Geschichte

»Die einzige Lösung«

Touristenprogramm: der junge John F. Kennedy beim Kamelritt vor den ägyptischen Pyramiden Foto: Corbis

Zu John F. Kennedys 50. Todestag in dieser Woche erinnert man sich an die Schwächen des 35. US-Präsidenten, aber auch und vor allem an sein Charisma, seinen Mut und seinen Scharfsinn, wie sie etwa in der Kubakrise 1962 und der Berliner Rede von 1963 zum Ausdruck kamen.

Von Kennedys verblüffend frühem politischen Weitblick zeugt auch ein fast vergessenes Dokument: ein Bericht aus dem damaligen britischen Mandatsgebiet nach Palästina aus dem Jahr 1939, den der damals 22-Jährige verfasste und der 74 Jahre später noch immer aktuell wirkt. Das vierseitige Dokument befindet sich im Archiv der Kennedy Library in Boston. Es handelt sich um einen maschinengeschriebenen Brief des Studenten John an seinen Vater Joseph, der damals Botschafter der USA in London war.

»Lieber Dad«, beginnt das Schreiben, »ich dachte, ich schreibe für Dich meine Eindrücke von Palästina auf, solange ich sie noch frisch in Erinnerung habe.«

Der Aufenthalt in Palästina war eine Etappe einer längeren Reise, die der junge John unternahm, um die britische Politik des »Appeasement« vor Ort zu studieren und Material für seine Abschlussarbeit an der Universität Harvard zu sammeln. Von Großbritannien aus reiste er im Vorkriegssommer durch Mussolinis Italien und Hitlers Deutschland, von dort in die zwischen Polen und Deutschland umstrittene, vom Völkerbund verwaltete Stadt Danzig. Weitere Stationen waren Warschau und die Sowjetunion, die Türkei und schließlich der Nahe Osten. Ein Foto zeigt ihn in Ägypten auf einem Kamel vor einer Pyramide.

briten In seinem Brief kritisiert Kennedy zunächst das Verhalten der Briten, die als Hegemonialmacht im Nahen Osten widersprüchliche Zusagen an dessen Bevölkerungsgruppen gemacht hatten. Der Hochkommissar in Ägypten, Henry McMahon, versprach 1915/16 den Arabern die Unabhängigkeit; die Balfour-Deklaration stellte 1917 den Juden eine nationale Heimstätte in Aussicht. Konflikte wurden so unausweichlich, zumal »Palästina sowieso nicht das Eigentum Englands (war), über das es nach Belieben verfügen konnte.«

Wenige Wochen, bevor Kennedy in Palästina eintraf, hatte die britische Regierung für ihr Mandatsgebiet eine Strategie vorgelegt, das sogenannte »White Paper«. Nach seit 1936 andauernden gewalttätigen arabischen Ausschreitungen gegen Juden und Briten, dem sogenannten Arabischen Aufstand, hatte Kolonialminister Malcolm MacDonald einen Vorschlag für einen unabhängigen Staat zu Papier gebracht, der von Juden und Arabern gemeinsam regiert werden sollte. Die Macht sollte im Verhältnis der jeweiligen Bevölkerungszahl geteilt werden, was auf eine arabische Majorität hinauslief. Das Papier sah eine Begrenzung der jüdischen Besiedlung vor. Weitere Zuwanderer sollten nur mit Zustimmung der arabischen Bevölkerung ins Land gelassen und Juden der Landerwerb rechtlich erschwert werden.

Diesen Plan hält Kennedy für »hoffnungslos« und undurchführbar. »Theoretisch sieht es nach einer guten Lösung aus, aber es wird einfach nicht funktionieren« – »it just won’t work.« Das Wort »won’t« hat Kennedy unterstrichen, als einziges in seinem gesamten Bericht.

volksgruppen Nicht funktionieren könne der Plan, so die Einschätzung des jungen John F. Kennedy, weil ein gemeinsamer Staat von beiden Volksgruppen abgelehnt werde. Die Juden wehrten sich gegen eine Begrenzung der Einwanderung. Sie wollten den Zionismus nicht eindämmen, sondern stärken – »mit Jerusalem als Hauptstadt ihres neuen Landes«. Und sie erhöben Anspruch auf die fruchtbaren Gebiete jenseits des Jordan, um sie zu »kolonisieren«. Die arabischen Palästinenser hingegen verlangten ein Ende der jüdischen Einwanderung. Sie wollten die britische Herrschaft loswerden. Und sie forderten eine gewählte Vertretung, in der sie die Mehrheit hätten.

