Interview

»Diese neue Zeit«

Armin Laschet Foto: imago images/Chris Emil Janßen

Herr Laschet, das letzte Interview haben Sie unserer Zeitung als NRW-Ministerpräsident gegeben. Jetzt treffen wir Sie in Ihrem Berliner Bundestagsbüro und fragen zunächst: Wie geht es Ihnen als Abgeordneter?
Das war – vom Rückzug aus dem Amt des Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens, das ich sehr gerne ausgeübt habe, bis hin zur Kanzlerkandidatur in einem sehr turbulenten Jahr 2021 – schon ein völliger Neubeginn im Deutschen Bundestag. Ich habe immer gesagt, dass ich auf jeden Fall nach Berlin gehe, egal, wie die Wahl ausgeht. Sie ist leider so ausgegangen, wie sie ausgegangen ist. Und ich freue mich, jetzt wieder im Feld der internationalen Beziehungen wirken zu können. So habe ich vor 20 Jahren als junger Abgeordneter im Bundestag begonnen. Das kann ich jetzt wiederaufnehmen. Und dazu kommt die besondere Beziehung zu Israel, die sich wie ein roter Faden durch mein gesamtes politisches Leben zieht, auch als Ministerpräsident und als Abgeordneter im Europäischen Parlament. Und da sich auch in dieser Region alles im Moment neu ordnet, ist das Thema Israel und die Beziehungen zur arabischen Welt eines, das wir als Deutsche stärker bearbeiten sollten.

Aktuell schaut alles auf die Ukraine. Sie haben kürzlich nach einem Treffen mit dem türkischen Außenminister Cavusoglu gesagt, harte Sanktionen und Diplomatie müssten den Krieg beenden. Denken Sie, dass diese Maßnahmen Erfolg haben?
Das kann heute keiner sagen. Die Sanktionen sind richtig, sie zeigen auch Wirkung. Putin hat die Geschlossenheit der Europäischen Union und der NATO unterschätzt. Die Frage ist, wie weit ihn das noch beeindrucken und zu einer Einstellung des Krieges bringen kann. Aber was immer parallel laufen muss und auch vor dem Krieg richtig war: Russland ist in der Welt, Russland ist eine Großmacht. Insofern muss man immer wieder, auch wenn es schwierig ist, an den Beziehungen zu Russland arbeiten. Jeder Gesprächskanal muss genutzt werden. Das können Berater von Präsident Macron oder des Bundeskanzlers sein, auch Repräsentanten der Europäischen Union. Aber auch die Möglichkeiten der Türkei, Israels und anderer Länder, die die Sanktionen nicht mittragen, müssen genutzt werden, um diplomatische Kanäle offenzuhalten. Wir brauchen dringend einen Waffenstillstand – im Interesse der leidenden Menschen.

Deutschland wollte werteorientiert handeln. Wie passt es dazu, dass Gas nun ausgerechnet in Katar eingekauft wird, einer Diktatur, die den Terror gegen Israel unterstützt?
Die von Bundeskanzler Scholz erkannte »Zeitenwende« kann man auch so verstehen, dass die Regierung in der Realität des Lebens ankommt. Das heißt, es gibt bei der Energiepolitik immer Abwägungen, und es gibt immer auch Negatives – bei jeder Entscheidung. Russisches Gas war die deutsche Antwort auf den Ausstieg aus der Kernenergie und den geplanten Ausstieg aus der Stein- und Braunkohle. Jetzt will man sich von der Abhängigkeit zu Russland lösen. Das heißt, man muss andere Energieformen suchen. Und wenn die Regierung strikt den Ausstieg aus der Kernenergie und den Kohleausstieg beibehalten will und wir Industrieland bleiben wollen, muss man mit Staaten zusammenarbeiten, die nicht alle unsere Vorstellungen von Menschenrechten teilen. Die Amerikaner haben russisches Öl abgestellt und kaufen es jetzt in Venezuela bei Diktator Maduro, der für die Flucht von über 3,5 Millionen verantwortlich ist. Das zeigt das Dilemma. Ich schätze an Robert Habeck, dass er nach Katar gereist ist, aber dieses Dilemma auch erklärt hat. Und wenn die deutsche öffentliche Meinung, die die Moral oft sehr hoch hängt, in diesem Realismus ankommt und dann trotzdem am Ende werteorientiert handelt, dann kann die Zeitenwende auch etwas Gutes bringen.

