Beziehungen

»Erdogan will nicht deeskalieren«

Henryk M. Broder Foto: Marco Limberg

Herr Broder, der Streit zwischen den Niederlanden und der Türkei ist in den vergangenen Tagen eskaliert. Hat es Sie überrascht, dass Erdogan die verbalen Attacken gegen Europa systematisch verschärft?
Im Gegenteil. Es fügt sich ins Bild der vergangenen Jahre. Recep Tayyip Erdogan verhält sich einmal mehr skandalös und empörend. Denn das Recht auf Veranstaltungen türkischer Politiker in Europa zugunsten der Errichtung einer Diktatur in der Türkei fordert er schon seit Jahren erfolgreich ein. Dass nun ausgerechnet das kleine Holland zeigt, wie man europäische Interessen gegenüber dem Despoten Erdogan verteidigt, sollte Deutschland und Frankreich zu denken geben.

Was treibt Erdogan an?
Das, was alle Diktatoren antreibt: der Erfolg. Er hat im Umgang mit der EU gelernt, dass seine Forderungen erfüllt werden. Er muss nur aggressiv, laut und dreist auftreten. Entsprechend verhält er sich jetzt. Da haben viele Staaten in Europa komplett versagt. Zudem befürchtet er, die Abstimmung in der Türkei über eine Verfassungsreform im April zu verlieren, und ist deshalb auf Stimmen der Exiltürken angewiesen. Innenpolitisch versucht er durch das Kreieren des Feindbilds EU, die Reihen im eigenen Land zu schließen. Ob es erfolgreich sein wird, ist schwer abzusehen.

Erdogan beschimpft die Niederländer als Faschisten. Der Bundesregierung wirft er Nazi-Praktiken vor. Wie bewerten Sie das?
Es ist schlichtweg Erpressung. Erdogan weiß, dass die Holländer angesichts ihrer Geschichte dieser Vorwurf schwer trifft. Aber die Holländer haben souverän reagiert. Das Verbot von Wahlkampfauftritten und die Ausweisung der türkischen Erziehungsministerin waren goldrichtig. Autokraten wie Erdogan werten es als Schwäche, wenn man ihren Forderungen nachgibt. Die Israelis haben es 2010 mit der Stürmung der Gaza-Flottille unter türkischer Flagge vorgemacht: Bis hierhin und nicht weiter! Die Botschaft kam damals an.

Hätten Sie sich eine entschlossenere Reaktion von der Bundesregierung gewünscht?
Absolut. Es entsteht gerade in der Türkei in Echtzeit eine Diktatur, und wir wollen deeskalieren. Erdogan will aber nicht deeskalieren. Dumm gelaufen! Im Prinzip ist nicht Erdogan das Problem, sondern wir und unser Verhalten. Appeasement hat noch nie funktioniert.

Laut Umfragen wollten zehn Prozent der holländischen Juden bei den Wahlen am Mittwoch dieser Woche dem Rechtspopulisten Geert Wilders ihre Stimme geben. Was macht seinen Erfolg aus?
Er benennt schonungslos die Probleme, die der massenhafte Zuzug von Muslimen mit sich gebracht hat. Deren Einstellungen zu Demokratie, Frauen und Juden sind sehr häufig ein riesiges Problem. Das besorgt natürlich auch viele jüdische Wähler. Interessant ist: Viele der anderen Parteien in den Niederlanden, die Wilders immer komplett gebrandmarkt haben, benennen die Probleme inzwischen ebenfalls offen – nachdem sie sich davor jahrelang gedrückt haben.

Mit dem Journalisten sprach Philipp Peyman Engel.

Berlin

Hitlergruß im Bundestag? Anklage gegen AfD-Abgeordneten

Nach dem Vorwurf verliert Matthias Moosdorf seine Immunität. Auch innerhalb der AfD-Fraktion gab es zuletzt Spannungen um den Politiker

 15.12.2025

Anschlag

Sydney: Neue Details zu den mutmaßlichen Tätern

Hinweise aus Ermittlerkreisen deuten darauf hin, dass die Familie ursprünglich aus Pakistan stammt

 15.12.2025

Charlotte Knobloch

Pessimismus können wir uns nicht leisten

Nach dem Terror in Sydney fragen sich auch Juden hierzulande erneut: Wohin? Deutschland hat bewiesen, dass es jüdischen Menschen eine Heimat sein kann und will, meint die Münchner Gemeindechefin

von Charlotte Knobloch  15.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Sydney

Australien berät nach Anschlag über schärfere Waffengesetze

Nach dem Terroranschlag auf ein jüdisches Fest am beliebten Bondi Beach herrscht Schock und Trauer. Premier Albanese kündigt erste Konsequenzen an - und sieht sich Kritik ausgesetzt

 15.12.2025

Australien

Wer waren die Opfer von Sydney?

Zu den Opfern des Terrors in Bondi Beach gehören ein Rabbiner und ein 10-jähriges Mädchen

 15.12.2025

Canberra

Jüdischer Ex-Minister wirft Führung Versagen beim Schutz von Juden vor

»Viele von uns haben davor gewarnt, dass dieser Tag kommen würde«, sagte Frydenberg in einem Fernsehinterview

von Imanuel Marcus  15.12.2025

Sydney

Milliardär spendet fast 100.000 Dollar für Helden von Bondi Beach

Für seine Heldentat am Bondi Beach wird der mit Schussverletzungen im Krankenhaus befindliche Ahmed el Ahmed belohnt

 15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025