Die englischen Beamten vor Ort, bemerkt Kennedy, trauten den Juden eher zu, das Gebiet landwirtschaftlich zu erschließen. Ihre Sympathie jedoch gelte den Arabern. »Nicht nur, weil die Juden, zumindest einige ihrer Vertreter, eine bedauerlich hochmütige, unversöhnliche Haltung zeigten; sondern weil das Land jahrhundertelang arabisch war.«

Nicht im Einzelnen geht der Reisende auf den Arabischen Aufstand und die jüdische bewaffnete Gegenwehr, vor allem durch die Hagana, ein. Stattdessen beschreibt er anekdotisch, was er vor Ort selbst gehört hat. An einem Abend seien mehrere Bomben explodiert, die »jüdische Terroristen« gelegt hätten. »Kurioserweise«, wundert sich Kennedy, »jagen die Juden ihre eigenen Telefonleitungen in die Luft und rufen dann am nächsten Tag aufgeregt die Briten an, damit die sie wieder reparieren.«

teilungsplan Die Lage sei verfahren, fasst der junge Kennedy seine Diagnose zusammen. »Ich habe noch nie zwei Gruppen gesehen, die sich hartnäckiger dagegen sträuben, eine Lösung auszuarbeiten, die eine gewisse Aussicht hat, verwirklicht zu werden, als diese beiden.« Unter diesen Umständen bringe es nichts, rechtliche Standpunkte zu erörtern: »Es ist sinnlos, darüber zu streiten, welche Seite die ›begründeteren‹ Ansprüche hat«, schreibt er. (im Original: »which has the ›fairer‹ claim«) »Wichtig ist nur, eine Lösung zu finden, die funktioniert.«

Eine solche Lösung, folgert der amerikanische Besucher, könne nur in einer Teilung in zwei Staaten, »two independent states«, bestehen. Jerusalem sollte eine unabhängige Einheit werden, »an independent unit«. Diese Lösung müsse man notfalls von außen durchsetzen, »force the partition plan to be accepted«. Kennedy ist sich sicher: »Auch wenn sie schwierig sein mag, das ist die einzige Lösung, von der ich glaube, dass sie überhaupt funktionieren kann.«

Das Land in zwei unabhängige Staaten aufzuteilen, hatte bereits 1936 zur Diskussion gestanden. Aber der damalige »Teilungsplan« beließ Jerusalem und Haifa, die einen gleich großen Anteil jüdischer und arabischer Einwohner hatten, unter britischer Kontrolle. Der Vorschlag war deshalb gleichermaßen unbeliebt wie undurchführbar: »Beide Seiten lehnten ihn ab.« Hinzu kämen äußere Einflüsse, die den Konflikt weiter verkomplizierten: die Interessen der westlichen Großmacht (England), der »Druck« der »arabischen Staaten« sowie jener der »jüdischen Organisationen«. Des Weiteren schreibt der Beobachter vom »Flüchtlingsproblem« und von der »schwierigen Frage der Staatsbürgerschaft«.

John F. Kennedy stellt durchaus in Rechnung, welche Schwierigkeiten auch die von ihm vorgeschlagene Zweistaatenlösung zu überwinden hätte. Denn nicht nur zwischen den beiden Volksgruppen, sondern auch innerhalb der Parteien sah er gewaltige Unterschiede. So unterscheidet er »die streng-orthodoxe jüdische Gruppe, die nicht kompromissbereit ist«, das »liberale jüdische Element, vor allem die Jüngeren, die vor den Reaktionären Angst haben« und »diejenigen dazwischen, die zu einer Verständigung bereit sind«.