Eine Sorge in Israel ist, wie sich der Krieg auf die Versorgungslage, beispielsweise mit Weizen, in der Region auswirken wird. Wie schätzen Sie das ein?
Das ist eine der katastrophalen Nebenwirkungen dieses Krieges, die viele so nicht auf dem Schirm hatte. Es droht ein Desaster mit Hungersnöten in Afrika und Millionen Toten, und es könnte in Ländern wie Jordanien und Ägypten auch zur Destabilisierung führen. Der »Arabische Frühling« ist damals nach der Erhöhung der Brotpreise ausgebrochen. Es wird in Ägypten nicht zu einer Hungersnot kommen, weil es sich den Weizen immer noch auf dem Weltmarkt beschaffen kann, aber zu wesentlich höheren Preisen. Das kann ein Land schwächen. In diesem Sinne müssen wir auch ein dringendes Interesse an der Stabilität in Jordanien, Ägypten, aber auch im Libanon haben.

Zugleich betonen Sie die positive Entwicklung in der Region, in der immer mehr arabische Staaten Beziehungen zu Israel aufnehmen. Wie bewerten Sie das in der derzeitigen Situation?
Die Abraham Accords sind ein Beispiel von Hoffnung in Zeiten des Krieges. In einer Region, die immer von Hass und Terror geprägt war, gibt es plötzlich Staaten, die diplomatische Beziehungen zu Israel aufnehmen, sogar Kirchen und Synagogen bauen, um Religionsfreiheit zu ermöglichen. Und ich finde, das wird in Deutschland oder Europa insgesamt unterschätzt. Wir müssen alles tun, die Länder, die diesen Schritt gehen, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko und den Sudan, auf diesem Weg unterstützen. Das Zeitfenster ist klein, es kann sich sehr schnell wieder schließen. Je stabiler jetzt die Grundlage ist, desto besser für die Region, aber auch für Israel. Deshalb ist jeder Euro, den wir in den Erfolg und in die Verankerung in diesen Gesellschaften stecken, eine Investition in den Frieden.

Für Israel gehören kriegerische Auseinandersetzungen zur traurigen Realität. Nun ist Krieg in Europa. Was können wir vom jüdischen Staat lernen?
Krieg und Terror gehören zum Lebensalltag in Israel, dem Land, das seit seiner Gründung von Existenzauslöschung bedroht ist und bis heute zu vielen Ländern keine diplomatischen Beziehungen aufnehmen kann. Jetzt bekommt Deutschland auch das Gespür, dass Krieg nicht eine Erzählung von vor 80 Jahren ist, sondern Realität in Europa, mit potenzieller Bedrohung der NATO. Wir tun alles, um nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden. Aber wir müssen uns vorbereiten auf eine Bedrohungslage, die auch uns erreichen kann. Und ich glaube, dass in Deutschland eine neue Sensibilität wächst, die Israel immer schon hatte. In der Entwicklung von Friedensinitiativen war Deutschland immer stark. Die gesamte Ostpolitik war ja darauf ausgerichtet. Auch die politische Linke war hier immer besonders aktiv. Die Themen Abschreckung, Sicherheit, Rüstung und Anerkennung der Bundeswehr waren jedoch im linken politischen Spektrum eher verpönt. Jetzt beginnt eine neue Zeit. Und sie beginnt abrupt. Ich kann mich an den Bundestagswahlkampf erinnern, in dem das von mir unterstützte Zwei-Prozent-Ziel der NATO von Scholz und Baerbock vehement abgelehnt wurde. Manchmal muss wahrscheinlich von der anderen Seite des politischen Spektrums die Veränderung der Politik beginnen. Wenn wir die Wahl gewonnen hätten und ich als Kanzler das Gleiche gesagt hätte wie Olaf Scholz jetzt, hätten wir eine riesige Gegenbewegung: 100 Milliarden für die Aufrüstung, Habecks Satz »Versorgungssicherheit ist wichtiger als Klimaschutz«, Waffenlieferungen an die Ukraine – das sind alles Tabubrüche, die diese Seite des Spektrums jetzt ihrer Wählerschaft vermitteln muss. Und das kann im günstigsten Fall zu einem realistischeren Bild in diesen Parteien und in der deutschen Gesellschaft führen.

Mit dem Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags und Vizepräsidenten der Parlamentarischen Versammlung des Europarates sprach Detlef David Kauschke.

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