Bundeswehr

Die Augen rechts!

Maschinenpistole der Wehrmacht an der Wand: Aufenthaltsraum von Bundeswehrsoldaten Foto: dpa

Vom Balkon aus skandierte der Soldat Ende Oktober des vergangenen Jahres lautstark über das Kasernenareal: »SS, SS, es eskaliert« und »SA, SA, es artet aus«. Wenige Tage später bezeichnete er eine Soldatin, deren Lebensgefährte Jude ist, als »Judenanwärterin«. Erst danach wurden seine Vorgesetzten auf den rechtsradikalen Uniformträger aufmerksam.

Der Zeitsoldat ist einer von 143 im Jahr 2016 bekannt gewordenen Fällen, die disziplinarrechtlich von der Bundeswehr untersucht wurden. Mal sind es zwei angetrunkene Soldaten, die Asylbewerber an- gegriffen hatten; dann waren es Klingeltöne mit Nazimusik auf dem Privathandy eines Bundeswehrangehörigen; ein anderes Mal Hakenkreuzschmierereien auf Toiletten oder öffentliche rechtsradikale Äußerungen.

dienstvergehen Nach Auskunft der Bundesregierung, zusammengefasst in einer Antwort auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke im April dieses Jahres, bewerten die Behörden »37 Fälle, die Dienstvergehen im Jahr 2016 mit rechtsextremem, fremdenfeindlichem oder antisemitischem Hintergrund zum Gegenstand hatten, als so schwerwiegend, dass in 31 Fällen disziplinare Vorermittlungen aufgenommen und in sechs Fällen gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet wurden«.

Die Mitteldeutsche Zeitung zitiert ein Schreiben des Ministeriums an die Grünen-Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic. Danach habe der Militärische Abschirmdienst (MAD) seit 2008 »in rund 200 Fällen die jeweilige Person nach Abschluss der Ermittlungen als Rechtsextremist bewertet«. Allerdings warnt das Verteidigungsministe- rium davor, aus diesen Informationen falsche Schlüsse zu ziehen. Faktisch gehe die Anzahl der Extremisten in der Bundeswehr seit Aussetzung der Wehrpflicht 2011 zurück, sagt ein Sprecher.

Der Chef des MAD, Christof Gramm, erklärte bei einer Anhörung im Bundestag, seine Behörde identifiziere im Durchschnitt acht Extremisten jährlich in der Bundeswehr. Dabei hielten sich Links- und Rechtsextremisten die Waage. Aber auch islamistische Extremisten hätten die Sicherheitsbehörden unter den Rekruten ausgemacht und aus dem Dienst entfernt, ergänzt der Ministeriumssprecher. »Seit Juli 2017 fällt niemand mehr durchs Raster«, ist man sich auf der Hardthöhe inzwischen sicher.

information »Bei einer Armee von 185.000 ist das eine überschaubare Zahl«, findet der Wehr- beauftragte des Bundestages, Hans-Peter Bartels, im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Zu Zeiten der Wehrpflicht habe es nach Angaben des MAD deutlich »mehr Fälle von Rechtsextremismus als heute« gegeben. »Ich würde mir wünschen, da würde offener mit den Daten umgegangen«, sagt der Sozialdemokrat, der seit gut zwei Jahren im Amt ist. Er bedauert, dass nach wie vor nur in seinen Jahresberichten regelmäßig über rechtsextremistische Vorfälle und über die Gesamtzahl der Meldungen berichtet werde. Die Bundeswehr selbst tue das nicht.

Die stelle zwar regelmäßig den Unfallbericht des Ministeriums vor, der detaillierte und »liebevoll« geführte Statistiken enthalte, wer sich im Dienst mit der Waffe einen Fuß verstaucht habe. Bartels: »Das brauchen wir auch bei der inneren Lage.«

Inzwischen wurde allerdings innerhalb des Verteidigungsministeriums ein Referat eingerichtet, in dem die innere und soziale Lage statistisch erfasst und ausgewertet werde, die Bearbeitung laufe dann vor Ort. Das Meldeverfahren sei weitgehend belastbar erprobt, hört man auch aus Sicherheitskreisen. »Die Zahl der Meldungen ist ein Zeichen für die hohe Sensibilität innerhalb der Bundeswehr«, sagt der Ministeriumssprecher. In einer eigenen Abteilung im Verteidigungsministerium würden inzwischen alle Fälle zusammenlaufen.

