Vertriebene

Flucht vor der Wahrheit

Im Deutschland-Haus in Berlin-Kreuzberg entsteht das Vertriebenenzentrum mit einer ständigen Ausstellung. Foto: Thomas Bruns

Auch wenn seine Partei nicht in der nächsten Bundesregierung vertreten sein wird, hofft der Grünen-Politiker Volker Beck, was die weitere Arbeit der umstrittenen Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) angeht, auf einen Kurswechsel. »Seit der Bundestagswahl gibt es im Parlament keine Mehrheit mehr für geschichtsrevisionistische Vertreter des Bundes der Vertriebenen.« Wenn die Koalition der SPD mit der Union gebildet sei, dann, so fordert Beck, »muss der Stiftungsrat der SFVV sofort umbesetzt werden«.

zentralrat Der Unmut über die SFVV hält weiter an. Der Zentralrat der Juden in Deutschland lässt seine Mitgliedschaft im Stiftungsrat immer noch ruhen, weil sich seit seinem Rückzug im Jahr 2010 nichts geändert hat. Damals hatte Arnold Tölg, der für den Bund der Vertriebenen stellvertretendes Mitglied im Stiftungsrat ist, gesagt, die Deutschen hätten »Entschädigungsleistungen gigantischer Art« gezahlt, daher seien Ansprüche von Zwangsarbeitern unbegründet.

Die SFVV hatte im Sommer unter ihrem Direktor, dem Historiker Manfred Kittel, mittlerweile die Konzeption einer Ausstellung vorgelegt, die in Berlin gezeigt werden soll. Auch an dieser Konzeption gibt es heftige Kritik. Der Bremer Publizist und Historiker Kurt Nelhiebel wirft Manfred Kittel vor, die geplante Ausstellung »nach seinen revisionistischen Vorstellungen auszurichten«. Er orientiere »sich am deutsch-völkischen Geschichtsbild des Bundes der Vertriebenen, der die Alleinschuld Nazideutschlands an den Vertreibungen nach dem Zweiten Weltkrieg« bestreite.

In der Tat legt das Papier großen Wert darauf, »auch mittel- und langfristige Ursachen« der Vertreibung zu benennen. Die seien »in der vor dem Ersten Weltkrieg um sich greifenden Vision eines ethnisch homogenen Nationalstaats und im vielfach konfliktreichen Verhältnis der neuen Nationalstaaten zu ihren Minderheiten nach 1918 zu suchen«, heißt es da. Nach 1945 hätten die »in den meisten Fällen kommunistischen Regierungen in Ostmittel- und Südosteuropa die Vertreibungen und Aussiedlungen« angeordnet – und zwar »unter Verwendung früherer Pläne der Exilregierungen«.

Nelhiebel kritisiert: »Nicht die beiden Weltkriege nehmen dort in der Rangfolge prägender Merkmale den ersten Platz ein, sondern ›nationale Homogenisierungsversuche‹.« Den Gewalttaten sowjetischer Soldaten und dem Flüchtlingselend widmete Kittel zehn Seiten in seiner Konzeption, der deutschen Besatzungsherrschaft in Mittel- und Osteuropa nur zwei. Die von SS, Wehrmacht und anderen deutschen Truppen begangenen Massaker im ukrainischen Babi Jar, im griechischen Distomo, im italienischen Marzabotto, im französischen Oradour und im tschechischen Lidice tauchten in dem Papier nicht auf. Das, so Nelhiebel, laufe auf eine »Verwässerung deutscher Schuld« hinaus und widerspreche auch dem gesetzlichen Auftrag, wonach der »historische Kontext des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Expansions- und Vernichtungspolitik und ihrer Folgen« zu beachten ist.

gremien Kittel gab auf Anfrage der Jüdischen Allgemeinen mit Verweis auf Terminprobleme lediglich eine allgemein gehaltene schriftliche Stellungnahme ab. Die Konzeption sei von der Stiftung in enger Zusammenarbeit mit ihren Gremien erarbeitet worden, der Stiftungsrat gesellschaftlich breit verankert und ihr wissenschaftlicher Beraterkreis international zusammengesetzt. Beide Gremien hätten sich über fast zwei Jahre in mehreren Sitzungen eingehend mit dem Entwurf befasst, ihn weiterentwickelt und das Konzept schließlich 2012 verabschiedet.

