Pro & Contra

Brauchen wir eine Frauenquote?

In Brandenburg wurde das deutschlandweit erste Gesetz zur Quotierung auf Wahllisten von Parteien verabschiedet. Foto: gmast3r

PRO – Hannah Peaceman: Mehr Frauen stärken die Demokratie – auch in jüdischen Verbänden

In Brandenburg ist im Februar das deutschlandweit erste Gesetz verabschiedet worden, das Parteien verpflichtet, ihre Wahllisten abwechselnd mit Männern und Frauen zu besetzen. Der Deutsche Frauenrat bezeichnet das als »herausragendes gleichstellungspolitisches Signal«. Allerdings werde damit »nur eine abgespeckte Version des Paritätsgesetzes umgesetzt«.

Paritätsgesetz Denn Wahlkreiskandidaturen, die für die Direktmandate entscheidend sind, unterliegen keiner Quotierung. Die Einführung des Paritätsgesetzes ist Anlass für eine fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe, die sich im Rahmen der aktuellen Wahlrechtsreform für eine paritätische Regelung sowohl für Listenplätze als auch für Direktmandate auf Bundesebene einsetzen will. Die Widerstände gegen die Quoten sind oft hoch emotional und das, obwohl eine paritätische Besetzung in einer Demokratie 100 Jahre nach Einführung des Wahlrechts für Frauen doch selbstverständlich sein sollte.

Dem ist nicht so: Im Bundestag liegt der Anteil an weiblichen Abgeordneten bei rund 30 Prozent – und damit sogar niedriger als vor 20 Jahren. Im Vergleich zur vorangegangenen Legislaturperiode ist der Anteil von Frauen sogar um mehr als sechs Prozent gesunken. Die Zusammensetzung des Bundestags kommentierten mehrere Zeitungen nach der Bundestagswahl 2017 als »männlich, weiß, reich«. Diese Zuspitzung zeigt: Nicht nur Frauen, sondern auch viele andere Bevölkerungsgruppen bleiben in unserer Demokratie unterrepräsentiert.

nachwuchsförderung Das Ungleichgewicht der Geschlechter in den Parlamenten ist gleichzeitig ein Spiegel gesellschaftlicher Verhältnisse und strukturell tief verankert: So rekrutiert sich parteipolitischer Nachwuchs oft nicht auf der Basis einer egalitären Interessenvertretung, sondern häufig durch »old boy networks«. Das sind (in-)formelle männliche Netzwerke, die gute Kontakte in Politik und Wirtschaft pflegen und eine soziale Elite durch gezielte männliche Nachwuchsförderung reproduzieren.

Rund 40 Bundestagsabgeordnete sind beispielsweise Mitglieder in Verbindungen, deren männliche Mitglieder durch das »Lebensbundprinzip« intergenerationale berufliche Unterstützung erfahren und ein antiquiertes abwertendes Frauenbild vertreten. Informelle männliche Netzwerke funktionieren ähnlich mit gezielten Stellenbesetzungen und Informationsweitergaben. Reproduziert wird jene mehrheitlich »männliche, weiße, reiche« Elite. Das führt zur Überrepräsentation einer kleinen Gruppe.

Auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft funktionieren informelle männliche Netzwerke gut.

Elitenreproduktion Dass Frauen und andere Bevölkerungsgruppen im Bundestag unterrepräsentiert sind, ist nicht auf mangelnde Qualifikation zurückzuführen. Im Gegenteil, es gibt viele Menschen, die nicht »männlich, weiß, reich«, aber dafür umso besser qualifiziert wären, die Politik unseres Landes zu gestalten. Somit unterläuft die »weiße, männliche, reiche« Elitenreproduktion demokratische Prozesse. Das Paritätsgesetz ist ein wichtiges Instrument, um zu einer egalitäreren Repräsentation der Geschlechter in den Parlamenten zu kommen.

Wenn Listen paritätisch besetzt werden, verlieren (in-)formelle Netzwerke langfristig an Bedeutung. Das könnte auch in die Gesellschaft zurückwirken: Mehr Frauen in der Politik konterkarieren antiquierte Frauenbilder, bedeuten mehr weibliche Vorbilder für künftige Generationen. Sie stärken die Interessen von Frauen sowie die Demokratie, die auf eine Repräsentation der Gesamtgesellschaft angewiesen ist. Die Quote ist ein erster Schritt für mehr Parität und müsste für eine Repräsentation aller Gender und anderer marginalisierter Gruppen ausgearbeitet werden.

