Militär

»Deutschland bleibt gern unsichtbar«

Der israelische Politikexperte Nir Levitan über die zunehmende Präsenz der deutschen Marine in Nahost

von Sabine Brandes  12.01.2025 17:35 Uhr

Nir Levitan lehrt an der Bar-Ilan-Universität in Israel. Foto: privat

Der israelische Politikexperte Nir Levitan über die zunehmende Präsenz der deutschen Marine in Nahost

von Sabine Brandes  12.01.2025 17:35 Uhr

Herr Levitan, Sie haben Ihren wissenschaftlichen Artikel zu Deutschlands zunehmender Marinepräsenz im Mittelmeer »Unter dem Radar« genannt. Warum?
Dass Deutschland eine starke Marine hat, ist hinlänglich bekannt. Weniger eindeutig allerdings ist, inwieweit sie im Mittelmeer und im Roten Meer agiert. Man weiß auch nicht, ob eventuell U-Boote in verdeckter Mission dabei sind.

In welchen Bereichen ist Deutschland heute offiziell in nahöstlichen Gewässern unterwegs?
Die deutsche Marine ist seit der UN-Resolution zum Waffenstillstand von 2006 in Beobachterfunktion als Teil der UN-Mission UNIFIL entlang der Küste des Libanon stationiert. Sie kontrolliert dort auf sehr diskrete Weise. So bevorzugt es Deutschland. Wegen der Bedrohung durch die Huthi-Rebellen im Jemen für die Schifffahrt sind sie seit knapp einem Jahr als Teil einer EU-Militärmission, angeführt von den USA, auch im Roten Meer anwesend.

Aber Deutschland ist nicht nur passiv. Sie gehen davon aus, dass die deutsche Marine Israel tatsächlich in mindestens einem Fall aktiv verteidigt hat.
Das ist richtig. Zwar bevorzugt Deutschland nach wie vor, unter dem Radar zu bleiben, doch die Realität ist heute eine andere. In diesem Fall fing die Marine eine Drohne ab, die wahrscheinlich aus dem Libanon auf Israel abgefeuert worden war. Dies könnte auch Hisbollahs Einwände gegen Deutschlands Einsatz im Rahmen des jetzigen Waffenstillstandsabkommens erklären.

»Berlin muss jetzt klarmachen, dass es die führende Kraft in Europa ist.«

Wie einflussreich ist Deutschland in Nahost?
Die Deutschen haben ein sehr starkes Netzwerk. Ein Beispiel dafür ist ihre Rolle als Vermittler bei der Befreiung des israelischen Soldaten Gilad Schalit, der jahrelang Geisel der Hamas in Gaza war. Doch sie bleiben gern unsichtbar. Allerdings muss wegen der ungewissen Lage in Syrien nach dem Fall des Assad-Regimes und der Übernahme islamistischer Rebellen alles in Sachen Nahost neu evaluiert werden. Da Russland stark in Syrien mitmischte und sich nun wahrscheinlich zurückzieht, könnten die Veränderungen auch für Deutschland von großer Bedeutung sein.

Was bedeutet das für die Verbindungen zwischen Israel und Deutschland?
Meine Einschätzung ist, dass Israel von Deutschland erwartet – wenn auch nicht offiziell –, dass es in Nahost stärker in Erscheinung tritt. Beispielsweise in Zusammenarbeit mit den USA, um das Schmuggeln von Waffen an die Hisbollah zu vereiteln.

Könnte sich dadurch die militärische Zusammenarbeit zwischen Israel und Deutschland verstärken?
Das könnte es in der Tat. In Deutschland legt man heute mehr Wert darauf, seine Verteidigung zu stärken, und Israel ist daran interessiert, von Deutschland militärische Unterstützung zu erhalten. Das ist die Realpolitik.

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Doch Nahost ist nicht die Priorität Deutschlands?
Die Priorität liegt aufgrund der Bedrohung durch Russland eindeutig in Europa. Die Deutschen sorgen sich beispielsweise, dass Moskau die Energieversorgung aus Norwegen sabotieren könnte. Die deutsche Marine hat die Aufgabe, die Nordflanke Europas zu sichern und wichtige Versorgungsrouten in der Nordsee und im Atlantik abzudecken. Allerdings ist Deutschland Teil der Koalition des Westens mit den USA im Nahen Osten. Um dazuzugehören, müssen sie beweisen, dass sie willens sind, ihre Macht zu zeigen und auch zu nutzen. Ganz besonders im Hinblick auf die eingehende Trump-Regierung in den USA. Berlin muss jetzt klarmachen, dass es die führende Kraft in Europa ist.

Bedarf es dafür einer Wende in Deutschland?
Ganz sicher. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt für Deutschland ein striktes Mandat, wie es seine militärische Macht einsetzen darf. Doch nach dem Ende des Kalten Krieges änderte sich vieles. Heute ist es nicht in der deutschen Kultur verankert, zu zeigen, wie mächtig man ist. Man gibt nicht damit an, was man hat. Natürlich wegen Deutschlands Geschichte. Doch auch hier hat sich die Realität verändert. Die Europäer müssen über ihre Zukunft und die Frage, wie sie diese verteidigen wollen, nachdenken. Es wird sicher viele Diskussionen in der Öffentlichkeit geben, und die Deutschen werden umdenken müssen.

»Ich gehe davon aus, dass Deutschland mehr und mehr zu einem globalen Spieler im Nahen Osten wird.«

Sie schreiben, dass sich mit der Mission im Roten Meer Deutschlands »grundsätzliche Annahmen und Planungen zur offiziellen Verteidigungspolitik« geändert haben. Inwiefern?
Der Einsatz im Roten Meer war ein klares diplomatisches Signal. Übersetzt heißt es in Richtung USA und NATO: »Wir zeigen euch, dass wir hier dabei sind, und dafür erwarten wir eure Unterstützung in der Nordflanke.« Ebenso ist es ein Zeichen, dass Deutschland keine Truppen in den Persischen Golf entsendet. Die Bundeswehr machte klar, dass sie nicht im iranischen Einflussbereich operiert. Man will Teheran nicht auf diese Weise konfrontieren.

Wie wird es für Deutschland in diesem Bereich weitergehen?
Ein Jahr nach dem Beginn des Einsatzes im Roten Meer wird man in Berlin schauen müssen, wie man weitermacht und die Politik entsprechend anpasst. Die eigenen Grenzen werden weiterhin an erster Stelle stehen, doch ich bin mir sicher, dass sich Deutschland zunehmend zum militärischen Anführer Europas entwickeln wird. Viel wird auch von der Bundestagswahl abhängen. Dieses Thema spielt sicherlich eine Rolle dabei.

Was meinen Sie, wird zukünftig geschehen?
Deutschland wird sicher nicht nur in militärischem, sondern auch im diplomatischen Bereich weiterhin offene und geheime Kommunikationskanäle mit allen Akteuren in der Region aufrechterhalten. Ich gehe davon aus, dass Deutschland im Nahen Osten bleibt – und mehr und mehr zu einem globalen Spieler in der Region wird.

Mit dem Dozenten an der Abteilung für Politikwissenschaft der Bar-Ilan-Universität und Mitglied des Zentrums für Kalte-Krieg-Studien an der Süddänischen Universität sprach Sabine Brandes.

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