Nachruf

Der Mutmacher

Gerhart Baum (1932-2025) Foto: IMAGO/teutopress

Mitten im politischen Beben der letzten Tage erreichte mich am Samstag die traurige Nachricht, dass Gerhart Baum im Alter von 92 Jahren verstorben war.

Seit den späten 60er-Jahren, als ich zusammen mit anderen Studenten in die Kölner FDP eintrat, kannte ich Baum. Es war damals die Zeit der 68er-Bewegung: Wie viele andere kam ich frisch von der Uni und wollte das Gelernte in Politik umsetzen. Wir wollten die damalige Große Koalition ablösen, durch eine neue Regierung. Der einzige Koalitionspartner, der für uns infrage kam, war die Freie Demokratische Partei.

Die FDP war damals noch kein potenzieller Partner für die SPD. Denn sie war geprägt von Leuten wie Erich Mende, dem Mitbegründer der Nationalliberalen Aktion, und befand sich eher am rechten Rand des politischen Spektrums.

Auch Gerhart Baum tat sich damals schwer mit seiner Partei: »Die Jüngeren können sich heute kaum vorstellen, wie stark in Teilen der deutschen Gesellschaft nach dem Krieg das Bestreben war, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen, auch in der damaligen FDP in Nordrhein-Westfalen. Es wurde ein Schlußstrich gefordert, eine Verjährung für Mord«, schrieb er in einem Vorwort für das 2020 erschienene Buch Soweit er Jude war.

Widerstand gegen Antisemiten in der FDP

Allerdings war die FPD keine mitgliederstarke Partei. Wir machten uns daher nach unserem Eintritt daran, Gleichgesinnte hereinzuholen, um die Partei in NRW näher an die SPD und deren neue Ostpolitik zu rücken. Eine ähnliche Entwicklung vollzog sich auch in anderen Bundesländern. Ich erinnere mich, wie ich dem damals frisch gewählten Kölner FDP-Kreisvorsitzenden Gerhart Baum eine Gruppe von etwa 30 neu eingetretenen Mitgliedern vorstellte. Er war begeistert von diesen »politisch bewussten jungen Menschen«.

Es folgten harte politische Auseinandersetzungen, zahllose Parteiversammlungen, Wahlen - und auch Intrigen. Baum war zu dieser Zeit noch für den Arbeitgeberverband tätig. Er pendelte täglich zwischen Brüssel und Köln.

Erst als in der Kölner FDP antisemitische Intrigen nach dem Motto »Sie wollen doch nicht mit diesem Judenwinkel Grün zusammenarbeiten!« gegen mich und andere aufkamen, machte Baum seinen Standpunkt klar und sich für uns stark. Der Kontakt intensivierte sich und wurde immer freundschaftlicher. Ich werde nie vergessen, wie Baum, damals schon parlamentarischer Staatssekretär in Bonn, mich 1974 am Krankenbett besuchte und mir kalte Umschläge verabreichte.

1978 trat ich im Zuge der Abhöraffäre um Klaus Traube aus der FDP aus. Ich konnte nicht in einer Partei bleiben, deren damaliger Bundesinnenminister, Werner Maihofer, billigend in Kauf nahm, dass ehemalige Gestapo-Angehörige Traube wegen des angeblichen Verdachts der RAF-Mitgliedschaft belauschten, verfolgten und zum Kriminellen abstempelten und um seine berufliche Existenz brachten. Dieser Lauschangriff wegen eines ungesicherten Terror-Verdachts sollte auch Maihofers Nachfolger als Bundesinnenminister, Gerhart Baum, nachhaltig prägen.

Leidenschaft für Israel

Ich blieb aber weiterhin Liberaler und Gerhart Baum blieb mein Freund: Er hielt den Kontakt aufrecht. Als ich einige Jahre später als Leiter des Jerusalemer Büros der Friedrich-Naumann-Stiftung nach Israel geschickt werden sollte, intensivierte sich unser Kontakt wieder. Den Auftakt meiner Tätigkeit in Jerusalem bildete eine Zeremonie in Yad Vashem: Die Kölner Edelweißpiraten Jean Jülich, Michael Jovy und der von den Nazis ermordete Bartholomäus »Barthel« Schink sollten als »Gerechte unter den Völkern« geehrt werden.