Zentralrat Auch innerhalb der jüdischen Gemeinschaft funktionieren informelle männliche Netzwerke gut, wie ein Blick auf Leitungsebenen zeigt. Im Präsidium des Zentralrats sitzen zu zwei Dritteln Männer. Der Vorstand der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) ist zu zwei Dritteln mit Männern besetzt. Auf Ebene der Gemeindevorstände sieht es oft nicht viel besser aus. Gleichstellungsbeauftragte oder Frauenreferate gibt es in diesen Strukturen (noch) nicht.

 

Die Erfahrung aus Politik und Wirtschaft zeigt: Freiwillig werden die Jungs ihre Plätze kaum zugunsten von Frauen räumen.

Gleichzeitig kämpfen jüdische Frauen und ihre Verbündeten seit Jahrzehnten für mehr Egalität in der jüdischen Gemeinschaft: Frauennetzwerke wie Bet Deborah, Rabbinerinnen, Lehrerinnen, Aktivistinnen, Politikerinnen. Mit der Jüdischen Studierendenunion und ihrem Frauenreferat erheben nun junge Frauen ihre Stimmen und fordern politische Mitgestaltung ein, wie beim Jewish Women Empowerment Summit, der in Kooperation mit der Bildungsabteilung im Zentralrat am vergangenen Wochenende erstmals stattfand. Die Veranstaltung hat bestätigt, was wir schon lange wissen: Sie sind da – die hoch qualifizierten, engagierten, klugen jüdischen Frauen!

Nur: Ob die »old boy networks« ohne Frauenquote konterkariert werden können? Die Erfahrung aus Politik und Wirtschaft zeigt: Freiwillig werden die Jungs ihre Plätze kaum zugunsten von Frauen räumen. Eine Quote würde sicherlich zu einer egalitär-demokratischen Repräsentation in jüdischen Verbänden beitragen.

Hannah Peaceman (Jahrgang 1991) ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Erfurt. Sie promoviert zu jüdischer politischer Philosophie und ist Mitherausgeberin der Zeitschrift »Jalta«.

 

CONTRA – Ruth Röcher: Ämter sollen nach fachlicher Qualifikation besetzt werden, nicht nach Geschlecht

Ich bin gegen eine Frauenquote in Parlamenten, weil ich finde, dass die fachliche Qualifikation darüber entscheiden soll, ob jemand ein Mandat bekommt, und nicht das Geschlecht. Dass im Bundestag weniger als ein Drittel aller Mandatsträger Frauen sind, stört mich überhaupt nicht. Und falls es eines Tages wirklich dazu kommt, dass per Gesetz 50 Prozent aller Abgeordneten im Bundestag Frauen sein müssen, dann hoffe ich sehr, dass sie auch die nötige Qualifikation für ihr Amt mitbringen und nicht »nur Quotenfrauen« sind. Denn Frau sein alleine reicht nicht! Politikerinnen und Politiker müssen sich Gedanken über die Zukunft dieses Landes machen – völlig unabhängig von ihrem Geschlecht.

Arbeitsmarkt Frauen und Männer sind in Deutschland heute gleichberechtigt. Dafür sorgen Gesetze. Es ist auch keineswegs so, dass Frauen heutzutage gegenüber Männern auf dem Arbeitsmarkt oder überhaupt in der Gesellschaft benachteiligt wären. Als Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Chemnitz bin ich verpflichtet, Stellenanzeigen so zu formulieren, dass beide Geschlechter sich bewerben können. Das muss jeder Arbeitgeber – denn Gleichberechtigung ist vorgeschrieben. Und ich erwarte von Politikern, die große Verantwortung für die Menschen im Land tragen, dass sie dafür sorgen, dass Posten nicht aufgrund des Geschlechts eines Menschen besetzt werden.

Frauen, die in den Bundestag wollen, sollten von sich aus die Initiative ergreifen und nicht aufgrund von einer Quotierung.

Uns Frauen steht heute alles offen. Wir haben das Recht zu wählen, wir haben das Recht, gewählt zu werden. Wir können alles studieren, wir können jeden Beruf ergreifen, wir können tun und lassen, was wir wollen. Frauen, die in den Bundestag wollen, sollten von sich aus die Initiative ergreifen und nicht aufgrund einer Quotierung.

