Den Haag

Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Völkermord-Prozess

Der Internationale Gerichtshof ist im Friedenspalast in Den Haag untergebracht. Foto: picture alliance / Shotshop

Israel muss sich wegen der Angriffe im Gazastreifen wegen des Vorwurfs des Völkermordes vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Südafrika hat das Land verklagt. Beide Regierungen schicken hochrangige Delegationen in den Friedenspalast in Den Haag. Was genau wird dort verhandelt? Und was sind mögliche Folgen? Fragen und Antworten zur hochbrisanten Klage:

Was ist der Internationale Gerichtshof?

Der Internationale Gerichtshof ist das höchste Gericht der Vereinten Nationen. Dieses Weltgericht ist nicht zu verwechseln mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der sich ebenfalls in Den Haag befindet. Dieser befasst sich mit individuellen Anklagen, während der UN-Gerichtshof über Konflikte zwischen Staaten entscheiden soll. Sowohl Israel als auch Südafrika dürfen jeweils einen Richter zusätzlich zum permanenten Kollegium von 15 Richtern entsenden. Israel schickt den früheren Richter am Obersten Gerichtshof, Aharon Barak (87), einen Überlebenden des Holocaust.

Was wirft Südafrika Israel vor?

In der 84 Seiten langen Klageschrift beschreibt Südafrika eine »Gewalt Israels gegen Palästinenser im Gazastreifen« als Taten mit dem Charakter eines Völkermords. Israel töte Palästinenser, »füge ihnen schweren geistigen und körperlichen Schaden zu und schaffe Lebensumstände, die auf ihre physische Zerstörung zielen«.

Südafrika nennt eine Zahl von mehr als 21.000 Todesopfern im Gazastreifen, die vom Gesundheitsministerium der Terrororganisation Hamas veröffentlicht wurde, israelische Bombenangriffe, erzwungene Flucht, angebliche Angriffe Israels auf Krankenhäuser und Geburtskliniken sowie die angebliche Blockade des Gebiets, die zu einem Mangel an Nahrungsmitteln und Trinkwasser geführt hat. Das Land zitiert UN-Experten, Zeugen und Hilfsorganisationen.

Auch werden Äußerungen israelischer Minister als Beleg angeführt. Südafrika spricht von »direkter und öffentlicher Anstiftung zum Völkermord«. Zitiert werden Drohungen, Gaza unbewohnbar zu machen, sowie Forderungen von rechtsextremen Ministern, Palästinenser dauerhaft zu vertreiben.

Was ist die Grundlage der Klage?

Südafrika beruft sich auf die UN-Völkermordkonvention. Beide Staaten haben diese Konvention unterzeichnet und sich damit nicht nur verpflichtet, keinen Völkermord zu begehen, sondern auch diesen zu verhindern und zu bestrafen. In der Konvention wird Völkermord definiert als eine Handlung, »die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören«.

Israel ist durch diese Beschuldigung im Kern getroffen: Der Staat war schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge des Völkermordes an den Juden durch die deutschen Nazis gegründet worden.

Was ist die Reaktion Israels?

Israel weist die Vorwürfe entschieden zurück und beruft sich auf das Recht zur Selbstverteidigung nach den Angriffen vom 7. Oktober. »Die Vergewaltigungsmaschine der Hamas trägt volle moralische Verantwortung für alle Opfer in diesem Krieg.« Alles werde getan, um zivile Bürger zu schützen, hieß es.

In der Tat hat Israel in diesem und in allen anderen Kriegen, in die es von der Hamas hineingezogen wurde, Maßnahmen unternommen, um die Zivilbevölkerung so gut es geht zu schützen. Fluchtrouten wurden eingerichtet, Bewohner werden vor Angriffen auf die Hamas und andere Terrorgruppen gewarnt. Trotz des Terrors gegen Israel erlaubt das Land die Lieferung von Hilfsgütern auf dem Land- und Seeweg.

Was geschieht bei der Anhörung?

Zunächst wird Südafrika am Donnerstag seine Klage erläutern. Am Freitag hat Israel die Gelegenheit, zu antworten. Bei dieser Anhörung wird es zunächst um einen Eilantrag Südafrikas gehen. Es hatte das Gericht aufgefordert, das sofortige Ende der militärischen Gewalt anzuordnen und die Rechte der Palästinenser zu schützen.

Das heißt, dass die UN-Richter jetzt noch nicht feststellen müssten, ob tatsächlich Völkermord verübt wurde. Es würde die Möglichkeit ausreichen, dass die Konvention verletzt wurde. Das ist eine niedrige Schwelle für eine Entscheidung. Aber auch dafür gilt, dass es deutliche Hinweise auf eine Absicht Israels geben muss, die Palästinenser auszulöschen. Dann könnten die Richter Israel theoretisch auferlegen, die Gewalt sofort zu beenden, um weiteren Schaden zu verhindern.

