Geschichte

»Freie Mitarbeiter« von der SS

Wir haben keine neuen Nazi-Oberschurken entdeckt.» Drei Jahre lang haben der Bochumer Historiker Constantin Goschler und sein Kollege Michael Wala in den offenbar weitgehend leeren Archiven des Bundesamtes für Verfassungsschutz versucht, Kontinuitätslinien zwischen der NS-Zeit und der 1950 gegründeten Kölner Behörde nachzuzeichnen. Das Projekt war mit 250.000 Euro karg ausgestattet. Am Donnerstag wurde in Berlin der Abschlussbericht vorgestellt.

Vorzeigebehörde Das Amt, das bis 1956 unter Aufsicht der Alliierten stand, sollte ursprünglich zu einer nazifreien Vorzeigebehörde der jungen Demokratie werden. Doch es kam anders: Zwar gab es beim Verfassungsschutz in den 50er-Jahren bei Weitem nicht so viele NS-Täter wie etwa beim Bundeskriminalamt.

Doch es existierte beispielsweise die Scheinfirma «Dokumentenforschung» in Köln, in der Ex-SS-Leute jobbten. Andernorts arbeiteten freie Mitarbeiter, die in Wahrheit Vizereferatsleiter waren oder Nachrichtenstellen des Dienstes leiteten. Als die Alliierten Mitte der 50er-Jahre die Oberaufsicht einstellten, wurden die «freien Mitarbeiter» flugs verbeamtet.

Neu an dieser Geschichte sind zwei Details, die Michael Wala vorstellte: Richard Gerken, Ex-NSDAP-Mitglied, baute seit 1952 eine Art Behörde in der Behörde auf, in der Altnazis unterkamen. Und: Die USA duldeten das offenbar. Die US-Dienste kannten auch die NS-Biografien von ranghohen Amtsträgern des Verfassungsschutzes wie Erich Otto Wenger, Johannes Strübing, Gustav Halswick, Walter Odewald und Hubert Schrübbers. Halswick etwa war Kriminaldirektor im SS-Reichssicherheitshauptamt gewesen, das federführend den Massenmord an den Juden verantwortete, sowie 1943 SS-Sturmbannführer im besetzten Frankreich.

Im Verfassungsschutz war er Sonderbeauftragter des Präsidenten Schrübbers, der seinerseits in der NS-Zeit als Oberstaatsanwalt in diversen Verfahren gegen rassisch und politisch Verfolgte die Anklage geführt hatte – mit tödlichen Folgen.

NS-Prägung Eher vage bleibt bei Goschler und Wala, wie sich die NS-Prägung der Akteure auf die Arbeit des Amtes auswirkte. Den Exnazis war der Kampf gegen den Bolschewismus in den 50er-Jahren recht vertraut. Das Amt, so die Formulierung der Forscher, «konzentrierte sich auf das linke politische Spektrum», ohne auf dem rechten Auge ganz blind zu sein.

Für solche Erkenntnisse lobte Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen die Arbeit der Historiker – und seine Behörde. «Das Geschichtsprojekt ist uns nicht aufgedrängt worden», man habe die Aufklärung selbst befördert. Er erhoffe sich «mehr Akzeptanz in der Gesellschaft» für den Verfassungsschutz heute. Konkrete Schlussfolgerungen zieht er nicht. Die Lehre, die Maaßen aus der Studie zieht, klingt lapidar. Jede Institution habe eben «schwarze, graue und helle Seiten».

Interview

»Diskrepanzen zwischen warmen Worten und konkreten Maßnahmen«

Nach dem Massaker von Sydney fragen sich nicht nur viele Juden: Wie kann es sein, dass es immer wieder zu Anschlägen kommt? Auch der Beauftragte der Bundesregierung gegen Antisemitismus, Felix Klein, sieht Defizite

von Leticia Witte  22.12.2025

Washington D.C.

Kritik an fehlenden Epstein-Dateien: Minister erklärt sich

Am Freitag begann das US-Justizministerium mit der Veröffentlichung von Epstein-Akten. Keine 24 Stunden später fehlen plötzlich mehrere Dateien - angeblich aus einem bestimmten Grund

von Khang Mischke  22.12.2025

Australien

Behörden entfernen Blumenmeer für die Opfer von Bondi Beach

Die Regierung von New South Wales erklärt, man habe sich vor dem Abtransport der Blumen eng mit der jüdischen Gemeinde abgestimmt

 22.12.2025

Sydney

Attentäter warfen Sprengsätze auf Teilnehmer der Chanukka-Feier

Die mutmaßlichen Attentäter Naveed und Sajid Akram bereiteten sich auf das Massaker vor. Ihre Bomben explodierten nicht

 22.12.2025

New York

Tucker Carlson ist »Antisemit des Jahres«

Die Organisation StopAntisemitism erklärt, ausschlaggebend seien Beiträge, in denen er erklärten Judenhassern, Holocaustleugnern und extremistischen Ideologen eine große Bühne geboten habe

 22.12.2025

In eigener Sache

Die Jüdische Allgemeine erhält den »Tacheles-Preis«

Werteinitiative: Die Zeitung steht für Klartext, ordnet ein, widerspricht und ist eine Quelle der Inspiration und des Mutes für die jüdische Gemeinschaft

 21.12.2025

Gaza

Das Problem mit der Entwaffnung

Die Hamas weigert sich strikt, die Waffen niederzulegen. Was Zustimmung in der palästinensischen Bevölkerung findet und den Friedensplan stocken lässt

 21.12.2025 Aktualisiert

Interview

»Die Zustände für Juden sind unhaltbar. Es braucht einen Aufstand der Anständigen«

Zentralratspräsident Josef Schuster über den islamistischen Anschlag von Sydney und das jüdische Leben in Deutschland nach dem 7. Oktober

 21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025