Anti-Terror-Krieg

Bodenoffensive in Gaza: »Die Hamas wird Hinterhalte planen«

Ein Hamas-Terrorist vor einem Tunnel in Gaza, im Juli 2023 Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com

Der Entschluss der israelischen Regierung steht längst fest, die Armeeführung lässt daran keinen Zweifel. »Wir werden mit Kampfgeist und Entschlossenheit das erreichen, was notwendig ist, um unserem Volk für viele Jahre Sicherheit zu bringen«, sagte Kommandeur Or Volozhinsky von der 188. Panzerbrigade mit Blick auf die »nächste Phase des Kriegs« im Gazastreifen.

Es geht um die Bodenoffensive in dem dicht besiedelten Küstenstreifen. Es ist ein Militäreinsatz mit Risiken und Gefahren für die Zivilbevölkerung, aber auch für die Tausenden israelischen Soldaten, die sich an der Grenze zum Gazastreifen mit seinen gut 2,2 Millionen Menschen gesammelt haben. Die jüngsten Terrorakte der Hamas lassen Israel keine Wahl.

Auf das Massaker vom 7. Oktober in israelischen Orten in der Nähe des Gazastreifens mit mehr als 1400 Toten musste Regierungschef Benjamin Netanjahu eine Antwort finden. Nach dem, was Hunderte Terroristen im Auftrag der islamistischen Hamas angerichtet haben, sieht Israel als einzig mögliche Antwort die komplette Zerschlagung der Gruppe.

»Operative, professionelle Mission«

Doch dafür werden schwere Luftangriffe nicht ausreichen. Oder wie es Generalstabschef Herzi Halevi am Samstag sagte: »Wir werden in den Gazastreifen reingehen. Wir werden für eine operative, professionelle Mission reingehen: um die Hamas-Aktivisten und die Infrastruktur der Hamas zu eliminieren.«

Angesichts der Gräueltaten der Hamas haben israelische Kommentatoren kaum Zweifel, dass die Soldaten entschlossen vorgehen werden. »Nie habe ich einen so starken Willen gesehen, in den Kampf zu ziehen«, schrieb der Militärkorrespondent der Zeitung »Israel Hajom«. »Sie (die Soldaten) verstehen, dass es schlicht keine andere Wahl gibt.«

Das Kräfteverhältnis zwischen beiden Kriegsparteien ist ungleich. Israels Armee gilt als eine der besten der Welt und soll Schätzungen zufolge mehr als 170.000 Soldatinnen und Soldaten haben. Sie hat zudem kürzlich rund 300 000 Reservisten mobilisiert. Selbst bei einem Start der Bodenoffensive würden aber längst nicht alle davon in den Gazastreifen einmarschieren, sagt der Militärhistoriker Danny Orbach von der Hebräischen Universität Jerusalem.

Großer Vorteil

Die Hamas verfügte nach israelischen Schätzungen vor dem Terroranschlag auf Israel über rund 30.000 Kämpfer. Mehr als 1000 Terroristen wurden während und nach ihren Massakern in Israel getötet, Hunderte weitere kamen in Gefangenschaft. Orbach schätzt, dass es in Wahrheit nur rund 15.000 Kämpfer sind. Andere Terrorgruppen im Gazastreifen stellen demnach auch einige Tausend Kämpfer.

Die Terroristen haben trotz ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit einen großen Vorteil: Sie kennen das Gelände, betont Orbach. »Die Hamas wird Hinterhalte planen und versuchen, israelische Soldaten zu entführen.« Bei der Offensive finden dem Historiker zufolge Kämpfe auf mehreren Ebenen statt. »Es gibt das obere Gaza, wo die Zivilisten leben und das Untergrund-Gaza, wo es kilometerlange Tunnel der Militanten gibt.« Israels Streitkräfte müssen demnach mit verminten Tunneln rechnen, die zur Todesfalle werden könnten.

»Es sind aber nicht nur die einzelnen Waffen entscheidend«, sagt der Militär-Experte. Auch in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine schafften es die - Orbach zufolge - eher schlecht gerüsteten russischen Truppen, ihre Taktik an gute und neue Waffen anzupassen. Israels Armee, deutlich besser gewappnet, werde sich an die Methoden der Hamas anpassen. Die Hamas bereitete sich auf vieles vor, sagte Militärchef Halevi. »Aber wir bereiten uns auch auf sie vor.«

Blutiger Kampf befürchtet

Der Häuserkampf im dicht besiedelten Teil des Gazastreifens werde blutig werden, fürchtet Orbach. »Es wird viele Kollateralschäden geben.« Gemeint sind mit dieser militärischen Formulierung Opfer unter der Zivilbevölkerung. Israels Militär hat deshalb die Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen wiederholt aufgefordert, das Gebiet Richtung Süden zu verlassen - doch dort gibt es für die Vertriebenen nur wenig Versorgung, und Angriffe gibt es auch dort.

Noch mehr Häuser in Gaza werden in Schutt und Asche gelegt werden, wie Orbach vermutet - auch um an die Hamas-Mitglieder zu kommen und sie zu töten. Die Bodenoffensive wird Orbach zufolge von Luft- und Artillerieschlägen begleitet werden.