Wann ist ein Urteil zu erwarten?

Über den Eilantrag werden die Richter in wenigen Wochen entscheiden. Jeder Spruch ist bindend. Das Gericht hat zwar keine Machtmittel, um die Durchsetzung zu erzwingen. Doch der internationale Druck auf Israel würde sich erhöhen und eine negative Entscheidung könnte dem Ruf des Landes schaden.

Wann wird dann über die Hauptklage entschieden?

Ein solches Verfahren kann sich über Jahre hinziehen.

Warum klagt ausgerechnet Südafrika?

Jeder Unterzeichnerstaat der Völkermordkonvention kann eine solche Klage einreichen. Südafrika ist ein ausgesprochener Unterstützer der Rechte der Palästinenser. Das Land vergleicht seine Apartheid-Vergangenheit, also die rassistische Unterdrückung durch eine Regierung der weißen Minderheit, mit dem Umgang Israels mit den Palästinensern. Dass dieser Vergleich bei einem Land, in dem es bereits arabische Minister gab, nicht nur hinkt, sondern komplett an den Haaren herbeigezogen ist, scheint in Pretoria niemanden zu interessieren.

Was macht die Klage so absurd?

Der Apartheid- und der Völkermord-Vorwurf sind konstruiert und zugleich gefährlich für Israel. Judenhasser in aller Welt wiederholen diese Vorhaltungen bei Demonstrationen, in den sozialen Medien und bei den Vereinten Nationen. Sie haben damit Erfolg, denn immer mehr Studenten und Menschen aus dem politisch extremen Spektren haben das Narrativ dieser Verschwörungstheorien aufgenommen und verbreiten es weiter.

Allein die Tatsache, dass die Bevölkerung Israels zu 21 Prozent aus Arabern besteht, die selbst in der Knesset vertreten sind und zum Teil als Richter oder Armeekommandeure arbeiten, belegt die Absurdität des Apartheid-Vorwurfes. Zugleich begeben sich Juden, die Gaza betreten, in direkte Lebensgefahr. Die einzigen Juden in dem Gebiet sind dort von Terroristen festgehaltene Geiseln und Soldaten, die den Hamas-Terror ein für alle mal beenden sollen.

Belege gegen den Völkermord-Vorwurf gibt es zuhauf. Die Geschehnisse der vergangenen drei Monate und die Satzung der Hamas zeigen: Nicht Israel will ein Volk vernichten, sondern der palästinensische Terror. ja/dpa

Meinung

Ein Raum für die Trauer

Der Vorschlag, den 7. Oktober in Deutschland zum Gedenktag zu erklären, mehr Fragen auf, als er Antworten geben kann

von Mascha Malburg  06.10.2024

Analyse

Die neuen alten Grenzen der Solidarität

Erstaunt über den aktuellen Judenhass? Lesen Sie doch mal Jean Amérys sechzig Jahre alte Texte

von Leeor Engländer  06.10.2024

Solidarität

Gedenken in München

Auf dem Odeonsplatz findet eine Kundgebung in Solidarität zu Israel statt. Vor allem aber lautet die Forderung an die Hamas: Lasst die Geiseln endlich frei

von Barbara Just  07.10.2024 Aktualisiert

Rheinland-Pfalz

Polizei beendet rechtsextremes Treffen

Die »Kampfsportveranstaltung« soll von regionalem Ableger der als rechtsextremistisch eingestuften Kleinstpartei III. Weg organisiert worden sein

 06.10.2024

München

Großdemonstration für Freilassung der Geiseln am 6. Oktober

Zentralratspräsident Schuster und Ministerpräsident Söder (CSU) werden bei der Kundgebung erwartet

von Imanuel Marcus  06.10.2024 Aktualisiert

Olaf Scholz

Solidarität mit Jüdinnen und Juden

Der Bundeskanzler spricht in der aktuellen Folge über den 7. Oktober 2023

 06.10.2024

Gesellschaft

Felix Klein warnt: Judenhass zunehmend normalisiert

Antisemitische Gewalt im Nahen Osten habe auch massive Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland

 05.10.2024

Berlin

Kai Wegner: Beschämender Antisemitismus seit 7. Oktober 2023

Der Regierende Bürgermeister bekräftigt: »Das werden wir in dieser Stadt nicht dulden«

 05.10.2024

Kriminalität

Hohe Bedrohungslage durch antisemitische Gewalt

Zahl der antisemitischen Straftaten mehr als verdoppelt

 05.10.2024