskyjs sind Fälschung

Ukrainische Behörden ermitteln wegen hochrangiger Korruption. Doch unter diesen Fakten mischen sich Fälschungen: So ist erfunden, dass bei einer Razzia ein israelischer Pass Selenskyjs gefunden wurde

 20.12.2025

Analyse

Ankaras Machtspiele

Manche befürchten schon einen »neuen Iran«. Warum Israel die Türkei zunehmend als Bedrohung wahrnimmt

von Ralf Balke  20.12.2025

Bundestag

Zentralrat verteidigt Weimers Gedenkstättenkonzept

Der Ausschuss für Kultur und Medien hörte Experten zu der Frage an, ob über den Holocaust hinaus auch andere Verbrechen Teil der deutschen Erinnerungskultur sein sollen

 19.12.2025

Frankreich

Drei Jahre Haft für antisemitisches Kindermädchen

Ein französisches Gericht hat eine Algerierin zur einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil sie einer jüdischen Familie Reinigungsmittel ins Essen, Trinken und die Kosmetika mischte

 19.12.2025

Berlin

Bericht über Missbrauch internationaler Hilfe durch Hamas im Bundestag vorgestellt

Olga Deutsch von der Organisation NGO Monitor sagt, während die Bundesregierung über Beiträge zum Wiederaufbau Gazas berate, sei es entscheidend, auf bestehende Risiken hinzuweisen

von Imanuel Marcus  19.12.2025