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Baum reiste nach Israel an, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Er wirkte an der Baumpflanzung auf der »Allee der Gerechten« mit und nahm an der Eröffnung einer von uns organisierten Ausstellung zum Thema Widerstand gegen das Naziregime teil. Daran teilzunehmen war ihm ein persönliches Anliegen, denn er wollte »diese Demokratie fortwährend mit Leben erfüllen und sie weitertragen« und »jedem Wiederaufflackern von Intoleranz und Gewalt entgegentreten«, wie er 1982 in seinem ersten Vorwort zu »Soweit er Jude war« formulierte.

Für ihn war klar: »Nur die Auseinandersetzung führt weiter, die kontroverse Debatte und der rationale Dialog. Dies ist dann keine Bewältigung der Vergangenheit, sondern eine Leistung in der Gegenwart, ein Stück politischer Kultur in den 80er-Jahren für uns selbst.«

Es war nicht das einzige Mal, dass Baum nach Israel kam. Vor allem in den 80er-Jahren war er regelmäßig zu Besuch, einmal auch mit seinen Kindern, und mehrere Male zusammen mit seinem Bundestagskollegen Burkhard Hirsch. Bei einem dieser Besuche trafen Baum und Hirsch sich mit zwei sogenannten »Mengele-Zwillingen«. Die beiden älteren Damen schilderten ihnen ihre Nöte. Baum fragte nach und machte sich Notizen. Er versprach, sich in Bonn für ihre Anliegen einzusetzen.

Gerhart Baum interessierten alle Aspekte der israelischen Politik. Auch der Friedensprozess im Nahen Osten und die Frage, ob und wie liberale Kräfte in Israel daran mitwirken könnten, trieben ihn um. Ich machte ihn mit liberaleren Politikern in Israel bekannt. Als Jurist führte er lange Gespräche mit Amnon Rubinstein, dem späteren Justizminister. Auch zum damaligen Intendanten des israelischen Rundfunks, Tommy Lapid, dem späteren Politiker, Vorsitzenden der liberalen Kräfte und Vater des heutigen israelischen Oppositionsführers Jair Lapid, hatte er Kontakt.

Doch sein Interesse beschränkte sich keineswegs auf liberale Politiker. Ich erinnere mich an ein langes und intensives Gespräch mit Yitzhak Rabin, der ihn sehr beeindruckte. Auch an seine Begegnung mit Amos Oz erinnerte Baum sich gerne zurück.

Ein großer Liberaler

Sein Interesse an der Entwicklung im Nahen Osten und besonders in Israel nahm auch nach meiner Rückkehr aus Jerusalem 1988 nicht ab. Wir telefonierten oft, Baum erkundigte sich nach der Entwicklung, bat um Einschätzung. Immer wieder trafen wir uns, tauschten uns aus, auch über die Entwicklungen in Deutschland. Seine Sorgen nahmen mit den Jahren zu, aber ebenso seine Überzeugung, dass die Welt gerade »eine weltweite Auseinandersetzungen zwischen liberalen und antiliberalen Kräften« durchlebt. Nach dem 7. Oktober 2023 teilte ich ihm meine Ängste und Sorgen über den Antisemitismus in Deutschland mit. Er versuchte, mir Mut zu machen.

Gerhart Baum hat sich bis zuletzt dafür eingesetzt, allen Menschen den Mut zu vermitteln, den es braucht, für Freiheit und Demokratie in Europa und weltweit kämpfen, denn, wie er es im Buch Soweit er Jude war ausdrückte: »Wir Deutsche haben nach der Erfahrung mit zwei Unrechtsstaaten das Glück in Freiheit, in einem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nunmehr freien Europa, zu leben. Unsere Aufgabe ist es, die Demokratie zu verteidigen, sie zu leben. Unsere Aufgabe ist es, mit denen unterstützend verbunden zu sein, die dieses Glück nicht haben.«

Gerhart Baum wird uns allen fehlen. Er war ein Mensch. Er war ein großer Liberaler, ein Freund der Demokratie, ein Freund Israels.

Und er war mein Freund.

Gesegnet sei sein Andenken.

Der pensionierte Hörfunkjournalist und Autor Peter Finkelgruen wurde 1942 im Ghetto Shanghai als Sohn tschechischer Juden geboren. Seit 1959 lebt er in Deutschland.

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