Der MAD arbeite dabei eng mit Sicherheitsoffizieren der jeweiligen Bundeswehrstandorte zusammen. Und das Soldatengesetz mache es bis zum vierten Dienstjahr relativ einfach, einen Soldaten aufgrund eindeutiger Verfehlungen aus der Bundeswehr zu entlassen.

nulltoleranz »Inzwischen wird rigoros vorgegangen gegen Rechtsextreme«, lobt Reinhold Robbe die Nulltoleranz gegen Extremisten innerhalb der Bundeswehr. Kein Grund aber, die Wachsamkeit zu vernachlässigen, meint der ehemalige Wehrbeauftragte und langjährige Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG). »Denn auch die niedrige Zahl von Rechtsextremen ist besorgniserregend. Die Bundeswehr ist nicht irgendeine Institution, sondern es geht um die Verteidigung unseres Landes«, warnt Robbe.

Er sorgt sich, dass die Bundeswehrreform unter anderem auch bei der Rekrutenausbildung zu einer erheblichen Belastung geführt habe. Er sieht besonders Lücken bei den Ausbildungsperspektiven und -inhalten. »Die Bundeswehr hat ihre Lektion aus der Geschichte gelernt, aber Mängel in der schulischen politischen, ethischen und sozialen Bildung können nicht in der Bundeswehr behoben werden.«

Es fehlten geeignete Bewerber und Ausbilder. Aufgrund der ausgedünnten Personaldecke seien bei der politischen Bildung der Rekruten Schwachpunkte auszumachen. »Das macht mir Sorgen« sagt Robbe. Wie Bartels wünscht sich auch er vom Verteidigungsministerium, besser und umfassender über rechtsradikale Vorfälle informiert zu werden. »Dadurch wird die breite Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert«, ist sich Robbe sicher.

Belgien

IS droht mit Anschlägen auf Synagogen und Kirchen

Die Hintergründe

 18.12.2025

Umbenennung

Yad-Vashem-Straße in Berlin: Wegner will schnelle Umsetzung

Nach der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll ein Straßenabschnitt im Herzen von Berlin benannt werden. Der Regierende Bürgermeister hofft auf eine schnelle Umsetzung

von Jonas Grimm  18.12.2025

Kairo

Ägypten: Angeblich Pläne für USA-Reise von Präsident al-Sisi

Seit Beginn des Gaza-Kriegs sollen Israels Premier und Ägyptens Staatschef keinen Kontakt gehabt haben. Wird sich al-Sisi mit Hilfe eines Gas-Deals zu einem Treffen in den USA bewegen lassen?

 18.12.2025

Bildungsministerkonferenz

Publizist Friedman: Leben jüdischer Kinder schlecht wie nie seit 1945

Schulen als Bildungsorte für Demokratie und Menschenrechte, gegen Hass und Antisemitismus: Der Publizist Michel Friedman sieht hier große Defizite in Deutschland

 18.12.2025

Australien

Polizei in Sydney stoppt Verdächtige – Pläne vereitelt?

Nur wenige Tage nach den tödlichen Schüssen an Sydneys weltberühmten Bondi Beach gibt es einen Einsatz von Anti-Terror-Einheiten. Die Verdächtigen sollen auf dem Weg zum Strand gewesen sein

 18.12.2025

Revision

Melanie Müller wehrt sich gegen Urteil zu Hitlergruß

Melanie Müller steht erneut vor Gericht: Die Schlagersängerin wehrt sich gegen das Urteil wegen Zeigens des Hitlergrußes und Drogenbesitzes. Was bisher bekannt ist

 18.12.2025

Thüringen

Klage der rechtsextremen AfD gegen Verfassungsschutzchef teils erfolgreich

In einem Punkt wurde den Klägern recht gegeben, in zwei anderen nicht. Es geht um Äußerungen von Stephan Kramer in einem Medienbericht

 18.12.2025

Verbundenheit

Chanukka und Advent: Licht gegen den Hass

Im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland versichert die Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehr der jüdischen Gemeinschaft ihren Beistand und ihre Solidarität

von Bischöfin Kirsten Fehrs  18.12.2025

Landgericht Berlin

Gericht: »From the River to the Sea« ist Aufruf zur Judenvernichtung

Die 2. Große Strafkammer des LG Berlin I hat einen Mann wegen der Verwendung der Parole zu einer Geldstrafe verurteilt. Nun muss wohl der Bundesgerichtshof ein abschließendes Urteil fällen

 18.12.2025