Ich würde nicht so weit gehen und sagen, dass ich eine Frauenquote für schädlich halte. Denn ich nehme an, dass auch Frauen, die aufgrund einer Quote gewählt werden, mehr oder weniger befähigt sind, ein Mandat auszuüben. Wenn sie keine Voraussetzungen und Kenntnisse haben, würden sie sich nicht bewerben. Das hoffe ich jedenfalls. Aber wenn bei der Entscheidung, wer tatsächlich den Listenplatz bekommt, das Geschlecht entscheidet, dann finde ich das nicht richtig.

Karriere Bei meiner Wahl zur Gemeindevorsitzenden in Chemnitz hatte ich nicht das Gefühl, dass das Geschlecht eine Rolle spielte. Es gab nicht viele Bewerber, übrigens auch nicht viele Bewerberinnen. Aber auch in meinem früheren Berufsleben würde ich nicht sagen, dass das Geschlecht für die Karriere ausschlaggebend war. Ich habe Pädagogik und Judaistik an verschiedenen Universitäten studiert und auch promoviert. Mein Thema war die Geschichte des jüdischen Schulwesens in Deutschland von 1933 bis 1942.

Später habe ich an der Universität in Frankfurt gearbeitet, aber ich habe gemerkt, dass Forschung auf die Dauer nicht mein Ding ist – und dass meine Deutschkenntnisse als Israelin für eine wissenschaftliche Karriere nicht ausreichen. An den Hochschulen gibt es generell einen harten Kampf um Stellen, und man braucht starke Ellenbogen, um sich durchzusetzen. Das hat aber nichts mit Mann oder Frau zu tun.

In den 70er- und 80er-Jahren war das Thema Gleichberechtigung der Frau an den Hochschulen in Deutschland sehr präsent. Es war nie mein Thema, es hat mich überhaupt nicht interessiert. Manche Frauen an der Uni waren mir zu militant und dogmatisch. Ehrlich gesagt, ich hatte auch keine Zeit dafür – ich musste mich auf mein Studium konzentrieren, und ich hatte damals schon ein Kind. Viele junge deutsche Frauen hatten noch keine Kinder und die ganze Zeit der Welt, sich um die Belange der Gesellschaft zu kümmern. Ich bin wohl kein gutes Beispiel für die Frauenbewegung. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen.

 

Ich bin wohl kein gutes Beispiel für die Frauenbewegung. Ich bin meinen eigenen Weg gegangen.

Kinderbetreuung Eines muss ich aber sagen: In Israel gab es schon früher viel bessere Voraussetzungen für Kinderbetreuung als in der Zeit, als ich in Westdeutschland gelebt habe. Ohne meine Schwiegereltern, die meinen Sohn vom Kindergarten abholten – in Nordrhein-Westfalen war um 12 Uhr mittags Schluss mit der Betreuung –, hätte ich mir den Luxus des Studiums nicht erlauben können.

Heute haben sich die Bedingungen geändert. In den neuen Bundesländern sind die Kindergärten sogar elf bis zwölf Stunden täglich geöffnet. Als Pädagogin finde ich das übrigens nicht so gut – ein Kind braucht auch seine Familie, und das nicht nur am Wochenende. Es ist also nicht nur alles schwarz und weiß. Natürlich sind wir Frauen diejenigen, die die Kinder zur Welt bringen. Aber das muss heute nicht automatisch Nachteile im Berufsleben bedeuten. Auch Väter können heutzutage in Elternzeit gehen.

Auch in den Gremien des Zentralrats halte ich die Frauenquote für unnötig. Wir haben doch qualifizierte Frauen im Präsidium, die aufgrund ihrer Eignung und nicht aufgrund ihres Geschlechts gewählt wurden. Mich stört übrigens auch nicht, dass ich als Frau in unserer Synagoge nicht zum Minjan zähle und nicht zur Tora aufgerufen werde. Ich trage so viel Verantwortung für die Gemeinde, dass ich mich bei den Gottesdiensten gerne zurückhalte. Für mich ist das ein Privileg!

Ruth Röcher (Jahrgang 1954) ist promovierte Erziehungswissenschaftlerin. Sie kommt aus Israel und ist Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Chemnitz.

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