Auch die Araber beschreibt der 22-Jährige als gespalten. Die Anhänger des Großmufti, der aus dem Exil zurückkehren wolle, befänden sich »im Bann der Religion«, ein »neuer Nationalismus« sei im Erstarken. Es gebe aber auch zahlreiche Menschen, die »den ganzen Schlamassel satt haben«, der ihre wirtschaftliche Existenz aufs Spiel setze, und die deshalb eine Verständigung suchten.

positionswechsel Das Jahr 1939 markierte einen Wendepunkt in Kennedys politischem Denken. Während er noch an seiner Studie über die Appeasement-Politik schrieb, beschossen die Deutschen die Danziger Westerplatte. Der Zweite Weltkrieg begann in der Stadt, die er kurz zuvor selbst besucht hatte. Die Appeasementpolitik, die sein eigener Vater vertreten hatte, war auf ganzer Linie gescheitert. Im folgenden Jahr veröffentlichte John F. Kennedy seine Abschlussarbeit unter dem Titel Why England Slept – »Warum England schlief«. Sie wurde ein Bestseller.

Auch im Hinblick auf die Juden änderte sich Kennedys Haltung. Er stammte aus einem Milieu, das mindestens latent judenfeindlich war. Sein Brief an den Vater aus dem Nahen Osten beginnt mit einer saloppen Bemerkung, die durchaus antisemitisch zu verstehen ist: »Zweifellos verstehst Du, wenn ich die Juden richtig kenne, bereits die ›ganze‹ Geschichte.« In der Folge aber stellt er die Positionen »der Juden« durchaus vorsichtig differenziert dar und wägt ihre Interessen gegen die der Araber unparteiisch ab.

Zwei Jahrzehnte später zum Präsidenten gewählt, unterstützte John F. Kennedy das Land, das jetzt Israel hieß: Er beendete das Waffenembargo seiner Vorgänger Truman und Eisenhower und leitete stattdessen eine militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern ein. Kennedy war es auch, der von einer »besonderen Beziehung« sprach, die seitdem das Verhältnis zwischen den USA und Israel bestimmt. Die Idee freilich, die er als junger Mann hatte, um den Nahostkonflikt womöglich zu beenden – durch eine von außen durchgesetzte Zweistaatenlösung –, harrt weiter ihrer Verwirklichung.

Meinung

Keine Ausreden mehr!

Hamburg hat ein Islamismus-Problem. Deutschland hat ein Islamismus-Problem. Ein Weckruf

von Noam Petri  28.04.2024

Berlin

Zentralrat der Juden kritisiert deutsche UNRWA-Politik

Josef Schuster: »Die Bundesregierung tut sich mit dieser Entscheidung keinen Gefallen«

 28.04.2024

Holocaust

»Blutiger Boden, deutscher Raum« - was die Nazis in Osteuropa planten 

Die Nationalsozialisten träumten von einem Riesenreich voller idealer Menschen. Wer ihnen nicht passte, sollte verschwinden oder sterben. Ein neuer Film zeigt die Abgründe des Generalplans Ost

von Cordula Dieckmann  28.04.2024

Holocaust

Chef der Gedenkstätten-Stiftung: Gästebücher voll Hassbotschaften 

Hass, Antisemitismus und Israelfeindlichkeit bekommt auch die Gedenkstätte Sachsenhausen zu spüren - seit Beginn des Gaza-Kriegs gibt es dort deutlich mehr Schmierereien

 28.04.2024

Terror-Verbündete

Erdogan: Die Türkei steht weiterhin hinter der Hamas

»Man kann die Vorfälle des 7. Oktober gutheißen oder nicht. Das ist vollkommen Ansichtssache«, so Türkeis Präsident

 28.04.2024

Berlin

Zentralrat der Juden kritisiert Urteile zugunsten antisemitischer Parole

Der Schlachtruf bedeutet »nichts anderes als den Wunsch der Auslöschung Israels«, betont Josef Schuster

 28.04.2024

Berlin

Warum Steinmeier den Runden Tisch zum Nahost-Krieg absagte

Der Bundespräsident hat seit dem Überfall der Hamas auf Israel schon mehrere Runde Tische zum Nahen Osten veranstaltet. Der nächste sollte in der kommenden Woche sein. Doch er entfällt

 27.04.2024

Den Haag

Erste Entscheidung in Klage gegen Deutschland am Dienstag

Im Verfahren Nicaragua gegen Deutschland will der Internationale Gerichtshof am Dienstag seinen Beschluss zu einstweiligen Maßnahmen verkünden

 26.04.2024

Meinung

Steinmeier auf Kuschelkurs mit einem Terrorfreund

Der Bundespräsident untergräbt mit seiner Schmeichelei gegenüber Recep Tayyip Erdogan einmal mehr Deutschlands Staatsräson

von Nils Kottmann  26.04.2024