Wikipedia

Eintrag: Judenhass

»Antisemitische Äußerungen sind kein Sperrgrund«, heißt es bei Wikipedia. Foto: imago

Transparenz gehört bei der offenen Wissensplattform Wikipedia dazu. Diskussionen über Textänderungen und Löschanträge etwa sind für jeden Nutzer einsehbar. So konnte es auch nicht ausbleiben, dass vor wenigen Wochen bekannt wurde, dass in der deutschsprachigen Wikipedia Autoren aktiv sind, die schon mehrmals durch antisemitische Äußerungen aufgefallen waren.

Ein österreichischer Wikipedia-Autor, der als »Hubertl« zeichnet, war während einer Diskussion über die Sperrung eines Nutzers im Juli 2011 mit einem jüdischen Wikipedia-Aktivisten aneiandergeraten. Über seinen Gegner sagte er damals, dieser ziehe ständig die »Rassenkarte, Opferkarte, Antisemitismuskarte, und wenn es dann gar nicht mehr geht, dann kommt die Holocaustkarte. Es ist nur eine Lebenslüge bestimmter Kreise, dass es ach gar so viel gäbe und sie quasi von Antisemiten umzingelt wären!« Weiter verstieg sich »Hubertl« in der auf Wikipedia geführten Diskussion zu der Behauptung, wenn sich Juden als Experten in Sachen Antisemitismus aufführten, sei das »genauso falsch, als ob man davon ausgeht, dass ein pädophiler Triebtäter der einzig wahre Fachmann für Kindesmissbrauch wäre«.

User Der Hamburger Peter Wuttke, der unter dem Nicknamen »Atomiccocktail« bei Wikipedia aktiv ist, wollte diese Äußerungen nicht einfach so hinnehmen. Doch Wuttke erhielt eine Abfuhr: »Auf meine Bitte, sich zu seinen Äußerungen zu positionieren, reagierte «Hubertl» nicht, sondern erklärte nur, das von ihm Gesagte sei nicht antisemitisch.« Beide User, sowohl »Hubertl« als auch Wuttke, sind als gewählte Communityvertreter in einem Ausschuss tätig, der Empfehlungen darüber gibt, welche Projekte Wikimedia, die Organisation, die Wikipedia herausgibt, mit Spendengeldern unterstützen sollte.

Da Wuttke wichtig war, »dass das nicht einfach ausgesessen wird und dass jemand mit Fachblick die Sache beurteilt«, wandte er sich an das Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung und schaffte es, eine der Mitarbeiterinnen dafür zu gewinnen, gegen ein »ausgesprochen günstiges Honorar« ein Gutachten über »Hubertls« Äußerungen anzufertigen. Der Finanzierungsantrag an Wikimedia wurde unter anderem damit begründet, dass antisemitische Textbearbeitungen »über ein großes destruktives Potenzial« verfügten, da sich die Autoren zerstritten und »Folgen für die Reputation des Projekts« und eine nachlassende Spendenbereitschaft zu befürchten seien.

Doch der Antrag wurde abgelehnt, aus Protest trat Wuttke daraufhin von seinem ehrenamtlichen Ausschussposten zurück. »Wikipedia ist ein derart wichtiges Projekt, wir müssen da doch klare Positionen beziehen«, sagt er rückblickend. Und eigentlich funktioniere das interne System ja gut. Dass über bestimmte konfliktreiche Themen auch bei Wikipedia gekämpft werde, sei üblich und normalerweise mit den eigenen Möglichkeiten gut aufzufangen: »Bei Themen wie Feminismus, Diskriminierung, Rassismus, aber auch im Parteienbereich kommt es immer wieder zu regelrechten Edit-Wars, also exzessiven Änderungen und Rückänderungen.« Im Fall des Users »Hubertl«, sagt Wuttke, »lässt es sich nicht einfach mit Klicks lösen«.

linksradikal Ganz neu ist die Kritik an Wikipedia nicht. Bereits 2007 legte der Autor Günter Schuler das Buch Wikipedia inside vor, in dem er über Versuche rechtsextremer Unterwanderung der Plattform berichtete: Die äußerten sich beispielsweise darin, dass kritische Einschätzungen von rechtsextremen Musikbands gelöscht wurden, weil als Quelle »linksradikale Hetzblätter« verwendet worden seien.

Oder dass beim Eintrag zum Vernichtungslager Sobibor stillschweigend aus dem Hinweis, wie viele Menschen dort »ermordet« wurden, der Begriff »getötet« auftauchte. Auf Kritik antwortete einer der Wikipedia-Funktionäre damals: »Antisemitische Äußerungen sind kein Sperrgrund.« Während bei Schoa-Opfern in der Community stets gestritten wird, ob dies ausreichende Relevanz habe, hat Hitlers Hund »Blondi« schon lange einen eigenen Eintrag.

Peter Wuttke liegt Wikipedia immer noch am Herzen. Weil er glaubt, dass die offene Wissensplattform nur funktionieren kann, wenn sie völlig transparent organisiert ist, hat er auch seinen richtigen Namen auf der Nutzerseite angegeben. Dass er folgerichtig auch seine Sorgen um Wikipedia öffentlich macht, wird ihm intern nicht nur Beifall bringen, das weiß der 47-Jährige sehr wohl. »Aber ich kann diese Äußerungen nicht einfach so stehenlassen.«

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