Anders als Nelhiebel es beklagt, habe es über seine Konzeption sehr wohl eine öffentliche Debatte gegeben, sagt Kittel. Er verweist auf verschiedene Historikertagungen und Podiumsdiskussionen sowie mehrere Artikel in deutschen und polnischen Tageszeitungen. »Etliche der unterbreiteten Anregungen sind in die Weiterentwicklung der Konzeption eingeflossen«, heißt es in dem Statement des SFVV-Direktors.

Ob unter den Bedingungen einer Großen Koalition in Berlin Kittels Ausstellungskonzeption noch geändert oder gekippt wird, ist offen.

Volker Beck jedenfalls will sich eine Verschlechterung gar nicht vorstellen. »Es wurde jetzt genug diplomatisches Porzellan zerschlagen.«

Meinung

Wenn Nächstenliebe zynisch wird

In einer Erklärung überzieht der Weltkirchenrat Israel mit Vorwürfen, erwähnt die Hamas aber mit keinem Wort. Eine Einseitigkeit, die zum Himmel schreit

von Tobias Kühn  gestern, 16:54 Uhr

Iran

Ajatollah Chamenei droht den USA für den Fall weiterer Angriffe

Nach rund einer Woche ohne Lebenszeichen von Irans Staatsoberhaupt meldet sich dieses nun zurück. Unklarheiten gibt es weiter über die Schäden an Irans Atomanlagen

 gestern, 16:21 Uhr

Interview

Nuklearforscher: »Das iranische Atomprogramm neu aufzubauen, würde Jahre dauern«

Georg Steinhauser über die israelischen und amerikanischen Schläge gegen Atomanlagen im Iran, die Eigenschaften von Uran-235 und mögliche Szenarien für die Zukunft

von Michael Thaidigsmann  gestern, 15:47 Uhr

Luftfahrt

Irans Luftraum bleibt weitgehend gesperrt

Seit Dienstag herrscht eine Waffenruhe zwischen Israel und dem Iran. Eine komplette Entwarnung für den Flugverkehr gibt es jedoch noch nicht

 gestern, 14:26 Uhr

Asyl

Protest gegen drohende Abschiebung von Hamza Howidy

Der Gazaner soll nach Griechenland zurückgeschickt werden, wo er erstmals Asyl beantragte. Er hat namhafte Unterstützer, die sich für seinen Verbleib in Deutschland einsetzen

von Imanuel Marcus  gestern, 09:37 Uhr

Balkan

Bosnien entschuldigt sich bei Rabbinerkonferenz

Über eine Tagung der Europäischen Rabbinerkonferenz in Sarajevo kam es zum judenfeindlichen Eklat. Mit der jetzt erfolgten Entschuldigung ist der Fall indes noch nicht bereinigt

 gestern, 09:30 Uhr

Korntal-Münchingen

Nach dem Hissen von Israel-Flaggen: Firma wird Opfer von mutmaßlicher Brandstiftung

Die Geschäftsführung will Solidarität mit dem jüdischen Staat zeigen. Nun ist sie mit einem erheblichen Feuerschaden konfrontiert

 gestern, 09:29 Uhr

Iran

Tod von Kommandeur der Revolutionsgarden bestätigt

Israel hatte General Ali Schadmani bereits vergangene Woche für tot erklärt. Nun wird auch aus Teheran sein Tod gemeldet

 gestern, 09:13 Uhr

Nahost

Pentagon und Militär äußern sich zu Angriff auf Atomanlage

Auch Tage nach den Luftangriffen ist das Ausmaß der Schäden noch unklar. Wurde das iranische Atomprogramm um Jahre oder nur Monate zurückgeworfen?

 gestern, 09:04 Uhr