Die Tunnel im Untergrund, aus denen heraus die Hamas operiert, sind Schätzungen zufolge Hunderte Kilometer lang. Orbach glaubt nicht, dass ein großer Teil der sogenannten Metro bei dem Waffengang zwischen Israel und der Hamas im Mai 2021 zerstört wurde, wie die Armee damals behauptete. Die Hamas habe die Fähigkeit, die unterirdischen Gänge, Quartiere und Waffenlager schnell wieder aufzubauen.

Geiseln im Tunnel

Um das System nun vollends zu zerstören, wird die Armee die Tunnel nach Angaben des Experten unter anderem mit Luftbildern und Abhörgeräten, die Stimmen in den Gängen orten können, aufspüren. Auch die bei den Massakern festgenommenen Terroristen würden derzeit bei Verhören nach Informationen zu den Tunneln befragt. Da sich möglicherweise aus Israel entführte Geiseln dort befänden, vermutet der Militärhistoriker, dass die Armee sie nicht fluten werde.

Ob die Armee bei ihren Angriffen ansonsten Rücksicht auf die im Gazastreifen festgehaltenen Menschen nehmen werde, hänge davon ab, ob sie etwas über deren genauen Verbleib wisse, sagt Orbach. Israels Armee geht derzeit eigenen Angaben nach davon aus, dass die meisten der mindestens 212 in die Küstenenklave verschleppten Menschen noch am Leben sind. Für die Zukunft ist der Experte nicht optimistisch: »Viele Geiseln wird die Hamas vermutlich töten, sofern die Armee anrückt und sie befreien will.«

Der Militärhistoriker geht davon aus, dass eine erste Phase des intensiven Kampfs rund sechs Wochen dauern könne, sofern die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah nicht noch stärker in den Krieg eingreift und eine weitere Front im Norden eröffnet.

Was kommt nach dem Krieg?

Die letzte große Bodenoffensive Israels im Gazastreifen hatte am 17. Juli 2014 begonnen - zehn Tage nach Beginn massiver Luftangriffe. Der bewaffnete Konflikt dauerte insgesamt fast zwei Monate. Damals war das Ziel aber nicht die komplette Zerstörung der Hamas.

Bislang ist auch unklar, welchen Plan Israel für die Zeit nach dem Abschluss einer möglichen Bodenoffensive für den Gazastreifen hat. Bis die militärischen Fähigkeiten und die Herrschaft der Hamas ausgeschaltet seien, werde es in jedem Fall eine ganze Weile dauern, so Orbach. Anschließend sieht er zwei Optionen: »Entweder wird ein internationales Konsortium oder eine andere Palästinenserorganisation die Geschicke des Gazastreifens übernehmen.« (mit ja)

Jubiläum

Stimme der Demokratie

Vor 75 Jahren wurde der Zentralrat der Juden in Deutschland gegründet. Heute hat das Gremium vielfältige Aufgaben und ist unverzichtbarer Teil dieses Landes

von Detlef David Kauschke  17.09.2025

Europäische Union

Wie die EU-Kommission Israel sanktionieren will

Ursula von der Leyens Kommission will Israel alle Handelsvergünstigungen streichen. Doch eine Mehrheit der Mitgliedsstaaten ist (noch) nicht in Sicht. Die Hintergründe

von Michael Thaidigsmann  17.09.2025

Meinung

Sánchez missbraucht ein Radrennen für seine Israelpolitik

Dass Spaniens Regierungschef die Störer der Vuelta lobte, ist demokratieschwächend und gehört zu seinem Kalkül, Israel weltweit zu isolieren

von Nicole Dreyfus  17.09.2025

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

Zentralrat

Schuster: Zwei-Staaten-Lösung nach Friedensverhandlungen mit Israel

Ein jeweils selbstständiger Staat Israel und Palästina - dafür spricht sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland aus. Unter bestimmten Voraussetzungen

von Leticia Witte  17.09.2025

Köln

Antisemitische Ausschreitungen bei Kreisliga-Spiel

Spieler des Vereins Makkabi wurden offenbar beschimpft, bespuckt und körperlich attackiert

 17.09.2025

Antisemitismus

Berliner Treitschkestraße wird am 1. Oktober umbenannt

Der Straßenname erinnert künftig an die im KZ Theresienstadt gestorbene ehemalige Direktorin des früheren jüdischen Blindenheims von Steglitz, Betty Katz (1872-1944)

 17.09.2025

Kritik

Toni Krahl hat »kein Verständnis« für israelfeindliche Demonstrationen

Was in der Region um Israel passiere, sei ein Drama, das sich über Jahrzehnte entwickelt habe, sagte Krahl

 17.09.2025

Berlin

Ahmetovic: Berlin muss Weg für Israel-Sanktionen freimachen

Der SPD-Politiker fordert, dass die schwarz-rote Koalition ihre »Blockadehaltung« beendet und die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für konkrete Maßnahmen gegen den jüdischen Staat unterstützt

 17.09.2025